Berlinale Panorama: Wer Frau sein will, muss leiden

Spritzen sind unerlässlich in der Intimchirurgie. „Filler“ plustern auf, was von Natur aus zur Faltenbildung neigt, sich nicht um Symmetrie und Glätte kümmert. Haare sind vollkommen indiskutabel, junge Frauen ekeln sich angeblich davor. Oder wie es eine Frauenärztin im Hamburger Zentrum für Familienplanung sagt: „Das können sie sich nicht leisten, das mögen die Boys nicht.“

Der Dokumentarfilm „Vulva 3.0“ beginnt furios, mit Aufnahmen aus dem OP. Eine andere Frauenärztin unterspritzt die Schamlippen eines „Erotikmodells“, das sich Bella Joy nennt. Nach dem Eingriff triumphiert die Ärztin: „Die ist schön“. Zwar „sehr amerikanisch, aber schön“ und hält das Werk mit der Kamera fest. Patientin und Ärztin nehmen sich zum Abschied fest in die Arme. Die Sitzbäder möge sie nicht vergessen und ja, es kann auch noch eine Weile weh tun.

Man muss eine gewisse Komplizenschaft mit den Mitspielern eines solchen Films aufbauen, sonst bekommt man solche Bilder nicht.

Claudia Richarz und Ulrike Zimmermann, die Regisseurinnen von „Vulva 3.0“, haben offenbar jedem Darsteller und jeder Darstellerin in ihrem Film das Gefühl vermitteln können, dass das, was er oder sie tut oder an sich tun lässt, seine Berechtigung hat, dass es nicht legitimiert, nicht einmal reflektiert werden muss. Sie sammeln Stimmen ein, die sie für sich sprechen lassen. Und manchmal auch für Andere, wie die der Dolmetscherin Jawahir Cumar, Begründerin von „Stop Mutilation e.V.“, die gegen die Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen kämpft. Was das eine, die Intimchirurgie, mit dem anderen, einer massiven Körper- und Seelenverletzung, zu tun hat und ob überhaupt, wird in „Vulva 3.0“ nicht eigens betrachtet.

Es geht schlicht und einfach um die Vulva, das weibliche Genital. Welchen Normen ist sie unterworfen? Wer hütet das Wissen, wer hat die Macht? Das sind die Fragen, in deren Zentrum das weibliche „Lustorgan“ steht, das ein Anatom im 19. Jahrhundert in hübschen Bildern gezeigt hat. Heute allerdings, so sagt eine Medizinhistorikerin, herrsche das „Schönheitsideal der Unsichtbarkeit“, was die Vulva betrifft.

Das Collagen in ihren Flaschen stammt aus undurchsichtiger Quelle

Das klingt zwar eingängig, ist aber schlicht falsch. Denn das Diktat der Haarlosigkeit eröffnet die freie Sicht auf alles, was früher verborgen war. Jeder Saunagänger weiß das, jeder Pornokonsument auch. Selbst in Lars von Triers Wettbewerbs-Beitrag „Nymphomaniac Volume I“ wird das weibliche Geschlecht in aller Deutlichkeit gezeigt, inklusive Haaren.

Die Attitüde des Tabubruchs, mit der sich eine Oberstudienrätin aus „Vulva 3.0“ umgibt, ist also längst hinfällig. Sie hat vor Jahren einen transparenten dreidimensionalen weiblichen Unterleib als Unterrichtsmaterial konzipiert. Bei dem ist alles zu sehen, und zwar ohne die Betonung auf „Fortpflanzung und Geburtshilfe“. Hinlegen kann man den Torso nicht, er sitzt „selbstbewusst“. Ihre Sätze klingen wie ein Nachhall aus den Siebzigerjahren, als es um selbstbestimmte Sexualität ging, darum, sich schön zu finden, überall. Was ist daraus geworden?

Laura Méritt und Claudia Gehrke, die beide Bücher publiziert haben, in denen andere Frauenbilder gezeigt werden als in der fotoshop-getunten Pornografie, halten die Position der Kämpferinnen gegen die dressierte Frau, gegen die Unterdrückung der weiblichen Lust. Méritt bezeichnet sich lachend als ausgesprochen „möseal“ und präsentiert ihre umfangreiche Sammlung künstlerischer „Muschis“. Das ist amüsant, führt aber auch nicht auf den Weg der Erkenntnis.

Wie steht es denn heute um die Weiblichkeit? Wird sie gewürdigt, dämonisiert, verfemt, zurechtgestriegelt wie auf den Fotos eines Bilddesigners, der „stolz“ darauf ist, dass seine „Lebensgefährtin dem Ideal“ entspricht: Wo sich nichts Überflüssiges kräuselt? Klar, das ist die Gegenposition zu Gehrke und Méritt – das ist der Terror der Normen. Es hätte dem Film gut getan, eine These zu wagen. Eine Entwicklung anzudeuten. Mit der Sammlung von Statements solcher und solcher Experten ist das Thema nicht zu fassen. Was tun Frauen heute, um Männern zu gefallen? Warum hört man sie in diesem Film nicht? Vielleicht hätte ja auch Bella Joy dazu mehr zu sagen gehabt.

„Wer schön sein will, muss Schmerzen aushalten“. Dieser Satz ist das Leitmotiv im philippinischen Spielfilm „Quick Change“. Der Regisseur Eduardo W. Roy jr. hat sich in die Welt von Männern begeben, die Frauen sein wollen und dafür alles, wirklich alles auf sich nehmen. Die Drag Queens scheren sich nicht um Konzepte der Weiblichkeit – für sie ist klar: Busen, Hintern, Hüften, Lippen, Wangen – das alles hat ihnen die Natur verweigert, ihr Drama sind die männlichen Attribute, die sie von der Welt der Frauen trennen. Diesem wunderbaren Universum aus eng anliegenden Kleidern, High Heels, Make-up, kunstvollen Frisuren und wiegendem Gang. Was ihnen Gott versagt hat – sie glauben an ihn und die Jungfrau Maria – möge ihnen das Collagen bescheren.

Und so werden sie zu willfährigen Opfern einer florierenden illegalen Schönheitschirurgie, die äußerst geschäftstüchtig vorgeht – wie überall – aber nicht über die mindesten professionellen Kenntnisse verfügt. Dorina (Mimi Juareza) zieht mit ihrer Spritzensammlung von Haus zu Haus, als Marketenderin der Busen- und Hinternstraffung. Das Collagen in ihren Flaschen stammt allerdings aus undurchsichtiger Quelle. Erst als die Kundin einer anderen Schön-Macherin qualvoll stirbt, begibt sie sich auf die Suche nach dem Ursprung ihres Stoffs und stellt fest: Es ist Motoröl.

„Quick Change“ erzählt diese entsetzliche Geschichte, ohne die Figuren zu denunzieren. Dorina, selbst transgender, ist zugleich hingebungsvolle Ersatzmutter für ihren kleinen Neffen, der von allem Zeuge wird. Sie ist Geschäftsfrau und betrogene Liebhaberin, ein Mensch, der versucht, der Armut zu entkommen und sich dabei schuldig macht.

Am Ende setzt eine Nachfolgerin ihr Gewerbe skrupellos fort, auf dem Bett liegt ein junges Mädchen, das sich schönere Wangenknochen wünscht. Die falsche Doktorin raunt ihr Mantra: „Für die Schönheit muss man leiden.“ Dann setzt sie die Spritze mit dem „Filler“ an.

Vulva 3.0: 11. 2.: 20 Uhr, Cinestar 7; 12. 2.: 22.30 Uhr, Cinestar 7; 13. 2. 14.30 Uhr,Cinestar 7.

Quick Change: 11. 2.: 22.30 Uhr, Cinemaxx7; 12. 2.: 20.15 Uhr, CineStar3; 13.2. : 22.30 Uhr, Cubix 7+8.