Ausstellung: Thema verloren, Chance vertan
Zerstörte Vielfalt. Berlin 1933 bis 1938“ heißt die Ausstellung. Und so heißt auch das Ganze. Das sind die mehr als 500 Veranstaltungen an weit über einhundertundzwanzig Orten in der Stadt. Eine gigantische Angelegenheit.
André Schmitz, Kulturstaatssekretär der Stadt Berlin, platzte vor Stolz oder tat doch so, als er das Unternehmen vergangenen Montag im Zeughaus-Kino der Presse vorstellte. Die Ausstellung, die vom 31. Januar bis zum 10. November 2013 im Deutschen Historischen Museum (Ausstellungshalle Erdgeschoss) gezeigt wird, nennen die Veranstalter „Portalausstellung“. Die Vorstellung ist wohl: Der Besucher tritt durch das Portal des Berliner DHM, betrachtet dort die Ausstellung, beflügelt davon, wendet er sich zum Beispiel einer Vitrine auf dem Kurfürstendamm zwischen Fasanen- und Bleibtreustraße zu und lässt von ihr über das jüdische Leben am Kurfürstendamm zwischen 1933 und 1945 aufklären.
Eine aberwitzige Vorstellung. Aber, die Idee der Vitrine gefällt mir. Sie wird funktionieren wie diese großartigen Stolpersteine. Wünschenswert wäre freilich, wenn auch in den Rathäusern daran erinnert würde, was dort geschah. Oder gar ein Raum im KaDeWe freigemacht würde, um zum Beispiel den Nazihass auf die jüdischen Kaufhäuser in Erinnerung zu rufen. Aber das alles hätte schon längst passieren können, ist hie und da ja auch schon längst passiert. Das alles hat allerdings nichts mit der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum zu tun. Ein Raum, in dem allerhand herumsteht. Plakate, Fotos, Filmbilder, eine Schreibmaschine mit einem Text von Gabriele Tergit darin.
Alles nur zusammengetragen
Hier wurde zusammengetragen, was dem einen oder dem anderen einfiel. Zum Nationalsozialismus, zur politischen Verfolgung, zur sogenannten Rassenpolitik. Wenn das hier aber eine Portalausstellung sein soll, dann müsste es so etwas wie eine Einführung in das Thema bieten. Aber niemand – ganz sicher keiner der Organisatoren – hatte wohl eine Ahnung, was das Thema sein sollte.
Das Ganze heißt jetzt „Zerstörte Vielfalt“. Ein unangenehm abstrakter Titel. Aber er trifft die Sache genauer, als die Ausstellungsmacher ahnen. Die Vielfalt war nämlich nicht etwas, das die Nazis zerstörten, weil sie ihre Dinge an deren Stelle setzten. Die Vielfalt war das, was sie zerstören wollten. Und nicht nur die Nazis. Welche Vielfalt? Wie wurde sie zerstört? Nirgends wird das gezeigt. Nirgends erklärt. Das erste, das der Besucher sieht, wenn er die Ausstellung betritt, sind Aufnahmen vom Großstadtverkehr. Die ganze Dummheit – man verzeihe mir das Wort, aber ich versuche nur möglichst genau zu sagen, was ich vor Augen habe – der Ausstellungsmacher, wird hier schon deutlich. Sie bringen es fertig und zeigen exakt das, das sich nicht änderte. Das Verkehrsaufkommen in der Reichshauptstadt blieb nach 1933 dasselbe. Hier wird in Bildern nicht gedacht sondern geschludert. Die Ausstellungsmacher finden den Großstadtverkehr modern und die Nazis antimodern. Also her mit der Großstadt und ihrem Verkehr.
Warum können nicht an einer Wand stehen: Ein Volk, ein Reich, ein Führer? An einer anderen ein paar Zahlen. Zum Beispiel: Menschen aus wie vielen Völkern gab es vor 1933 in Berlin? Wie viele Parteien gab es in und außerhalb des Parlaments? Wie viele Turnvereine und andere Organisationen? Wie viele Gewerkschaften? Wie viele Schwulen- und Lesbenlokale? Wie viele Synagogen, wie viele Moscheen und buddhistische Tempel?
Antidemokratie als Programm
Die Vielfalt, gegen die die Nazis sich richteten, umfasste Politik, Wirtschaft, Kultur und Privatleben. Es ging darum, das Führerprinzip durchzusetzen. Das vermittelt die Ausstellung nicht. Das sieht sie nicht einmal. Freie Wahlen für Männer und Frauen, Versammlungs- und Organisationsfreiheit. Das war neu. Das war ein Geschenk der „Novemberverbrecher“, ein Import aus dem nicht nur bei den Nazis verhassten Westen. Damit aufzuräumen, die Demokratie abzuschaffen – das war das Programm der Nazis und nicht nur ihres.
Die Ausstellung „Zerstörte Vielfalt“ müsste eine Darstellung der Gleichschaltung sein. Das ist sie keine Minute lang. Sie verliert ihr Thema nicht erst im Gestrüpp der Einzelheiten. Sie hat es zu keiner Zeit im Blick. Wir bekommen weder die Vielfalt zu sehen, noch wie sie zerstört wurde und schon gar nicht, was an deren Stelle gesetzt wurde. Eine völlig vertane Gelegenheit.
Ich freue mich auf die Vitrinen und Stolpersteine, auf die anderen Ausstellungen, die zu Recht sich den einzelnen Aspekten widmen werden. Hier im DHM hätte der Zusammenhang gezeigt werden müssen. Die Geschichte der politischen, administrativen, ökonomischen, kulturellen, künstlerischen, sexuellen Gleichschaltung. Die Zurichtung des Volkskörpers. Die systematische Ermordung der Anderen.
Diese Gelegenheit ist mit viel Geld und noch mehr Ignoranz vergeigt worden.
DHM,Berlin, Unter den Linden 2. Bis 10. November, täglich 10–18 Uhr.