Lahav Shani und Francesco Piemontesi: von nahezu unverschämter Selbstverständlichkeit

Bei den Berliner Philharmonikern debütierten Lahav Shani und Francesco Piemontesi unter Coronabedingungen.

Der israelische Dirigent und Pianist Lahav Shani.
Der israelische Dirigent und Pianist Lahav Shani.dpa/Marco Borggreve

Berlin-Noch etwas Neues: Debüt bei den Berliner Philharmonikern unter Coronabedingungen. Mildernde Umstände brauchte man aber nicht bemühen, beide Debütanten schlugen sich souverän, offenbar unbeeindruckt nicht nur vom anspruchsvollen Orchester, sondern auch von den allmählich zur Routine werdenden Umständen. Im Falle des Dirigenten Lahav Shani, in Berlin seit Studientagen an der Hanns-Eisler-Hochschule bekannt und seit dieser Saison Nachfolger von Zubin Metha beim Israel Philharmonic Orchestra, ist der Auftritt von einer nahezu unverschämten Selbstverständlichkeit. Er weiß, dass er bekommt, was er möchte, die Philharmoniker folgen ihm einen Abend lang willig.

Er holt die Musiker allerdings auch da ab, wo es Spaß macht: bei der Lust am Musizieren. In seiner Fassung der 1. Sinfonie von Robert Schumann wird man keine bislang überspielten oder überhörten Schichten entdecken können, wie sie François-Xavier Roth kürzlich freilegte in seiner ohrenöffnenden Aufnahme mit dem Gürzenich-Orchester. Bei Shani nimmt der gesangliche Fluss für sich ein, die entwaffnende Simplizität eines unmittelbaren Ausdrucksmusizierens, die Eleganz, mit der er für weichen Klang und für weiche Übergänge sorgt. Shanis Überlegenheit über die Materie fällt ebenso auf wie seine Vorliebe für einen geschmeidigen, konturarmen Orchesterklang, und man kann kaum anders, als dabei an seinen Mentor Daniel Barenboim zu denken: Hat man all das nicht früher auch schon von ihm gehört? Und mit Barenboims Altersstil der vergangenen Jahre deutlich interessanter? Dass Shani ein Orchesterideal verfolgt, das vom Aussterben bedroht ist – das eines im Ton völlig gerundeten Klangkörpers –, ist nicht unsympathisch, so lange er es mit Kraft füllen kann. Wenn nicht, wie im Falle des vierten Satzes der Schumann-Sinfonie, zu dessen dünnbödiger Fröhlichkeit ihm rein gar nichts einfällt, droht eine jener Routine-Aufführungen, wie man sie auch von Barenboim lange Zeit ertragen musste.

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Francesco Piemontesi, der als Solist in Mozarts B-Dur-Klavierkonzert KV 595 ebenfalls bei den Philharmonikern debütierte, ist mit seiner Offenheit für romantische Aufführungstraditionen nicht völlig fern von Shani, der das Orchester hier singen lässt wie in alten Zeiten. Piemontesi mag den freien Umgang mit dem Tempo, in der Gestaltung seines Parts lässt er eine schier überbordende Fantasie erkennen und hält dabei doch alles in einem sicher gefassten Rahmen. Dem Opernhaften in Mozarts Musik ist der Pianist immer auf der Spur, taktweise wechseln die Rollen und Stimmlagen. Während Lahav Shani den breiten Pinsel walten lässt, den er zart zu führen versteht, bietet Piemontesi eine fesselnde Erzählung in ständig wechselnden Farben.