Autorentheatertage im DT: Interview mit Schauspielerin und Jurorin Steffi Kühnert
Das Deutsche Theater veranstaltet ab Donnerstag − wie seit 2010 jährlich − mit den Autorentheatertagen ein eigenes kleines Theatertreffen, das eine Auswahl bemerkenswerter Uraufführungen der Saison nach Berlin einlädt. Die „Lange Nacht der Autoren“, für die eine Jury aus 113 Einsendungen drei neue Stücke zur Uraufführung auswählt, krönt das zehntägige Festival. Neben der Kritikerin Esther Boldt und der Filmemacherin Valeska Grisebach gehört in diesem Jahr die Schauspielerin und Regisseurin Steffi Kühnert der Jury an. Wir haben mit ihr über ihren Blick auf die deutsche Gegenwartsdramatik gesprochen.
Frau Kühnert, Sie hatten in diesem Jahr das Vergnügen, aus über hundert neuen Stücken die drei besten ausfindig zu machen. Wie schafft man das und wie vergnüglich war es?
Es war auf jeden Fall unheimlich interessant zu sehen, was gerade so los ist beim Schreiben. Ich habe aber schon lange überlegt, ob ich das überhaupt machen kann − man sitzt das ja nicht auf einer Arschbacke ab. Und wenn ich was lese, dann richtig, nicht so querbeet. Esther Boldt hat die große Vorarbeit geleistet. Valeska Grisebach und ich haben dann ein letztes Konzentrat aus ungefähr dreißig Stücken durchgepflügt.
Den ganzen Winter über ...
Oktober, November. Im Dezember sollte die Entscheidung stehen, damit die drei koproduzierenden Häuser − das Schauspiel Graz, das Zürcher Neumarkt Theater und das DT selbst − die Inszenierungen vorbereiten können. Denn das ist doch überhaupt das Schönste an der ganzen Veranstaltung, dass es drei Theater gibt, die sich quasi blind darauf einlassen, drei unbekannte Stücke von drei unbekannten Autoren aufzuführen. Wir haben also gelesen, diskutiert, auch heftig diskutiert, und dann lagen drei auf dem Tisch.
Die heftigen Diskussionen würden mich interessieren: welche Kriterien gab es oder müssen gute Stücke ihre Kriterien selbst schaffen?
Vielleicht auch. Feste Erwartungen habe ich erst mal keine. Ich lasse mich gern überraschen, verführen, überzeugen. Möchte aber schon auch einfach ergriffen werden, nicht gelangweilt. Obwohl ich weiß, dass auch Langeweile schon wieder ein gutes Stück ergeben kann.
Aber was ein gutes Stück nun sei − wurde das vorher besprochen?
Erst mal nicht, später rüttelte sich das auseinander. Da gab es dann das dramaturgische Denken einerseits, das die sprachlichen und gedanklichen Entwürfe immer besonders herausstellte, und daneben dann mein praxisorientierter, sinnlicher Blick. Zu beurteilen, ob dies oder das nun eine besonders tolle, neue Schreibtechnik ist, fehlt mir die Erfahrung. Viel Erfahrung aber habe ich im Spielen und mit der Bühne. Außerdem klingeln mir die Kollegen im Ohr, die sagen: „Na denn such ma wat Vanünftjet!“ − was Spielbares also. Das ist mein Ansatz.
Spielbar – was heißt das?
Stücke, in denen es Situationen gibt, nicht nur Zustände. Situationen, die spielerisch entstehen können. Szenen, die einen Spannungsbogen hergeben, in denen Menschen miteinander kommunizieren. Das heißt, dass man sich beim Lesen schon eine Umsetzung vorstellen kann. Ein Stück ist für die Bühne gemacht, sonst kann man Prosa oder Gedichte schreiben. Große Gedanken, spannende geistige Entwürfe – das mag alles in Texten stecken, aber was ist das auf dem Theater?
Haben Sie das Spielerische gefunden?
Glauben Sie mir, wir haben die beste Auswahl getroffen, die zu finden war. Ein guter Kompromiss.
Interessant, dass Sie Kompromiss sagen. Nach der Lektüre der drei Stücke, kann ich nur bei einem die Nominierung ansatzweise verstehen. Bei dem der Lübeckerin Svealena Kutschke, das einer Handvoll Bewohnern eines Pankower Mietshauses beim Nachdenken über sich selbst, die Nachbarn und die Welt zusieht. Für alle drei scheint mir das Motto bezeichnend, das die Südtirolerin Eleonore Khuen-Belasi ihrem Text voran stellt: „Dies ist ein Vektorenverhältnis“. Sagt dieses „Vektorenverhältnis“ etwas über Gegenwartsdramatik an sich aus?
Vielleicht. Eine fertige These dazu habe ich nicht. Auffällig für mich ist, dass neue Stücke partout keine Dialoge mehr haben, dafür seitenlange Statements abgeben: Monologisieren. Es gibt Zustandsbeschreibungen, aber es entsteht nichts daraus, keine Prozesse. Warum ist das so? Kämpft jeder nur noch für sich? Will jeder nur noch seine eigenen Befindlichkeiten austragen? Ist es womöglich zu schwer, Dialoge zu schreiben? Oder ist es nur nicht mehr angesagt, zu altmodisch? Ich weiß es nicht.
Es gibt Kritiker, die sagen, die Form des Theaterstücks verschwinde überhaupt, weil allmächtige Regisseure sich nur noch für Romane, Filme oder Performance interessierten. Sie inszenieren seit 2017 selbst. Verhindert eigenwilliges Regietheater starke Gegenwartsdramatik?
Zugegeben hat es neue Dramatik schwer, gespielt zu werden. Ich selbst habe in meiner langen Bühnenkarriere nur wenig neue Stücke gespielt. Aber die sind eben auch schwer zu spielen − weil es einfach wenig darin zu spielen gibt. Wer aber wen zuerst verhindert, ist wie die Frage nach der Henne und dem Ei.
Würden Sie dem Eindruck zustimmen, dass Gegenwartsdramatik sich immer mehr in höchsten Formwillen versteigt, die inhaltliche Rückbindung aber im Flachland zurück lässt?
Eigentlich ja. Und trotzdem finde ich es toll, dass junge Autoren den Mut haben, sich auszudrücken. Ich würde sie gern selbst fragen, warum sie so schreiben. Ist es vielleicht nur die Angst, als konventionell zu gelten, wenn man einfach mal Situationen und Figuren schafft, und mit ihnen die Grundfragen stellt? Für das Schauspiel ist das immer noch das Wichtigste. Im Detail ist es auch viel schwerer, in Dialog zu treten, als sich einfach an die Rampe zu stellen und etwas zu behaupten. Natürlich kann es das auch geben, aber wer einen handwerklichen Hintergrund hat, dem reicht das nicht.
Wenn Sie von Hintergrund und Handwerk sprechen, meinen Sie die Ernst-Busch-Schule. Sie haben in den Achtzigern dort studiert und sind seit 2009 dort Professorin. Was meint die von Brecht kommende Spieltradition dieser Schule? Ist ihr „denkendes Spielen“ wirklich so ein Gegensatz zu heutigen, performativen Spielweisen oder gar eine Hinleitung?
Für mich ist das erst mal die Grundfeste und eine Art Schutz, der alles weitere ermöglicht. Ich nehme gern das Beispiel von Picasso, der erst mal wunderbar zeichnen konnte und damit frei wurde für andere Wege in der Kunst. In der Ernst-Busch-Schule hat man nicht gelernt, einfach einen gegebenen Zustand einfühlend wiederzugeben, sondern sich Situationen zu erspielen. Gerade das ist das Schöne: das Spielen! Das hat viel mit Ensemble zu tun, mit einem gemeinsamen Prozess, in dem man sich mitdenkend, empathisch auf etwas richtet. Das ist alles höchst veränderbar, dennoch sind das Grundlagen. Was neue Stücke so spielfern macht, ist, dass sie Figuren oft nur aus sozialen Gesten zusammensetzen, ohne Umfeld. Es werden einem Typen in den Mund gelegt, die nur gesetzt, nie hinterfragt, geschweige denn dialogisch bewegt werden. Wir hatten gerade gestern eine methodische Konferenz in der Busch und da haben wir genau darüber gesprochen.
Was kam da heraus, wird der Lehrplan umgeschrieben?
Nein. Das spielerische Fundament bleibt die beste Grundlage − auch für das Performative! Wenn nur noch monologisiert wird, ist das Theater bald eine Art Laufsteg.
Wäre mehr Austausch zwischen Schauspiel- und Schreibschulen nützlich?
Das wäre eigentlich das Beste.
Autorentheatertage 30.5.–8.6. im Deutschen Theater, Programm: deutschestheater.de