Lasst mal die CDU regieren, dann seht ihr, dass alle Parteien in Berlin versagen
Kolumnist Anselm Neft findet die Ergebnisse der Berlin-Wahl wahnsinnig interessant. Eine humoristische Interpretation der Zahlen.

Dies ist der dritte Teil der humoristischen Kolumne „Finde den Fehler“ von Anselm Neft.
Die wundervollen Menschen Berlins lieben Parteienpolitik, sie lieben die Wahlen und vor allem lieben sie inbrünstig ihre jeweilige Regierung.
Ob es der preußische Sinn für Gehorsam und Vertrauen in die Obrigkeit ist oder einfach das Ergebnis der vielen guten Erfahrungen, die Berliner:innen mit ihren demokratisch gewählten Stellvertreter:innen machen konnten – Berlin liebt es, regiert zu werden. Ob von Schwarz, Grün oder Rot ist dabei nebensächlich.
Allein die Wahlbeteiligung zur diesjährigen Abgeordnetendingsbumms-Wahl spricht Bände: Wackere 63 Prozent der Wahlberechtigten haben sich am Sonntag, den 12. Februar, bei Wind und Wetter aufgerafft, um in einem Wahllokal drei Kreuze zu machen. Oder mehr, oder weniger, oder einfach eine witzige Zeichnung abzuliefern.
Also dann doch lieber Dings
Damit hat die Partei der Nichtwähler:innen nur ein Drittel mehr Stimmen als die CDU, die gut 28 Prozent der Wähler:innen begeistern konnte und damit diesmal die Nase vorn hat. Dass bis 12 Uhr noch keine 25 Prozent der Menschen gewählt hatten, nimmt in einer Weltstadt wie Berlin nicht wunder: Die aus Heidelberg zugezogene Lucia Häberle musste vormittags noch beim Powerworkout BWL-Floskeln büffeln, Horst Huckschreck aus Adlershof nach seiner Nachtschicht im Scharfen Lutz erst mal poofen und Bernd Brommel aus Bernau fand im Vollrausch das Wahllokal erst gegen 15 Uhr und dokumentierte dann seine Kenntnisnahme der Wahlunterlagen per Mageninhalt.
Was alle drei Wahlbegeisterten darüber hinaus eint, ist ihre Liebe zu den Parteien: „Ich finde die Grünen super“, sagt Häberle, die noch nie jenseits des S-Bahn-Rings gewesen ist. „Aber die CDU oder die FDP können auch was.“ Ähnlich sieht es Huckschreck, der auch noch nie jenseits des S-Bahn-Rings gewesen ist, allerdings von der anderen Seite aus betrachtet: „Mir ist es schnurzpiepegal, welche Arschnasen meine Rente gerade für irgendwelche Schmarotzer verballern.“ Auch Brommel zeigt sich für verschiedene Koalitionen offen: „Hauptsache AfD. Nur doof mit der dicken Frau da als Boss. Von Frauen lass ich mir nix sagen. Also dann vielleicht doch hier Dings, wie heißen die?“

Parteien in Berlin? Muss nicht sein
Seit jeher zeichnet sich Berlin durch seine politisch so interessierte wie tolerante Bevölkerung aus. „Letztlich ziehen wir hier doch alle an einem Strang“, sagt Michael Wuff, Winkeladvokat bei der Deutsche Wohnen, einem börsennotierten Unternehmen, dem natürlich egal ist, ob in Berlin Deutsche wohnen oder Menschen aus anderen Ländern, solange sie nur genug Geld einbringen. „Ob im mittigen Luxusloft oder am Ostbahnhof auf ’ner Pappe – letztlich sind wir alle Berliner“, fasst Wuff den inklusiven Geist der Metropole zusammen.
Wer regiert, ist ihm im Prinzip nicht so wichtig, solange die jeweilige Koalition die Bedürfnisse großer Bevölkerungsteile weiterhin ignoriert. „Enteignung – papperlapapp! Viele wissen einfach nicht, was gut für sie ist“, sagt Wuff. „Würden sie sonst in immer bescheideneren Verhältnissen leben?“
Auch Sozialarbeiterin Dilan-Heidi Schmidt-Börek ist offen für verschiedene Koalitionen: „Rot-Rot war schon so ’ne Enttäuschung, da hat es Rot-Rot-Grün kaum schlimmer gemacht. Wenn jetzt mal die CDU regiert, könnte man sehen, dass die es auch verkackt, und dann das mit den Parteien hier in Berlin vielleicht mal ganz lassen.“
Jung, dynamisch und erfolglos
Total beliebt sind bei den Berliner:innen aber nicht nur etablierte Parteien, sondern auch paranoide Selbsthilfegruppen wie die AfD, deren Mitglieder als Kinder häufig noch ordentlich verdroschen wurden und denen es KEIN BISSCHEN geschadet hat. Die verhaltensoriginelle Truppe konnte bei der wiederholten Wahl nun sogar etwas mehr Stimmen als „Andere“ einheimsen. Unter „Andere“ fallen dabei allerdings auch Satire-Parteien wie „Liberal-Konservative Reformer“ und „Team Todenhöfer“.
Nicht ganz so oft findet bei den befragten Wähler:innen die FDP Erwähnung. Dabei verkörpert deren Spitzenkandidat Sebastian Czaja den Berliner Spirit wie kein Zweiter: jung, dynamisch und erfolglos. Dazu immer etwas schmierig und latent angeschickert. Vielleicht hat seine Partei in Zukunft in der Hauptstadt doch noch eine Chance. Zu wünschen wäre es auch ihm nicht.
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