Bettina Wulff Leitartikel: Maßloser Exhibitionismus

Eines hat Bettina Wulff mit ihrem Buch, ihren Klagen und ihrer Medienkampagne immerhin erreicht: Ihr ist schlicht nicht auszuweichen in diesen Tagen. Doch schon ist sie dabei zu überreizen; die Illusion, die Boulevardmedien und namentlich die Bild-Zeitung steuern zu können, sollte doch gerade sie nun wirklich verloren haben. Gleichwohl. Sie hat alles Recht der Welt, dem Rufmord, der an ihr vor allem im Internet und in allerlei Gerüchteküchen zwischen Hannover und Berlin über Jahre betrieben worden ist, mit aller Macht entgegenzutreten. Hätte sie es früher getan, wäre es womöglich weniger schmerzhaft geworden.

Bettina Wulff war das Opfer einer Verleumdung

Aber man versteht nicht, was sie, die diese Übergriffe in ihr Privatleben zu erleiden hatte, nun antreibt, ihrerseits immer mehr aus ihrem Privatleben in die Öffentlichkeit zu tragen. Wer will das alles wissen: welche Pläne sie mit ihrem Tattoo noch hatte, wie ein Therapeut ihr und ihrem Mann über den Beziehungsstress hinweg geholfen hat, dass in der Küche der Dienstvilla des Bundespräsidenten eine ordentliche Abzugshaube fehlte?

Bettina Wulff war das Opfer einer Verleumdung, mit der ihr Mann getroffen werden sollte. Daran kann kein Zweifel bestehen. Doch in ihrem Buch und den zahlreichen Interviews (keine Sorge, die Talkshow-Auftritte folgen auch noch) baut sie ihre Opferrolle nun noch aus. Als das Opfer ihres Mannes, ihrer Rolle als First Lady, der Verhältnisse überhaupt. Sie wehrt sich dagegen, mit ihm über einen Kamm geschoren zu werden.

Das aber ist mindestens ärgerlich. Denn sie hat die ganze Inszenierung über eine moderne, junge Patchworkfamilie, die ins Schloss Bellevue einzieht, mit vorangetrieben. Es war der Versuch, der aus der Not der Kanzlerin geborenen Präsidentschaft von Christian Wulff eine sinnfällige Erzählung zu geben.

Warum hat sie das mit sich machen lassen?

Aber was hat sie daraus gemacht? Wenn sie beklagt, sie sei in eine fremdbestimmte Rolle, in ein Schema gepresst worden, so ist doch die Frage an eine auch nicht mehr ganz so junge, gut ausgebildete, selbstbewusste und eigenständige Frau erlaubt: Warum haben Sie das mit sich machen lassen? Und an einen selbstbewussten, sich für modern und aufgeklärt haltenden Politiker und Ehemann wie Christian Wulff: Warum haben Sie das zugelassen?

Gewiss spiegelt das Bundespräsidentenamt noch ein antiquiertes Gesellschaftsmodell, ein Rollendenken aus den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Da wird vom Partner des Staatsoberhauptes eben ganz selbstverständlich erwartet, umfängliche Repräsentations- und Schirmherrinnenpflichten ohne jede Entschädigung zu übernehmen; im Zweifel also aus einer geregelten, gut bezahlten Berufstätigkeit in eine viel anspruchsvollere, aber unbezahlte Tätigkeit zu wechseln.

Aber wer, wenn nicht ein relativ junges Paar wie die Wulffs sollte dieses Bild ändern? Sie hätten alle Möglichkeiten gehabt, der Welt zu demonstrieren, dass Familien mit kleinen Kindern einem anderen Rhythmus folgen und anderen Anforderungen ausgesetzt sind als ältere Herrschaften im Pensionsalter, die dem seelenlosen Zeitplan einer Protokollbürokratie folgen und ihre ganze Zeit dem Amt schenken können, wenn sie denn wollen.

Das hätte gewiss Empörung ausgelöst und Debatten, doch sie hätten das Land vorangebracht. Sie hätten jungen Frauen und Familien geholfen, die unter familienfeindlichen Arbeitszeiten, Betreuungsmöglichkeiten und Vorurteilen leiden. Und sie hätten die Frage in den Raum gestellt, ob die Rolle der selbstlosen First Lady nicht ohnehin überlebt ist? Oder ob sie nicht ihrem Beruf nachgehen und dann und wann für Repräsentationspflichten und Staatsbesuche pausieren kann?

Die Wulffs haben zu wenig Substanz mitgebracht

Von alldem aber war nichts zu hören und zu spüren. Gewiss, die Wulffs hatten nicht einmal zwei Jahre, sich an ihre neuen Rollen zu gewöhnen, und davon waren sie noch geraume Zeit mit der hilflosen Bewältigung diverser Krisen um Kredite und fragwürdige Urlaubsreisen aus der Zeit vor der Präsidentschaft beschäftigt. Doch es bleibt der Befund, dass Christian und Bettina Wulff zu wenig Substanz, Reife und Souveränität mitgebracht haben, um mit diesem Amt und ihrer beider Rollen etwas auszurichten.

Dafür ist der jetzige Umgang Bettina Wulffs mit ihrer Geschichte der beste Beleg. Den ehrenwerten Versuch, sich nun als eigenständige Persönlichkeit zu zeigen, konterkariert und entwertet sie mit einem maßlosen Exhibitionismus. „Für mich steht fest, dass ich auf keinen Fall mehr derart zum Medienereignis werden möchte“, schreibt sie in ihrem Buch. Der Satz kann nicht von ihr stammen.