Sexuelle Belästigung: „Ich will, dass dieser Albtraum endlich endet“
Unsere Autorin hat in ihrem Alltag schon oft sexuelle Belästigung durch Männer erlebt. Das Muster ist fast immer dasselbe, egal wo. Eine Streitschrift über das Ende ihrer Geduld.

„Hi!“, „Hallo“, „Bist du allein unterwegs?“ – „Oh, ganz allein, wieso das denn?“ Der ungefähr 40 Jahre alte Mann an einem kleinen Bahnhof im Schwarzwald lässt mich einfach nicht in Ruhe. Er fragt mich aus, wo ich wohne, wo ich hinfahre. Er nehme denselben Zug wie ich, wolle mich zu Hause besuchen kommen. Er macht mir Angst.
Es ist ein verregneter Wintertag. Vor einem Vierteljahr bin ich von Berlin nach Freiburg gezogen. Ich habe mich dafür entschieden, die Feiertage alleine im Schwarzwald zu verbringen, um mich dort etwas zu erholen, das vergangene Jahr zu rekapitulieren und mir Gedanken über das kommende zu machen. Ich spürte eine innere Ruhe, die mir in all den Jahren in Berlin fast gänzlich abhanden gekommen war.
Aber die mich belästigenden und bedrängenden Männer holen mich auch im Schwarzwald ein. Und so sitze ich eine Stunde später im Zug und verspüre nur noch Wut. Von der Ausgeglichenheit ist nichts übrig, alles in mir spannt sich in mir an. Mein Herz schlägt schnell, ich gehe in meinem Kopf verschiedene Szenarien durch, wie diese Situation hätte ausgehen können. Ich hätte gar nicht auf seine Fragen eingehen dürfen, ich hätte laut werden, mich woanders auf das Gleis stellen müssen. Hätte, hätte, hätte. Als 28-jährige Frau habe ich noch immer keine effektive Strategie gefunden, um mit sexueller Belästigung klarzukommen.
Es gibt keine richtige Art, mit Belästigung umzugehen
Ich bin wütend auf mich selbst. Ich vergleiche den Vorfall mit den knapp 100 anderen, die mir bereits widerfahren sind – eigentlich habe ich dabei vor allem eines gelernt: dass es keine richtige Art gibt, mit Männern umzugehen, die ein Nein nicht akzeptieren. Denen es egal ist, ob sie einer Frau Angst machen, mehr noch: denen dies sogar gefällt.
Unabhängig davon, wo ich mich befinde, egal, ob ich am hellen Tag mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs oder nachts auf einer Party bin, ob ich einen Jogginganzug trage oder einen kurzen Rock. Sie sehen mich alle mit demselben Blick an. Sie lächeln. Aber das ist kein Lächeln, das etwas Positives in mir auslösen würde. Es ist ein gieriges Grinsen. Ihre starren Blicke geben mir das Gefühl, ich sei eine leere Hülle, ein Stück Fleisch. In dieses Gefühl mischt sich Angst vor der Unberechenbarkeit meines Gegenübers. Und dann werde ich wieder wütend, weil ich mich von der Angst dazu bringen lasse zu überlegen, wie ich vermeiden kann, Männer zu provozieren. Und trotzdem, es passiert ständig. Wie damals, einen Tag vor meinem Geburtstag.
Ich war ein paar Tage allein in Rom, ich reise gern alleine. Am ersten Tag meiner Reise verlasse ich mein Apartment und merke sofort, wie Blicke an meinen Beinen und an meinem Dekolleté hängen bleiben. Es dauert keine fünf Minuten, bis ich von einem Mann belästigt werde: Woher ich komme, will er wissen, welche Sprache ich spreche. Ob ich allein sei, ob ich etwas trinken möchte – nur einen Kaffee, nur eine Stunde! Nein? Nicht jetzt? Wann würde es passen? Freitagabend? Nein, sage ich. Ich möchte nicht. Ich habe kein Interesse. „Ich treffe meinen Freund“, lüge ich, damit er nicht weiß, dass ich allein in Rom bin. Er verfolgt mich, redet weiter auf mich ein. Bis ich ihn laut anschreie. Natürlich beleidigt er mich daraufhin.
„Bist du allein unterwegs?“
Oder diese andere Situation im Sommer vergangenen Jahres: Ich bin, wieder alleine, auf einem zweiwöchigen Wandertrip durch Deutschland. Auf dem Weg nach oben, auf den Brocken im Harz, werde ich angesprochen. „Bist du allein unterwegs?“ Ich würde ihn am liebsten anschreien: „Ja, verdammt, und du machst mir mit der Frage Angst!“ Doch ich bleibe still, tue so, als könne ich kein Deutsch, fotografiere die Landschaft, bis er weitergeht. Ich warte und lasse ihm einen Vorsprung.
Auf dem Gipfel sind zwar noch andere Menschen, doch er ist immer ganz in meiner Nähe und fixiert mich mit seinem Blick. Ich fliehe ins Brockenhaus. Das ist ein Museum auf dem Berggipfel. Knapp zwei Stunden warte ich dort und hoffe, dass er einfach nicht mehr da ist. Als ich rauskomme, sehe ich ihn nicht mehr. Trotzdem drehe ich mich auf der Wanderung zur Unterkunft immer wieder um. Ich kann gar nicht sagen, wo derartige Erfahrungen schlimmer sind – im Urlaub, wo man niemanden kennt, oder zu Hause, wo der Verfolger am Ende womöglich weiß, wo man wohnt. Freiburg ist so klein, dass ich oft zu Fuß oder per Fahrrad nach Hause komme. In Berlin stand ich immer vor dem Dilemma, ob ich mit den Öffentlichen oder einem Uber nach Hause fahre. Egal wo, allein der Gedanke an den Heimweg war bedrückend.
Dann war da noch diese Situation im Sommer 2022 in Berlin: Ich steige mitten am Tag in einen Bus, ein Mann starrt mich an. Für ein paar Minuten ertrage ich seine gierigen Blicke, dann frage ich ihn ganz ruhig: „Kann ich dir irgendwie helfen, oder warum glotzt du mich so an?“ Männer reagieren auf solche Fragen fast immer mit Gegenangriff: Ich solle mir nichts einbilden. Ich hätte ihn doch selbst die ganze Zeit angeguckt, das liege an meiner Pubertät. Welche Filme sich in seinem Kopf abspielen, daran möchte ich gar nicht denken. Auf die Unterstützung anderer Männer, das habe ich mit der Zeit gelernt, kann man in solchen Situationen nicht bauen. Als ich aussteige, bezeichnen mich zwei Typen als Drama-Queen. Ich solle mich doch nicht so haben.

Die Fahrt im Uber wird zur Angstfahrt
Auch im Uber ist man vor Männern nicht sicher. Die Fahrer fragen mich, was ich noch vorhabe, ob ich an dem Start- oder Zielort wohne, ob ich einen Freund habe. Sie fahren Umwege, vor allem nachts, Umwege durch dunkle Seitenstraßen. Oft habe ich die Fahrt abgebrochen, bin regelrecht geflohen. Problematisch ist auch, dass Fahrer einen über die App nach der Fahrt noch kontaktieren können. Einer schrieb mir nach seiner Schicht und wollte sich treffen. Ich antwortete nicht. Als er anrief, ging mein damaliger Freund ans Telefon und schüchterte ihn ein. Vor mir, einer Frau, hätte er wohl keinen Respekt gehabt.
Natürlich geht es nicht nur mir allein so. Dass man sich unter Freundinnen Bescheid gibt, ob man gut zu Hause angekommen ist, ist Routine. Dass alles glatt geht, ist in Berlin keineswegs der Normalfall. Typisch ist eher, dass eine Freundin auf ihrem Heimweg vom Kino von zwei Männern nachts verfolgt wurde und ein Freund ihr entgegenkommen muss.
Eine andere Freundin, die in einer ruhigen Straße in Schöneberg wohnt, fürchtet sich, nach Einbruch der Dunkelheit allein nach Hause zu gehen. Wenn möglich, begleitete ich sie. Dann aber musste ich alleine zurück. Berlin ist anders, wenn du eine Frau bist. Wo Männer einfach nur die Hauptstraße mit Imbissläden, Kneipen und Spätis sehen, sehe ich, vor allem nachts, bedrohliche Gruppen von Männern, an denen ich irgendwie vorbei muss. Und das, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
Er lässt uns einfach nicht in Ruhe
Eines frühen Samstagmorgens verlasse ich gemeinsam mit einer Freundin einen Freiburger Klub. Eigentlich wollen wir uns nur voneinander verabschieden. Dann aber nähern wir uns an, können einfach nicht aufhören, uns zu küssen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich eine Frau in der Öffentlichkeit küsse. Immer ist es mit Angst verbunden. Auch diesmal dauert es nur drei Minuten und wir werden von dem ersten Typen angequatscht. Ich werde sauer, denn obwohl wir sagen, dass wir allein sein möchten, lässt er uns nicht in Ruhe. Erst als wir laut werden, geht er.
Wir beruhigen uns, wollen uns verabschieden, fangen wieder an zu knutschen – es ist schön. Bis der nächste kommt, er ist deutlich älter. Er fragt uns, ob wir nicht mit zu ihm wollen, er wohne gleich um die Ecke. Auch er lässt uns erst dann in Ruhe, als wir ihn lautstark auffordern zu gehen. Kurz darauf hält ein Auto neben uns. Die zwei Insassen fragen grinsend, ob wir nicht einsteigen wollen. Ich koche vor Wut. Wie schön es wäre, wenn ich beim Date mit einer Frau nicht überlegen müsste, ob es okay ist, sie öffentlich zu küssen. Oder ob wir lieber warten, bis wir zu Hause sind – aus Angst vor Männern, die den Kuss als Einladung sehen, die an uns teilhaben wollen.
Ich möchte über all das nicht mehr nachdenken müssen. Will nicht darüber nachdenken, wie ich auf Blicke, Lächeln und Anmachen reagieren soll, ohne dass ich beleidigt und bedroht werde. Wie ich am sichersten nach Hause komme, ohne dass ich verfolgt oder vergewaltigt werde. Wen ich draußen küssen darf – wen lieber nicht. Ich möchte, dass mein Nein ernst genommen und akzeptiert wird. Ich will, dass dieser Albtraum endet.