Ausstellung „A Journey of Belonging“: Wolkenreliefs aus Glasscherben

Im Bikini Berlin ist für kurze Zeit die Kunst eingezogen. Seit dem 1. November entstand in der ersten Etage der Mall am Breitscheidplatz, was sonst zurückgezogen in Ateliers erdacht, gebaut, gemalt und gezeichnet wird. Wo die Fensterfront den Blick zum illuminierten Weihnachtsmarkt freigibt, herrscht drinnen konzentrierte Ruhe, auch wenige Tage vor Ausstellungseröffnung noch.

Fünfzehn junge Künstler und Künstlerinnen haben in der zum Atelier umfunktionierten Halle Arbeitsbereiche aufgeschlagen und Papier und Leinwand an die Trennwände gepinnt. In vielen Arbeiten sind Erinnerungen verarbeitet, manche sind von Schock und Schmerz gezeichnet, manche vom Alltag auf den Straßen – in ihrer Heimat in Nahost oder nun in Berlin. Die Künstler stammen aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak, ihre Arbeiten erzählen von Ausklammern und Verhüllen, von der Geburt, von Kratzern, von Wunden.

Obwohl die Neonbeleuchtung nicht optimal ist, schätzen die Künstler die Einmaligkeit dieses temporären Gemeinschaftsateliers. „A Journey of Belonging“, eine Reise der Zugehörigkeit, lautet der Titel des Projekts, für das sie sich qualifiziert haben.

Die Initiative der Atelier-Stipendien mit Mentorenprogramm geht von der CAA Berlin aus, der Contemporary Arts Alliance Berlin, einer Plattform für privates Engagement zur Förderung zeitgenössischer Kunst und Kultur, die sich für den Künstler-Nachwuchs aus allen Sparten einsetzt.

Motive zeigen Granaten, Sturmgewehre und Soldaten

Was hier besticht, ist, dass sie das Machen mit dem Vermarkten verbindet. Denn dass in ihren Herkunftsländern kaum noch ein Markt für Kunst existiert, liegt auf der Hand. Oft sind Arbeits- und Lebensgrundlagen vernichtet und mit ihnen die Kunst, die Bilder, Mappen, Objekte.

Viele Künstler mussten fliehen oder haben das Exil gewählt, einige konnten in Berlin in der Foundation Class in der Kunsthochschule Weissensee unterkommen. Wie der Bildhauer Fadi Jabour aus Damaskus. Sein Wandbehang aus Kunstpelz ist von dunkelrot-blauen Schlieren eingefärbt und verkörpert das Weiche, Warme, den Mutterleib. Ein Sehnsuchtsbild nennt er es.

Der Syrer Fadi Al-Hamwi wiederum hat mit Kohlestift großformatig ein versehrtes Rind auf dem Rücken liegend aufs Papier gerieben, ein Gerippe, wie eine Röntgenaufnahme aus Kriegserfahrung, oder der kleine, zu Beton gewordene Teppich, der die erschreckende Transformation des Alltäglichen zeigt.

Gegenüber knüpft die gebürtige Afghanin Jeanno Gaussi lange schwarze Wollfäden zu Zöpfen und Geflechten. Intime Zeichen, die die Verflechtungen von Familie und Gesellschaft symbolisieren. In ihrem „War Rug Project“ geht Gaussi, die bei der Documenta 13 vertreten war, dem kuriosen Phänomen der Kriegsteppiche nach, die militärische Motive zeigen: Granaten, Sturmgewehre, Soldaten.

Brisant und frisch aus dem Atelier

Entstanden ist dieses Genre wohl erstmals nach dem Einmarsch der Sowjets 1979 in Afghanistan und der Flucht vieler nach Pakistan. Khaled Al-Boushi wiederum bezeichnet seine dichten, wie kalligrafierten Abstraktionen als Energiefelder. Und Ahmed Ramadan erklärt, dass seine Wolkenreliefs aus Glasscherben von der Absperrmauer seiner Schule in Syrien inspiriert sind. Hiba Al-Ansari, die bei Gregor Schneider in München studiert hat, stickte in eine Bettdecke die Grundrisse ihres zerstörten Stadtviertels, und aus Rissen quillt Schafwolle.

Von den Köpfen und Figuren in seinen Druckgrafiken behauptet Yaser Safi, dass er solche täglich auf den Straßen sehe, jetzt in Neukölln, früher in Damaskus, wo er Radierkunst an der Kunsthochschule unterrichtete, bevor er fliehen musste und hier fast bei Null wieder anfing.

Es ist ein kohärentes Projekt, mit Anschubmentoring. So geht es zum Auftakt der Schau, die Achmed Ramadan kuratiert, in einem Talk um die Fragen: Wie funktioniert das hiesige Kunstsystem, welche Diskurse laufen, welche Netzwerke sind nötig? Norbert Bisky, Nasan Tur oder Rebecca Raue unterstützen die Stipendiaten. Und am Eingang ist ein Pop-up Store mit Kunsthandwerk eingerichtet. Schließlich ist das Bikini Berlin eine Shopping Mall. Nun auch mit Kunst zum Erwerb, brisant und frisch aus dem Atelier.

A Journey of Belonging 14.-22.12., Bikini Berlin, Budapester Str. 38-50, Talk: 14. 12., 18 Uhr mit Norbert Bisky und Nasan Tur.