Berliner Krimi-Autor Horst Bosetzky zum 80. Geburtstag im Interview
Horst Bosetzky ist Berliner. Und was für einer. Ein Hinterhofkind aus Neukölln, sagt er über sich. Wenn er kokettieren will, sagt er noch, dass er Schüler der Rütli-Schule war – so als ob er beweisen will, dass auch aus Problemkiezen erfolgreiche Persönlichkeiten hervorgehen können. So wie er. 80 Jahre alt wird er am Donnerstag. Und er hat viel erreicht – als Soziologie-Professor, als Autor seiner Familiensaga und von Romanen über historische Kriminalfälle wurde er bekannt. Berühmt aber wurde er als „-ky“, als Krimischriftsteller. Als solcher war er in den 70er- und 80er-Jahren einer der erfolgreichsten in Deutschland.
Herr Bosetzky, vermissen Sie die 70er- und 80er-Jahre?
Ja. Wenn ich nachts nicht einschlafen kann, gehe ich immer wieder die Episoden in meinem Leben durch. Die Kindheit bei der Oma in Schmöckwitz, das Kicken auf dem Fußballplatz in Neukölln und freilich die erfolgreichen Jahre als Autor. Das war schön. Immer wieder ein neues gedrucktes Buch in der Hand zu halten, das war wie ein Kind zu bekommen. Wundervoll!
Das haben Sie ja oft erlebt!
Allerdings. Inzwischen sind es rund 50 Bücher. Und drei Kinder.
Besser als andersherum…
… (er lacht) stimmt. Das hat nur der Markgraf von Schwedt geschafft – an die 50 uneheliche Kinder.
Die Zeit für Krimi-Autoren war vor 40 Jahren ja noch eine andere…
Sie sagen es. Damals hatte ich noch so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal. Und als wir 1986 das Syndikat gründeten, den Zusammenschluss von deutschen Krimi-Autoren, hatten wir nur zwölf Mitglieder. Das waren quasi alle, die hierzulande Krimis schrieben. Heute sind es 650, und die Konkurrenz aus dem Ausland ist überwältigend. Früher galt man als Bestseller-Autor, wenn man mehr als 100.000 Exemplare verkaufte – heute sind schon 5000 außerordentlich gut für einen Krimiautor.
Sie hatten immer einen besonderen Status, galten und gelten als Erfinder des Sozio-Krimis.
Bei meinem Beruf als Soziologe liegt das ja nahe. Schon Friedrich Hebbel sagte mal, der Mensch sei eine Bestie. Auch der Philosoph David Hume sieht ja den Menschen als Wolf. Das war mir immer klar. Wenn wir diese Bestie oder diesen Wolf nicht zähmen, den Menschen nicht erfolgreich sozialisieren durch unsere Kultur, dann entstehen Serientäter und Mörder. Das ist heute noch so. Deshalb habe ich in meinen Büchern immer geschrieben, wie und warum der Täter zum Täter wurde.
Damals wollten Sie aber mit Ihrem Namen nicht für diese Weisheit, verpackt in Taschenbüchern, gerade stehen. War Ihnen das Krimischreiben als promovierter Soziologe peinlich?
Nein. Aber, na ja, vielleicht, ich dachte schon, es könnte meiner wissenschaftlichen Karriere schaden. Aber in Wirklichkeit kam es ganz anders zu dem Pseudonym -ky.
Wie denn?
Zunächst schrieb ich Heftromane unter den Pseudonymen John Drake und John Taylor. Meiner damaligen Freundin war das nicht recht. Sie sagte, geh doch mal zu einem richtigen Verlag. Deshalb schrieb ich einen literarischen Krimi und fuhr nach Hamburg zu Rowohlt. Richard K. Flesch, der Herausgeber der rororo-Thriller, ein halber Amerikaner, sagte mir, der Name Horst Bosetzky, der gehe nicht, der verkaufe sich nicht. Er sagte bei viel Whisky, wir bräuchten einen Key zum Success, einen Erfolgsschlüssel. Da sagte ich, einen -ky haben Sie ja schon…
Schöne Geschichte. Und wie endete das Versteckspiel?
Ehrlich gesagt, auch wenig spektakulär. Die Filmproduzentin Regina Ziegler hatte 1981 mein Buch „Kein Reihenhaus für Robin Hood“ verfilmt. Sie überredete mich als Werbegag für den Film zu meinem, sagen wir mal, Coming-out.
Und vorher wusste niemand von Ihrem Schreiben?
Nein, bis ich mich bei „Titel Thesen Temperamente“ und im Stern zu erkennen gab, wusste das nicht mal meine Mutter. Ich schrieb immer früh morgens, vor der Arbeit – erst in Bremen, wo ich der Kommission für Verwaltungsreform angehörte, und dann vor der Lehre in der Fachhochschule.
Aber dann gab es einen Bruch. Sie hörten auf, Krimis zu schreiben und widmeten sich Ihrer Familiensaga. Hatten Sie genug von Mord und Totschlag?
Nein. Aber damals konnte ich einfach nicht mehr. Ich war selbst fast zum Mordopfer geworden und musste das erst verarbeiten…
Möchten Sie darüber sprechen?
Ja. Als Soziologe und als Berliner weiß man, dass jedem alles passieren kann. Das muss einem nicht peinlich sein. Meine damalige Frau war schwer krank. Psychisch. Eines Tages ging sie mit der Statue auf mich los, die ich beim Krimifestival in Gijón in Spanien gewonnen hatte. Als Torwart des 1. FC Neukölln hatte ich ja Abwehren gelernt. Das rettete mir das Leben.
Dann kam Ihre Frau in die Psychiatrie und die Familiensaga in die Bestseller-Liste?
Ja, beides ist richtig. Meine Familiensaga habe ich 1717 beginnen lassen, vor allem der Band „Brennholz für Kartoffelschalen“, der die Jahre 1946 bis 1952 abdeckt, wurde zum Verkaufsschlager.
Sie hatten also ein zweites schriftstellerisches Standbein gefunden, kehrten aber zu Kriminalfällen zurück – auch zu historischen…
… ja, ich liebe das sogenannte HistoryTainment, also Historie anzufüttern mit ein bisschen Hollywood. Nicht nur bei Kriminalfällen, auch als ich über Kempinski, Borsig, Zille, den Turnvater Jahn oder Siemens schrieb, hab ich das genossen. Es ist ein bisschen späte Genugtuung, weil ich doch nicht Geschichtslehrer geworden bin, was ich ja eigentlich wollte…
In den Reihen-Krimis „Es geschah in Berlin“, die Sie erfunden und dem Verleger Norbert Jaron verkauft haben, steht die Geschichte neben dem Kommissar Kappe ja auch im Mittelpunkt.
Allerdings – der erste Band behandelt das Jahr 1910. Von da an gibt es alle zwei Jahre einen Fall, den Kappe lösen muss, von unterschiedlichen Autoren, sehr abwechslungsreich. Und immer lernt man was über Berlin. Inzwischen sind wir im Jahr 1968 angekommen. Mir sind manche Bücher nur zu lang, zu ausschweifend. So ein Reihen-Krimi muss kurz und knackig sein. 128 Seiten wie früher bei rororo wären genug.
Sie verfolgen auch als SPD-Mitglied die Entwicklung der Stadt. Ist das noch Ihr geliebtes Berlin?
Nein, leider nicht.
Warum?
Ach, Sie mögen nun sagen, alte Leute jammern und nörgeln immer. Aber ich denke, es gibt einige Entwicklungen, an denen sich auch Jüngere stören. Die Stadt, um es kurz zu machen, verkommt, was die Instandhaltung und Infrastruktur angeht. Und es mangelt an öffentlicher Sicherheit. Meine jüngste Tochter ist 20 und fährt nachts keine S- oder U-Bahn mehr. Aus Angst. Bekannte von mir, die an der Sonnenallee wohnten, in dem Kiez, in dem ich aufwuchs, ziehen weg, weil sie nicht in Klein Damaskus wohnen wollen.
Ausländerhass haben Sie schon 1979 in „Feuer für den großen Drachen“ beschrieben…
Allerdings. Aber ich denke, heute geht es oft gar nicht um Ausländerhass. Ich habe türkische Freunde, mein Großvater war Jude, und mein Vater war im Widerstand gegen die Nazis. Ich denke, ich bin unverdächtig, was Ausländerfeindlichkeit angeht. Aber als Soziologe sage ich mit Niklas Luhmann: Es geht im Leben immer um die Reduzierung von Komplexität. Aber die vielen Migranten sorgen für eine Erhöhung von Komplexität. Und so sehr Berlin profitierte von Zuwanderern wie den Hugenotten oder auch den Schwaben, die vor der Wehrpflicht flüchteten, so muss man doch zugeben, dass es bei uns Christen seit den Kreuzzügen viele Vorurteile gegenüber dem Islam gibt. Ich fürchte einfach, dass die Menschen in Deutschland nun durch die Einwanderung überfordert werden. Das ist einfach eine andere Kultur.
Sie sind also mit der – auch sozialdemokratischen – Politik unzufrieden?Stimmt. Ich kann die Ängste und die Abwehr der Menschen verstehen. Und wer einmal auf einer Berliner Behörde war, versteht auch, dass es immer mehr Wutbürger gibt.
Wollen Sie darüber nicht schreiben?
Nein, ich will keinen Beifall von der falschen Seite.
Neben den Flüchtlingen ist die Me-Too-Debatte ein großes aktuelles Thema. Wäre das nichts für Sie?
(Er lacht.) Ein 80-Jähriger soll darüber schreiben? Das klingt nach Alterssex. Nein, das mache ich nicht. Wenngleich ich was dazu zu sagen hätte – als Professor hab ich nie eine Studentin bei einer Nachprüfung alleine zu mir gebeten. Ich hatte Angst, erpresst zu werden. Und bei Exkursionen musste man sich auch schon mal den Avancen von Studentinnen erwehren.
Aber Sie blieben standhaft?
Ja, ich war immer ein treuer Ehemann.
Und ein fleißiger. Auch wenn Sie über diese Themen nicht schreiben wollen. Sie wollen doch nicht etwa in den Ruhestand gehen, oder?
Aber nein. Schreiben ist für mich – zumal als Krebspatientn – Therapie, Medizin, Trost, Ablenkung, Leidenschaft. Alles in einem. Gerade arbeite ich am letzten Band der Familiensaga, der im Jahr 2018 endet.
Finden Sie denn genug Leser?
Das ist das Problem. 2017 habe ich zwar sieben Bücher veröffentlicht, aber mein Publikum wird älter, die Nachfrage sinkt.
Aber Sie schreiben weiter?
Aber ja, auch posthume Veröffentlichungen sind ja was Schönes.