ARD-Film "Rommel" : „Ich mag heikle Stoffe“
Am 1. November zeigt die ARD den Fernsehfilm „Rommel“ über den wohl bekanntesten deutschen Heerführer im 2. Weltkrieg. Der Hitler-Verehrer führte für das Dritte Reich Krieg in Afrika und später an der Atlantikküste. Dort wandelte er sich zum Hitler-Gegner. Drei Monate nach dem gescheiterten Attentat am 20. Juli 1944 auf Hitler wird Rommel gezwungen, sich das Leben zu nehmen. Niki Stein betont in seinem Film die letzte Phase im Leben Rommels. Nachkommen von Rommel monierten trotzdem, der Film zeichne ein zu negatives Bild.
Herr Stein, was hat Familie Rommel eigentlich an diesem Film über ihren Vorfahren auszusetzen?
Ach, im Grunde waren das Petitessen. Es ging vor allem um die Frage, wann Rommel sich von Hitler abgewendet hatte. Die Familie sagt, nach der Schlacht von El-Alamein im Juli 1942, ich sage, im April 1944, als Hans Speidel sein Stabschef wurde. Ich habe mit Gegenwind gerechnet, ob das Mittel der empathischen Anteilnahme für einen Nazigeneral statthaft ist, aber dass mir die Familie vorwirft, ich gehe zu kritisch mit ihm, hat mich doch gewundert.
Aber auch eine tolle PR geliefert.
Wunderbar. Aber im Ernst: Die haben den Film noch gar nicht gesehen.
Sie würden indes nicht den langjährigen Hitler-Fan sehen, der einen verbrecherischen Angriffskrieg lenkt, sondern den Zweifler der letzten sieben Monate auf dem Absprung in den Widerstand.
Entschuldigung, der Film beginnt mit einer Wochenschau, die ihn als Propaganda-Instrument der Nazis zeigt. Sie können dem Film nicht vorwerfen, Rommel nicht chronologisch über elf Jahre zu erzählen, und schon gar nicht, dass Ulrich Tukur ihn so wunderbar spielt.
Das Schlimme ist doch: Ein guter Film mit historischen Leerstellen wirkt aufs Publikum viel entschuldigender als ein schlechter.
Ich hole Rommel als Hitler-Verehrer ab und verlasse ihn als sein Opfer; das ist die größtmögliche Wendung einer Figur – in kürzester Zeit. Wir zeigen einen Rommel, der anfangs seinem Feldherren Hitler verspricht, den Atlantikwall zu verteidigen, und ihm die Treue schwört. Am Ende hat er begriffen, dass sein alter Förderer Hitler ein Verbrecher ist. Dazwischen liegt ein quälendes Ringen mit dem, was Rommel für Gewissen hält. Solche Wandlungen braucht jedes Historiendrama. Auch bei Hitler breche ich eher ein Tabu. Privat hat er ja nie gebrüllt wie Bruno Ganz im „Untergang“. Das berichten die meisten Zeitzeugen.
Aber zurück zu Rommel.
An den bin ich anfangs kritischer herangegangen als zum Schluss. Dass ein Günstling Hitlers in dieser Position eine solche Wendung vollzieht, nötigt mir Respekt ab.
Wie groß der von Anfang an war, zeigt die Tatsache, dass Sie Rommel nur zeigen, als er langsam vom Nationalsozialismus abrückt?
Ich glaube, das hat mit Respekt nichts zu tun, sondern mit Handwerk. Natürlich war Rommel „Nationalsozialist durch und durch“, wie General Speidel im Film sagt. Aber er hat von März 1944 bis zu seinem von Hitler befohlenen Selbstmord einen ungeheuerlichen Wandel vollzogen; das interessierte mich. Es gab zuvor einen Buchentwurf des Rommel-Biografen Maurice Philipp Remy, der 1934 ansetzte und ihn als Mann beschreibt, der schon damals regimekritisch eingestellt war. Diese These ist aus meiner Sicht nicht zu belegen.
Rommel zweifelt doch selbst später noch nicht am System, sondern am Endsieg?
Das stimmt. Seine Widerstandsentscheidung ist höchstens zu einem Drittel moralisch, der Rest war soldatisch.
Aber wer dieser Diktatur mitsamt seiner Ideologie an so einflussreicher Stelle dient und erst zweifelt, als Kinderaugen kullern, ist doch in vollem Umfang schuldig!
Sind nicht alle in vollem Umfang schuldig, die damals nicht laut Nein gesagt haben?
Der antisemitische Handwerker, der unpolitische Bauer, der Hitler-Junge nicht im Maße wie einer, der den Faschismus an vorderster Front exekutiert. Bleibt so einer trotz Wesenswandel nicht einfach ein Schwein?
Jetzt argumentieren Sie moralisch, also zutiefst deutsch. Macbeth ist ein Schwein, Wallenstein auch, beide taugen dennoch als Helden fürs Drama, weil sie ihre Kompetenz zum Handeln wie Rommel nicht nutzen, der sagt, die Sache mit den Juden sei Politik, er dagegen sei Soldat. Und er wusste von Deportationen, hatte aber anders als die Generäle im Osten keine Vernichtungslager vor Augen. Dafür war Rommel der einzige führende Militär, der etwas getan hat, nämlich ein Ultimatum an Hitler zu schreiben.
Und das Publikum wird verstehen, wer er zuvor war?
Hundertprozentig.
Hat ein Filmemacher überhaupt den Auftrag, Geschichte lückenlos verständlich zu machen?
Nicht grundsätzlich. Wenn er sich im Anschluss der Kritik stellt, hat er alle Freiheiten. Weil unser Zeitfenster die Figur Rommels bewertet, ist es also unsere Pflicht zu zeigen, wo sie herkommt, wer sie umgibt, was sie weiß. Deshalb liefern wir immer wieder Hinweise, dank derer die Zuschauer wissen, mit welcher Art Held sie es zu tun haben.
Ist „Rommel“ eine Heldengeschichte?
Der Film holt den Helden vom Sockel, um ihn an anderer Stelle zu würdigen. Er kriegt eine menschliche Note und wird sympathischer als der abgehobene Vorzeigesoldat, den etwa James Mason in „Rommel, der Wüstenfuchs“ gespielt hat.
Das war 1951. Warum muss man das Thema 2012 verfilmen?
Zum einen, weil der Streit vor 20 Jahren noch populistischer verlaufen wäre. Zum anderen gibt es wirklich schlimme Heldenfilme über Rommel, die die deutsche Kriegsschuld relativieren, den Mythos der sauberen Wehrmacht erneuern; solche Debatten beginnen ja wieder. Da hält unser Film gegen. Und wenn ich mir die Krise der Demokratie betrachte, müssen wir uns auch anhand von Filmen über den Nationalsozialismus vergegenwärtigen, wie fragil unser System ist. Deshalb wünsche ich mir mal einen Film über die Machtergreifung Adolf Hitlers.
Den gibt’s noch nicht?
Nein! Obwohl da gezeigt würde, wie aus Demokratie Diktatur wachsen kann. Friedemann Fromm dreht grad einen Film über den Reichstagsbrand, das ist sehr wichtig. Auch, wenn es da dieselben Fallstricke gibt wie bei unserem Film. Schließlich hat jeder seinen Rommel: das Feuilleton eher den bösen, Konservative den guten. Dass er uns weiter so berührt, zeigt ja, dass wir nicht 70 Jahre brauchen, um alles zu verarbeiten, sondern eher 140.
Für Filmemacher ist der doppelte Rommel perfekt.
Klar. Ich freue mich über jede Kontroverse. Nach meinem Scientology-Film „Bis nichts mehr bleibt“ wurde ich in den USA wegen Verunglimpfung einer Religionsgemeinschaft angezeigt. Bei Rommel werde ich wegen der angeblichen Nutzung von Zitaten eines späteren Holocaust-Leugners in eine braune Ecke gestellt. Das hat mich tief getroffen.
Da ging es um den Rommel-Biografen David Irving.
Den alle Biografen als Quelle benutzen, seit er 1976 die Basis der seriösen Rommel-Forschung gelegt hat. Dass er damals als erster am Mythos gerüttelt hat, liest man natürlich mit dem Wissen um Irvings heutigen Revisionismus anders.
Wenn Sie sich all die Befindlichkeiten betrachten – möchten Sie da nicht lieber wieder „Tatorte“ drehen?
Nein, am „Tatort“ hab ich mich wirklich genug abgearbeitet und bin selbst dafür geprügelt worden, weil ich mit Ulrich Tukur einst als erster keiner Erzählchronologie folgte. Da bin ich ganz froh, reale Stoffe zu behandeln wie derzeit mit Maria Furtwängler als Leni Riefenstahl.
Oha!
Genau! Dieser Figur fehlt ja die Entwicklung eines Erwin Rommel, bei dem man sich als Dramatiker in den sieben Monaten vorm Selbstmord gar nicht viel ausdenken muss. Sehr heikel. Aber ich mag heikle Stoffe.
Das Gespräch führte Jan Freitag.