Bestseller-Autor Veit Etzold im Interview: "Man will die Leserin an der Gurgel haben"

Soeben erschien von Veit Etzold der neue Thriller „Der Totenzeichner“. Darin schreibt ein psychopathischer Mörder mit dem Blut seiner Opfer Botschaften an Spiegel und Wände. Zur Buchvorstellung mit Lesung in einem Berliner Hotel kam Veit mit seiner Frau Saskia Etzold. Sie ist Rechtsmedizinerin an der Charité und seziert dort Leichen. Der 42-jährige Bremer hat eine Dissertation über den Film „Matrix“ geschrieben und arbeitete für Medienkonzerne, bevor er sich 2000 der Schriftstellerei zuwandte. Mit dem Thriller „Final Cut“ wurde er 2012 bekannt. Bei Kaltgetränken und Currywurst-Häppchen treffen wir uns in einem Restaurantgarten.

Ihre Thriller landen immer auf der Spiegel-Bestsellerliste. Haben Sie ein Erfolgsrezept?

Veit Etzold: Beim ersten Mal ging es schief. Da habe ich einen Text geschrieben, ihn wild an ein paar Verlage geschickt, und keiner wollte ihn haben. Da fiel mir auf, dass man sich auch um das Ende, nicht nur um den Anfang eines Buches Gedanken machen muss. Manche können ja einfach drauflos schreiben. Ich kann das nicht, ich muss die gesamte Handlung von Anfang an wissen.

Sie haben also vorab einen fertigen Plot im Kopf?

Ja, dann werden daraus die einzelnen zehn Kapitel gemacht, und die schreibt man dann runter. Klingt jetzt ein bisschen mechanisch; es ist aber wirklich hilfreich zu wissen, wohin die Reise geht. Das ist wichtig beim Thriller, in dem sich verschiedene Perspektiven kreuzen, man will die Leserin, es sind ja meist Frauen, an der Gurgel haben, damit die weiterlesen.

Wenn eine Pistole auf einem Tisch liegt, dann muss auch geschossen werden?

Das ist sogar von Tschechow. Das sind so Basics, die Autoren beachten müssen. Man braucht eine Struktur. Wenn da Sachen ins Leere laufen und keinen Sinn ergeben, das merkt die Leserin und wird dann sauer.

In einem Thriller darf dann eigentlich nichts Überflüssiges sein, sehr ökonomisch...

Es gibt wenig Beiwerk oder Ausschmückungen. Ein Thriller muss fokussiert sein, er muss mit minimalen Mitteln maximale Spannung erreichen. Selbst die Abweichung muss einen Sinn haben. Thriller ist immer Tempo, Cliffhanger. Action ist die Explosion, der Thriller das Ticken der Bombe.

Wie lange arbeiten Sie an so einem Bestseller?

Meine Clara-Vidalis-Thriller erscheinen im Jahresrhythmus, ich bin eigentlich immer am Ausdenken und Schreiben. Ich werde da zum Jäger und Sammler, lese etwas in der Zeitung, Gespräche mit schrägen Persönlichkeiten, wird alles dokumentiert, Fotos, Aufzeichnungen, Papierausschnitte, manches auch gleich in den Computer getippt, damit nichts wegkommt. Wobei ich nicht glaube, dass man allein mit digitalen Medien strukturiert arbeiten kann.

Haben Sie nicht mal das Bedürfnis, was ganz Langsames zu schreiben?

Ich würde mich wahrscheinlich dabei langweilen. Ich habe schon gerne Action, aber Thomas Manns „Buddenbrooks“ finde ich auch sehr spannend.

Aus dieser Materialsammlung fliegt Ihnen der Stoff dann einfach so zu?

Nein, den konzipiere ich schon. In meinem neuen Thriller, nein, besser nichts verraten. Jedenfalls, es gibt Firmen, die mit Leichenteilen handeln und sie pharmazeutischen Firmen verkaufen. Body Broker nennen die sich. Oder Cadaver Service Company. Die gibt es wirklich, meine Frau Saskia kann das bestätigen.

In Afrika gibt’s Läden, die heißen Body Parts, das sind aber Autowerkstätten...

Ich habe auch kurz überlegt, ob ich meinen Body Broker einen Laden aufmachen lasse, der hätte dann „Body Shop – 100 Percent organic“ geheißen, aber damit fängt man sich schnell Klagen ein.

Wozu braucht man denn so Leichenteile, wenn man nicht gerade ein Voodooscharlatan ist?

Saskia, das musst du jetzt erklären:

Saskia: In der Medizintechnik müssen bestimmte neue Instrumente an echtem Gewebe ausprobiert werden, etwa Nägel für Knochen. Für den Fortschritt der Medizin ist das existenziell wichtig. Da stellt sich natürlich immer die Frage, ob das mit fairen Mitteln zugeht, die Firmen sind ja bereit, einiges dafür zu zahlen. Da kann jemand schon auf die Idee kommen, eine Leiche in Einzelteilen zu verkaufen und damit Geld zu verdienen. Das wäre doch eine ideale Art, Leichen zu entsorgen.

Veit: Das passiert. Schon im 18. Jahrhundert gab es Grabräuber. In England wurde da die Todesstrafe abgeschafft, also gab’s weniger Leichen, gleichzeitig wurden immer mehr Medizinfakultäten eröffnet, und der Bedarf an Leichen stieg. Dumm gelaufen. Das ging so weit, dass die reichen Leute anfingen, ihre Särge mit Käfigen zu schützen. Die Grabräuber waren aber auch nicht dumm und kamen auf die Idee, die Leichen schon beim Bestatter zu klauen und dafür einen Sandsack in den Sarg zu legen. Der Body Broker in meinem Roman etwa hilft beim Erzeugen von Leichen etwas nach. Das sorgt dann für Verwirrung, weil er an Tatorten auftaucht, wo schon ein anderer Killer sein Werk vollbracht hat.

Wie viel von Ihren Plots verdanken Sie Ihrer Frau?

Die Plots stammen von mir, aber bei den Details – wie läuft das forensisch genau ab – kommen schon sehr viele von ihr. Sie sorgt für die Glaubwürdigkeit.

"Das hat dann noch gedauert mit uns, sie dachte, ich sei schwul"

Aber Sie haben sie nicht zufällig bei der Recherche kennengelernt?

Doch! Unsere erste Begegnung war an einem Obduktionstisch in der Charité. Ich habe 2008 zusammen mit Michael Tsokos, dem Chef der Rechtsmedizin dort, ein Buch geschrieben über spektakuläre Todesfälle. Als ich ihn besuchte, sagte der, die Saskia hat gerade einen Erhängten auf dem Tisch, willst du dir das mal anschauen? Da wird der Hals aufgeschnitten, dann kommt so das Halspaket raus, gewöhnungsbedürftig. Aber sie hat das sehr charmant gemacht. Vielleicht war sie auch ganz froh, dass mal ein lebender Mann mit im Obduktionssaal war. Das hat dann noch ein bisschen gedauert mit uns, sie dachte nämlich, ich sei schwul. Weil ich mit ihr über Schuhe geplaudert hab und „meistens so gut kleidet“ sei, wieso nur meistens? Und ziehen sich Heteros denn alle schlecht an?

So im schwarzen Anzug mit weißem Hemd könnten Sie auch gut als Businesstyp durchgehen.

Stimmt. Ich mache da weiterhin Seminare und halte Vorträge zum Thema Storytelling. Nehmen wir an, jemand will seine Unternehmensstrategie ändern und muss das seinen Mitarbeitern erklären, oder er möchte sein Unternehmen am Kapitalmarkt platzieren, oder er will ein kompliziertes Produkt verkaufen, das erklärungsbedürftig ist. Wenn ich das in einer Story mit einem Schurken, Höhepunkt und Happy End erzähle, bleibt das eher hängen, als durch eine Aneinanderreihung von drögen Zahlen und Fakten. Ich hab ja vor meiner Schriftstellerkarriere in mehreren Branchen gearbeitet, Managementschulung, Banking, Versicherungen. Ich versuche, die Erkenntnisse der Thrillerstrategie in die Geschäftswelt zu integrieren.

Und das verstehen die?

Ja, da ist sogar ein großer Bedarf. Ich bin ja kein so gestrandeter Heini, der jetzt mal Unternehmern was einreden will, sondern jemand, der das überzeugend vorführen kann. Die Amerikaner können das besser als wir Deutschen, nehmen sie mal Steve Jobs, jede seiner Produktpräsentationen war Storytelling. Die Deutschen erfinden tolle Sachen wie mp3, CD-Rom und Faxgerät, aber die Amerikaner vermarkten sie einfach besser. Das kann man lernen.

Das Gespräch führte Sabine Vogel.