Bergen will Verbrechen der Wehrmacht verschweigen

Wenn Lokalpolitik auf soziale Medien trifft. Eine kleinkarierte Debatte zum Weltfriedenstag zieht weite Kreise.

Gedenkstein am Konzentrationslager Bergen-Belsen, Niedersachsen.
Gedenkstein am Konzentrationslager Bergen-Belsen, Niedersachsen.Image Broker/Manfred Vollmer

Berlin-Wer hätte gedacht, dass man heutzutage über diesen Satz geteilter Meinung sein kann: „Während des Zweiten Weltkriegs haben SS und Wehrmacht vor unserer Haustür unvorstellbare Verbrechen begangen.“ So heißt es in einer Erklärung zum 21. September, dem Weltfriedenstag.

Die Bürgermeisterin des niedersächsischen Städtchens Bergen, Claudia Dettmar-Müller (parteilos), hat diese Erklärung gemeinsam mit Jens Christian Wagner, dem Leiter der ortsansässigen Gedenkstätte Bergen-Belsen, verfasst und am vergangenen Montag auf dem Friedensplatz verlesen. Mitgetragen, so hieß es in einer Pressemitteilung, werde die Erklärung von „vielen Parteien, Institutionen, Gewerbetreibenden und Vereinen der Stadt“. Das ist etwas schwammig, weil es aus Zeitgründen keinen diesbezüglichen Ratsbeschluss gegeben hat.

Offenbar fühlten sich Ratsmitglieder übergangen, und sie nutzten dann die Sitzung drei Tage nach der Verlesung für eine Debatte. Ein Vertreter der FDP wehrte sich dagegen, die Verbrechen von SS und Wehrmacht in einen Topf zu werfen, man solle „Teile der Wehrmacht“ formulieren. Ein SPD-Vertreter pflichtete bei, indem er einen Genossen zitiert, dessen Vater bei der Wehrmacht gewesen sei und sich keines Verbrechens schuldig gemacht habe. Jemand von der CDU plädierte dafür, die Wehrmacht ganz aus dem Satz zu streichen. Dies kann man alles in den Lokalblättern von Celle online nachlesen. Wir wären vermutlich nie darauf gestoßen, wenn diese Blamage nicht bei Twitter die Runde machte.

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Welche lokalpolitischen Machtkämpfe, semantischen Verrenkungen oder unangefochtenen Vaterhelden die Streitenden auch immer dazu bewogen haben sollten, ihrer Bürgermeisterin so in den Rücken zu fallen und dem eingangs erwähnten Satz die Wahrheit abzusprechen – das alles spielt in der Empörung nun keine Rolle mehr. Es hätte ein einziger Schritt zur Seite genügt, um ausreichend Abstand zu gewinnen und sich darüber klar zu werden, was von diesem Vorgang übrig bleibt. Siehe Überschrift.