Posten des Kultursenators: Klaus Lederer geht – kommt Joe Chialo?
Weil die Berliner Linke nicht mehr mitregieren wird, ist Lederer Vergangenheit. Die Zukunft könnte ein CDU-Mann sein.

Nun steht es fest: Klaus Lederer verliert sein Amt als Kultursenator, seine Partei Die Linke wird mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr Teil der Koalition sein, die Berlin künftig regiert. Gelegenheit für einen Blick zurück und einen Ausblick.
Ende 2016 kam Lederer ins Amt, nach zehn Jahren, in denen das Kulturessort von den Regierenden Bürgermeistern geleitet worden war, von Wowereit, von Müller, und dem jeweiligen Kulturstaatssekretär. Zuletzt war das Tim Renner, der Klaus Lederer den Kunstmanager Chris Dercon als Theaterintendanten an der Volksbühne hinterließ. In einer seiner ersten öffentlichen Äußerungen drückte Lederer sein Missfallen darüber aus, aber er musste nicht lange warten, bis Dercon das Haus in eine finanzielle Krise stürzte und von seinem Amt zurücktrat. Das war irgendwie auch eine Berliner Lösung, sofern sie einen provinziellen Anstrich hatte.
Die Berliner mögen das. Sie motzen eigentlich gern, gerade auch über ihre politischen Repräsentanten. Aber Klaus Lederer, der auch Berliner Bürgermeister ist, gehört zu den beliebtesten Politikern der Hauptstadt. Es gibt Menschen, die wegen ihm Die Linke wählten oder es wenigstens überlegten, weil sie ihn am liebsten als Regierenden gesehen hätten. Das mag auch an der extremen Verbindlichkeit des Manns mit dem ewig schwarzen T-Shirt unterm Jackett und den zwei Ohrringen liegen, und der Tatsache, dass er nicht schillert. Stattdessen wirkt er ziemlich glaubwürdig und ein wenig konfliktscheu. Dazu gehört, dass er den von ihm eingesetzten Volksbühnen-Interimsintendanten Klaus Dörr schnell wieder los wurde, nachdem gegen diesen MeToo-Vorwürfe geäußert worden waren, die sich dann als ziemlich fraglich erwiesen. Dazu gehört auch, dass er sich an die Personalie Barenboim wohl nicht herangetraut hat.

Zuletzt hat Klaus Lederer jungen Berlinern 50 Euro geschenkt
Lederers Kulturbegriff ist breit angelegt, sein Etat riesig. Er lag zuletzt bei 900 Millionen. Das ist viel mehr als in London oder Paris. In den schweren Pandemiejahren hat er sich nicht nur für die Hochkultur, sondern auch sehr für die Berliner Clubs eingesetzt. Er ist der Off-Szene zugetan, und man kann ihm danken, dass er Barrie Kosky nicht ganz gehen ließ. Lederer hat Sinn fürs Detail, er beachtete auch das Stiefkind der Kulturpolitik, die Literatur, gründete 2018 den Verlagspreis, der die vielen kleinen Berliner Verlage stützt. Und bei den Literaturstipendien sorgte er dafür, dass sie auch nicht auf Deutsch schreibende Berliner Autoren fördern.
Kultur soll für alle da sein. Das ist sicher einer der Glaubenssätze Klaus Lederers. Zuletzt hat er allen 18- bis 23-jährigen Berlinern mit der Jugendkulturkarte 50 Euro geschenkt. Sie können damit in Kinos, Clubs, Theater, Museen. Nun stellt sich heraus, dass es ein Abschiedsgeschenk war.
Zieht jetzt ein Hauch Klassenkampf in die Berliner Kulturpolitik ein? So jedenfalls könnte man eine Parole missverstehen, die Joe Chialo, der heißeste Anwärter auf die Lederer-Nachfolge, zum Titel seiner politischen Biografie erkoren hat: „Der Kampf geht weiter“ (Murmann-Verlag).
Joe Chialo entstammt einer Diplomatenfamilie aus Tansania
Das klingt nach Aufbruch und Revolte. Tatsächlich ist es für den 1970 in Bonn geborenen Sohn einer Diplomatenfamilie aus Tansania eine Erinnerung an seinen Vater, der den Slogan „a luta continua“ zu einer Art Lebensmotto erkoren hatte. Der an die linke italienische Bewegung angelehnte Name war einst eine Parole im Freiheitskampf Mosambiks gegen die portugiesischen Kolonialherren. „Mein Weg ist ein deutscher Lebenslauf, aber doch anders als bei den meisten 1970er-Jahrgängen“, erklärt Chialo seine postkoloniale Perspektive auf die deutsche Politik.
Joe Chialo versteht sich als Afropäer, der wenig von kulturellen und politischen Festlegungen hält. Mit dem 2018 in Zusammenarbeit mit dem Marktgiganten Universal Music gegründeten Label Afroforce 1 verfolgt er das Ziel, Musik aus dem afrikanischen Raum zu fördern. In der Schwesterfirma Airforce 1 Records segelt er mit Santiano, Ben Zucker und der Kelly Family hart im Wind des deutschen Schlagergeschäfts. In der Branche gilt er als eloquenter Kommunikator, 2019 saß Chialo, der selbst als Sänger begonnen hatte, in der deutschen Jury für den Vorentscheid zum Eurovision Song Contest.
Die im Musikgeschäft offenbar nötige Freiheit von Berührungsängsten hat Chialo sich auch in Bezug auf seine politischen Ambitionen erhalten. Fasziniert von Joschka Fischer, dessen Dauerlauf von der außerparlamentarischen Linken schließlich im Auswärtigen Amt mündete, trat er zu Beginn der 90er-Jahre zunächst den Grünen bei. Nicht zuletzt wegen Fischers Haltung während der Jugoslawienkriege verließ er die Partei jedoch wieder. Beinahe kirchentagstauglich begründet der Katholik seinen Eintritt in die CDU im Jahre 2016: „In einer Partei, in der eine Vorsitzende sich von der Humanität und ihrem christlichen Glauben leiten lässt, in der es einen klaren moralischen Kompass gibt, will ich mich fest engagieren.“
Joe Chialo ist der erste Afrodeutsche im Bundesvorstand der CDU
Als Anhänger der Politik Angela Merkels wurde die Parteispitze auf Chialo aufmerksam. Armin Laschet berief ihn für den Bereich Kultur in sein Kompetenzteam, seit 2022 ist er der erste Afrodeutsche im Bundesvorstand der CDU. Dort plädiert er für einen Perspektivwechsel, der Schluss macht mit dem Paternalismus bisheriger Entwicklungspolitik. „Afrika braucht uns nicht, wir brauchen Afrika“, lautet seine Devise.
Ob er diesbezüglich die gleiche Sprache spricht wie etwa der Verein Decolonize Berlin oder Bonaventure Ndikung, der Chef des Hauses der Kulturen der Welt, wird sich zeigen. Dass das für die Berliner Kultur immer wichtiger werdende Politikfeld Postkolonialismus nun mit einer ernstzunehmenden Stimme aus dem konservativem Spektrum besetzt wird, verspricht zumindest Reibung. Von Vibrations jedenfalls scheint Joe Chialo etwas zu verstehen.
Klaus Lederer versucht derweil, Wehmut mit politischem Pragmatismus zu verknüpfen. „Die vielfältige, strahlkräftige Kunst- und Kulturszene ist das, was Berlin aus- und unvergleichlich macht“, sagte er der Berliner Zeitung. „Wie viel mir die Kultur in Berlin bedeutet, ist meiner Arbeit hoffentlich anzumerken. Sie hat jedenfalls jedes Engagement verdient.“