Berlinale: Die großen Filmdeals werden hinter den Kulissen gemacht
Fernab von den Stars und der Kunst schlägt das wirtschaftliche Herz der Berlinale: Beim European Film Market werden Millionendeals abgeschlossen. Ein Besuch.

Dennis Ruh, der Leiter des European Film Market, ist seit 9 Uhr in seinem Büro. Er eilt an diesem Tag von einer Konferenz zur nächsten oder führt politische Delegationen durch die Gänge des Martin-Gropius-Baus. Das ist während der Berlinale sein tägliches Geschäft.
Mit Mitgliedern des Berliner Abgeordnetenhauses lief Ruh während der Messe anderthalb Stunden lang über den Markt und erklärte ihnen, wie die Börse funktioniert – an den Ständen der baltischen Staaten, der USA, von Thailand, Japan oder Großbritannien. Oder der Karibik mit ihrer aufstrebenden jungen Filmszene, die bislang kaum auf sich aufmerksam machen konnte.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) kam gleich zweimal zur Messe, auch wegen der Ukraine. „Wir haben einen ukrainischen Stand organisiert und die Filmschaffenden unterstützt – bei der Anreise, bei diversen Genehmigungen und auch mit finanziellen Mitteln“, sagt Dennis Ruh. Die Solidarität mit dem Land war in der Branche groß: „Es war eine sehr politische Berlinale in diesem Jahr.“
Dennis Ruh leitet seit 2020 den EFM. Er übernahm das Ruder in stürmischen Zeiten. Corona grassierte, die Börse fand nur noch online statt. Ihm fehlten neben den Gesprächen und Runden das Umarmen, Händeschütteln; einfach der Kontakt von Mensch zu Mensch. So nämlich funktioniert das Geschäft.
Der EFM-Chef sagt: „Das Filmbusiness ist ein Peoplebusiness. Es ist ein Geschäft, das sehr stark aus Netzwerken besteht. In den Filmen steckt viel Passion, viel künstlerisches Schaffen.“ Und daher brauche es diesen Treffpunkt. Er sitzt auf dem Sofa in seinem Büro, fährt fort: „Ich habe auch noch nie von einer Koproduktion gehört, bei der sich die Produzent:innen nicht persönlich irgendwo getroffen und dann einen Film miteinander umgesetzt hätten. Es braucht einfach dieses gegenseitige Vertrauen, den Austausch, und das hat in den letzten zwei Corona-Jahren einfach gefehlt.“
Es gab einen sehr großen Optimismus, auch was das Vertriebsgeschäft angeht.
Diesmal sei es ein besseres Gefühl gewesen, sagt er: „Ich habe in diesem Jahr unsere Aussteller und Austellerinnen, Verleiher und Verleiherinnen getroffen und gemerkt, dass die Leute mit einem großen Lächeln auf dem Gesicht unterwegs waren und sich einfach total gefreut haben, dass sich dieser Kreis jetzt wieder geschlossen hat.“ Es habe einen sehr großen Optimismus gegeben, „auch was das Vertriebsgeschäft angeht, das hier sein Zuhause hat“.
Das ist bitter nötig, denn auch das Kino und damit der Film litt die vergangenen Jahre – die Zuschauerzahlen gingen zurück. Dafür schossen Streamingdienste aus dem Boden. Inzwischen hat sich der Markt ein wenig erholt. Im zurückliegenden Jahr 2022 seien 73,5 Millionen Tickets verkauft worden, so Branchendienste. Das seien zwar deutlich mehr als im Jahr 2021 (+83 Prozent) gewesen, aber noch immer weniger als 2019 vor Beginn der Pandemie (-33 Prozent). Der Ticketumsatz habe bei 694 Millionen Euro gelegen, im Vergleich zum Jahr 2019 sei das noch ein Minus von 28 Prozent.
Dennis Ruh nippt an seinem Kaffee. Wie die Zuschauer zurück ins Kino geholt werden könnten, das sei die große Frage, die die Branche beschäftige. Eine Frage, die auch mit Förderungen verknüpft sei. „Wichtig sind vor allem auch die jungen Zuschauer:innen. Das funktioniert nicht ohne ein gewisses Investment, nicht nur allein wirtschaftlich. Das ist aber nicht nur ein Thema beim EFM, sondern gesamtgesellschaftlich, wie auch kulturpolitisch. Ich bin sehr gespannt, was zum Beispiel Claudia Roths Initiative, der KulturPass für 18-Jährige, der auch Kinobesuche beinhalten soll, bewirken wird.“ Er stellt seine Tasse wieder auf den Tisch.
Berlinale: Ab 23 Uhr ging auf dem Festivalgelände das Licht aus
In seinem Büro steht eine großzügige Sitzecke, an der Wand hängt das diesjährige Berlinale-Plakat der Berliner Grafikerin Claudia Schramke. Dunkler Hintergrund, ein bisschen rot, wieder dunkle gemalte Menschen im Kinosaal. Die Farbauswahl wirkt in dem Licht gut, das durch das große Fenster fällt. Abends allerdings versank das Werk während der Berlinale in der Dunkelheit. Auf dem Festivalgelände sahen es die Menschen kaum noch, weil ab 23 Uhr das Licht abgeschaltet worden war. Bundesweite Energiesparmaßnahmen wegen der Folgen des Krieges in der Ukraine. Im Martin-Gropius-Bau durfte auf nicht mehr als 19 Grad geheizt werden. Dennis Ruh, der Kulturwissenschaft, audiovisuelle Kommunikation, Soziologie und Geschichte in Bremen und Valencia studierte, fand die Temperaturen angenehm.
Etwa zehn Meter von Dennis Ruhs Büro entfernt geht es an den Messetagen zu wie in einem Bienenstock. Filme und Produktionen werden im Martin-Gropius-Bau angeboten wie edle Seide, verpackt in bunte Prospekte mit schönen Bildern. Hier, im Herzstück der Berlinale, wird mit Geschichten gehandelt, Filmverleihe sind auf der Suche nach guten Stoffen, die auf die Leinwand gebracht werden sollen.
Für die Anbieter bedeutet dies: Man muss die Verleiherprofile kennen; wissen, wem man welchen Stoff offerieren kann. Ein guter Verkäufer muss man sein, ein bisschen Marktschreier, ein bisschen Diplomat. „Es braucht Geschick“, sagt ein britischer Händler. Er grinst: „Die Verhandlungen finden allerdings im Geheimen statt.“
Für die Filmwirtschaft ist es eine zentrale Veranstaltung, weil der EFM das wirtschaftliche Rückgrat der Berlinale ist.
Denn es gehe immerhin um die Ware Film; darum, die Zuschauer in ferne, fremde oder sehnsuchtsvolle Welten zu ziehen. Doch bevor ein Film in die Kinos kommt, hat er schon eine lange Strecke hinter sich. Das Drehbuch wird geschrieben, eine Produktionsfirma organisiert und der Dreh finanziert, Klinken werden geputzt bei den Förderanstalten und weiteren Geldgebern. Dann muss der Film noch an eine Verleihfirma verkauft werden. Die wiederum bringt den Film in die Kinos – der Kreislauf schließt sich, und das alles geschieht auch auf der Berlinale.
Dennis Ruh nickt: „Für das öffentliche Auge ist es sicherlich eher eine Veranstaltung, die im Hintergrund stattfindet. Für die Filmwirtschaft ist es eine zentrale Veranstaltung, weil der EFM das wirtschaftliche Rückgrat der Berlinale ist.“ Markt und Festival bedingten sich dabei gegenseitig. Die Filme, die im Berlinale-Programm laufen, gehen in den EFM-Handel. In diesem Jahr sind auch wieder etablierte deutsche Regisseure und Regisseurinnen vertreten gewesen, allein im Wettbewerb waren es fünf. Ein bekannter Name hilft im Vertriebsgeschäft. Für die Filme von Christian Petzold beispielsweise gibt es in Frankreich längst eine große Liebhaberschaft.

60 Millionen Dollar für die Filmrechte an „Ein Mann namens Otto“
Auf dem EFM werden regelmäßig Millionendeals abgeschlossen, so auch im vergangenen Jahr, trotz Corona und Onlinehandel. Ganze 60 Millionen Dollar wurden für die internationalen Verwertungsrechte von „Ein Mann namens Otto“ von Marc Forster mit Tom Hanks in der Hauptrolle gezahlt, der Anfang Februar in die deutschen Kinos kam. „Das war ein außergewöhnlich hohes Volumen. Doch auch in diesem Jahr sieht es so aus, dass das Verkaufsgeschäft gut läuft“, sagt der EFM-Leiter.
Am Donnerstag präsentierte er die Zahlen: Es gab 230 Stände, 612 Firmen aus 78 Ländern und insgesamt mehr als 11.500 Fachbesucher aus 132 Ländern. 773 Filme wurden in 1533 Screenings, darunter 647 Online-Screenings und 599 Marktpremieren, gezeigt. Auch die Zahl der insgesamt 1302 Käufer wuchs an. Auf den neuen Producers & Project Pages wurden 629 Filmprojekte präsentiert. Das sei „eine Rekordbilanz“, so der EFM. Die Messe habe damit ihre Position als eine der international bedeutendsten Plattformen für den Handel mit audiovisuellem Content „eindrucksvoll unter Beweis gestellt“.
Dokuserien sind ein Trend, den wir auch beim Berlinale Series Market diskutiert haben.
In diesem Jahr liefen Actionfilme gut, genau wie starbesetzte Hollywood-Blockbuster. Dennis Ruh sagt, dass auch das Format Serien nach wie vor sehr gefragt sei, wie „Babylon Berlin“, aber auch jetzt „Der Schwarm“, der inzwischen in der ZDF-Mediathek läuft. „Historische Stoffe verkaufen sich auch sehr gut. Und Dokuserien sind ein Trend, den wir auch beim Berlinale Series Market diskutiert haben. Und natürlich deutsche Filme wie „Im Westen nichts Neues“ – der ist gerade das Aushängeschild wegen der insgesamt neun Oscar-Nominierungen und den sieben BAFTA-Auszeichnungen“, so der EFM-Direktor.
Er fügt hinzu: „Ein Genre, das man noch herausheben könnte, sind Animationsfilme. Sie sind der absolute internationale Verkaufsschlager, da sie einfacher in unterschiedlichen Territorien auszuwerten sind, weil es weniger kulturelle Hürden gibt.“ Dass zum Beispiel deutsche Komödien im Ausland nicht so gut funktionierten, sei kein Geheimnis: „Der deutsche Humor ist international einfach oftmals nicht so gut verständlich.“
Humor sei eine sehr kulturelle Geschichte. „Fack ju Göhte“ war dabei eine Ausnahme. Der Film war in Deutschland sehr erfolgreich und wurde auch weltweit gut verkauft: Von Frankreich, Italien, Polen, Tschechien über die GUS-Staaten, Kasachstan und Kirgistan bis nach Südkorea und Taiwan, sagt Dennis Ruh. Dann steht er auf, er hat noch mehrere Termine, bis spät abends. Der Handel schläft während der Berlinale nicht. Und auch nicht danach.