ARD-Film: Geschlossene Gesellschaft
Er will, sie muss. Schon in den ersten Filmminuten lassen die Autoren von „Sechzehneichen“ ihr Thema leise anklingen. Weil Laura (Heike Makatsch) an Asthma leidet, muss sie aufs Land ziehen, wo ihr Ehemann Nils (Mark Waschke) ohnehin lieber leben würde. Hinter den Zäunen der luxuriösen Wohnsiedlung von Sechzehneichen weiß er Frau und Tochter gut aufgehoben. Für die Fotografin Laura ist die Gated Community dagegen von Anfang an ein künstlerisches Abseits und bald ein Ehegefängnis, das ihr die Luft erst recht abschnürt. Sie ist ans Haus gefesselt, während Nils, wann immer es ihm beliebt, die Siedlung hinter sich lässt, um in der Stadt seiner Arbeit nachzugehen.
Die traditionelle Hausfrauen-Ehe der Sechzigerjahre wird unter den Vorzeichen der Fürsorglichkeit wieder als salonfähig erklärt: „Wenn ich arbeite, muss ich mich darauf verlassen können, dass meine Frau auf meine Tochter aufpasst. Das war so ausgemacht!“, herrscht Nils Laura einmal an. Und sie verspricht, sich zu bessern. „Gratuliere, Nils, jetzt hast du es wirklich geschafft“, befindet Lauras Schwester (Sandra Borgmann) wenig später spitz. Und es bleibt offen, ob sie damit die statusbewusste Anschrift meint oder die Tatsache, dass Nils die emanzipierte Laura mit dem Umzug erfolgreich degradiert hat.
Die geschlossene Gesellschaft mit ihren Architektenhäusern in luxuriöser Alleinlage und den pestizidfreien Edelhölzern aus kontrolliertem Forstanbau ist für die Berliner Autoren Achim von Borries und Hendrik Handloegten der sinnfällige Platzhalter für jene Gentrifizierung, die auch hinter den sanierten Altbaufassaden der angesagten Berliner Stadtteile das Leben ihrer Bewohner gerade einschneidend verändert. Es geht um die innere Abschottung Gleichgesinnter, die sich auch in Tübingen in ökologischen Baugruppen zusammenfinden. Im Film wirkt alles nur noch etwas schonungsloser als in Kreuzberg.
Aus selbstbewussten Frauen werden anspruchslose Hausfrauen
Dass „Sechzehneichen“ aus selbstbewussten Frauen anspruchslose Hausfrauen macht, ist im Film nur zum Teil eine zwangsläufige Entwicklung. Sicher, je länger die Bewohnerinnen der Gated Community das Areal nicht verlassen, desto gefährlicher erscheint ihnen alles, was jenseits des Schlagbaums auf sie warten könnte. Unter dem Deckmäntelchen der homöopathischen Therapie schlucken die Frauen aber auch diverse Kügelchen, die sie glücklich und anspruchslos werden lassen. Hinter den Kulissen sorgen die Ehemänner in ihrem Männerclub dafür, dass die Medikamentierung auch eine uneingeschränkte sexuelle Verfügbarkeit einschließt.
Mit einem herrlich distinguiert aufspielenden Ensemble und dem stilistisch strengen Kameramann Philipp Haberlandt stellt Regisseur Hendrik Handloegten eine in jeder Hinsicht aufgeladene Stimmung her, die zudem in vielem an Kultfilme der sechziger Jahre erinnert. Zitate aus jenem voremanzipatorischen Jahrzehnt also, in dem sich der Aufbruch in die Moderne noch ganz selbstverständlich mit konventionellen Genderverhältnissen einherging.
Lavinia Wilson und Stephanie Stappenbeck als die mit Happypills vollgedröhnten Nachbarinnen tragen Highheels und Hochsteckfrisuren. Eine mysteriöse Madame Bleu sieht aus wie aus einem frühen James-Bond-Film entsprungen, einige Männer tragen sogar schmale Oberlippenbärtchen. Handloegtens Bildsprache mag Serienfans an „Mad Men“ und manchen Cineasten an Michelangelo Antonioni erinnern, das Horrorfinale dieses Ausnahmefilms vielleicht an „Die Körperfresser kommen“ mit Donald Sutherland.
Das Dechiffrieren von Filmzitaten ist aber nur eine ästhetische Spielerei, die den bissigen zeitkritischen Kern des Films für jene erträglicher macht, denen mit dem surrealen Thrillergeschehen soziologisch der Spiegel vorgehalten werden soll. Allerdings könnte die televisionäre Katharsis misslingen, obwohl der Fernsehfilm sich optisch durch Kinoqualität auszeichnet. Denn diese gut ausgebildete, kulturinteressierte „Neue Mitte“ wirft in ihren Niedrigenergie-Häusern zwar gerne ein Kinobild an die Betonwand, schaut aber im Fernsehen höchstens mal Arte.