Baru: Jetzt mal wieder Klassenkampf

Drogenprobleme, Kindesmissbrauch, Zwangsverheiratung: Kein noch so politisches oder existenzielles Thema ist dem Comic fremd. Bleischwerer Ernst tobt sich mitunter in den Bildergeschichten aus – aber nur wenige Zeichner verstehen ihn so mit den komischen Seiten des Genres zu verbinden wie Baru. Dem 1947 geborenen Hervé Barulea, wie er im wirklichen Leben heißt, ist nichts Menschliches fremd. Seine Geschichten handeln von den Zukurzgekommenen und Abgeschriebenen, den Gehassten und Geschassten. Und sie zeigen dieses abwegige Personal in seiner ganzen Anmut und Würde, in seinem verzweifelt-stolzen Eigensinn: eine anrührende Tristesse und Majestät zugleich.

Baru beschönigt nichts. Seine Comics zeigen den Klassenkampf. Sehr gut lässt sich das jetzt in einem Band mit frühen Kurzgeschichten sehen: „Schönes Neues Jahr“ (Edition 52, Wuppertal). In den mit energischen Strichen gezeichneten Miniaturen arbeitet sich der Künstler entschlossen an sein großes, in den 1980ern für den Comic allerdings noch ungewöhnliches Sujet heran: die Milieustudie, die Sozialreportage – gewürzt mit viel Action und Komik.

Das ist immer auch beste Unterhaltung. Baru will den Leser für sein Thema gewinnen und geizt nicht mit Schauwerten: Autojagden, Schlägereien und Schießereien. Und wie selbstverständlich geht es hier um Sex, Drogen und Gangster, aber auch den Überwachungsstaat, Rechtsextremismus und korrupte Polizisten. Baru zeigt uns in den zwischen den 1980er und 1990ern entstandenen Geschichten seine düstere Vision von der näheren Zukunft und zeichnet ein präzises Bild von der gereizten Stimmung, die sich erst 2005 als dreiwöchiger Aufstand in den französischen Vorstädten entladen sollte.

Baru ist ein Romantiker

In seinen frühen Arbeiten ist schon Barus große Fähigkeit zur Empathie zu bemerken: Er verrät seine Figuren nicht und gibt sie niemals der Lächerlichkeit preis. Meisterhaft sollte er das später in seiner Kleinkriminellen-Groteske „Elende Helden“ (2009) umsetzen oder in dem Comic „Hau die Bässe rein, Bruno“ (2011), der ebenfalls im Gauner-Milieu spielt und sich äußerst beherzt der Papierlosen annimmt.

Doch Baru kann auch anders. Gerade sind „Die Sputnik-Jahre“ neu aufgelegt worden (Reprodukt, Berlin). Die Geschichte spielt in einem lothringischen Industriestädtchen, Baru ist in einem solchen aufgewachsen, und erzählt eine Art klassenkämpferisch gewendeten „Krieg der Knöpfe“. Zurück ins Jahr 1957: Die Sowjetunion schickt gerade eine piepsende Metallkugel um den Globus, doch der kleine Igor interessiert sich nur fürs Indianer- und Fußballspiel und ansonsten dafür, wie er die Jungs aus der ärmeren Unterstadt besiegen kann. Dann aber findet er Sprengstoff und will eine Mondrakete wie aus „Tim und Struppi“ bauen …

Gewiss trägt diese Geschichte autobiografische Züge. Vor allem aber ist sie ein Beispiel dafür, wie hervorragend sich ein Comic auch als kindgerechtes Medium für politische und historische Themen eignet – ohne Anbiederei ans jugendliche Publikum. Auch hier verzichtet Baru nicht auf die dichte Beschreibung sozialer Verhältnisse. Darüber hinaus sind „Die Sputnik-Jahre“ ein beeindruckendes Exempel seiner Erzähl- und Zeichenkunst. Baru, der Autodidakt, schafft mit wenigen Strichen und einem bedachten wie kräftigen Farbeinsatz das stimmige Panorama einer längst untergegangen – fortschrittsgläubigen – Industrieepoche.

Dabei nimmt er auch den kommunistischen Proletenkult auf die Schippe. Doch zum Schluss der Geschichte vereinen sich die Kinder aus der Ober- und der Unterstadt und vermöbeln die in Kompaniestärke angerückte, doch immer nur den Kapitalinteressen dienende Gendarmerie. Baru ist ein Romantiker. Und was für einer.