Blauer-Reiter-Expressionist: 100. Todestag von Franz Marc
Den Namen „Der Blaue Reiter“ haben sich Franz Marc und Wassily Kandinsky ausgedacht. Beide liebten die Farbe Blau – der Bayer Marc für seine Pferde und der Russe Kandinsky für seine Reiter. 1911, ein Jahr vor Herausgabe des Künstler-Almanachs „Der Blaue Reiter“, fanden sich die Maler Marc, Kandinsky, August Macke, Paul Klee, Alfred Kubin, Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin in München locker zusammen, aber 1914 trennten sie sich bereits wieder.
Was die Gruppe zusammenbrachte, waren die Ideen über Kunst und Welt. Jeder Mensch solle Kunst genießen, war ihre Auffassung, sie solle nicht nur den Gebildeten und Wohlhabenden offen stehen. Deshalb ging es den „Blauen Reitern“ darum, Kunst zu schaffen, die jeder versteht. Sie organisierten Ausstellungen und Podien, fanden erst zögerlich, dann nach und nach enthusiastischen Zuspruch.
Interesse an primitiver Kunst
Die Gruppe wollte mit den alten Mal-Traditionen der Akademien brechen, eine Plattform für eine „Neue Kunst“ erschaffen, neue Ausdrucksformen finden. Man strebte die Gleichberechtigung verschiedener Sparten an, knüpfte Kontakte mit Tänzern, Komponisten, Bühnenleuten. Deutlich war das Interesse an mittelalterlicher und primitiver Kunst wie die Begeisterung für die damals aktuellen Kunst-Strömungen: den wilden, animalischen Fauvismus, den technik-gläubigen Futurismus, den abstrahierenden geometrischen Kubismus.
Die „Blauen Reiter“ verstanden sich als Expressionisten, dabei sind viele Werke weit abstrakter und vergeistigter als etwa die der ab 1905 erst in Dresden, später in Berlin aktiven „Brücke“-Künstler. Im „Blauen Reiter“ forderte man, weit radikaler , eine vom Gegenstand unabhängige Eigengesetzlichkeit des Bildes.
Franz Marc fiel heute vor 100 Jahren, gerade 36 Jahre alt, in der Hölle vor Verdun. Ein Granatsplitter traf ihn in den Kopf. Im Schlosspark Goussainville steht ein Gedenkstein, seine Gebeine wurden 1917 nach Kochel am See überführt, nahe dem heutigen Franz-Marc-Museum, wo am 6. März eine Ausstellungs-Trilogie des Werkes beginnt. Wie die meisten seiner Gefährten war Marc freiwillig an die Front gezogen. Noch teilte er die bizarr-patriotischen Gefühle, auch die Rechtfertigung des Völkermordes als notwendiges Durchgangsstadium für ein neues Europa. In den Schützengräben aber brauchte die Euphorie sich rasch auf. Marcs Hoffnungen zeigten sich bald als Drama eines verirrten Idealismus.
Als man den gefallenen Künstler später zum nationalen Helden aufbaute, war das ein Nimbus, den er wohl zurückgewiesen hätte. Für Marc, der in nur einem halben Jahrzehnt ein einzigartiges Lebenswerk voller Spannungen und Zerrissenheit – was gewiss auch dem Streit unter den „Blauen Reitern“ geschuldet war – geschaffen hat, muss harmoniesüchtig gewesen sein. Bei ihm befanden sich zudem Christentum und Nietzsches nihilistische Philosophie in seltsamem Einklang; daraus filterte er: Melancholie. Die steckt tief in seinen deutschen Landschaften. Er war begeistert vom Kubismus und Orphismus der französischen Malerkollegen. Das Pferd in seiner Eleganz und Vitalität wurde ihm zum Symbol des Lebens, des Wirklichen und der Freiheit. Es symbolisiert die Kraft der Kultur, das Pferd erst ermöglichte dem Menschen Ackerbau und Mobilität.
Auch als er 1912 den „Tiger“, zuvor eine Landschaft mit Heuhocken, weiße und gelbe Katzen und Hunde, rote und grüne Rehe, Esel, gelb-rot-grüne Kühe und 1913 einen fast zentrifugalen „Mandrill“ malte, war der Einfluss der radikalen, aus Frankreich, vom „Erbfeind“ der Deutschen kommenden Strömungen jener Zeit unübersehbar.
Wassily Kandinsky vermerkte in seinem Tagebuch, Marc habe schon früh den Menschen als hässlich, das Tier hingegen als schön und auch als reiner empfunden. Allem voran das Pferd verkörperte ihm das Sinnbild einer den Geist und die Materie versöhnende „Weltanschauung“. Marc berührte sozusagen die Grenze zwischen innerer Natur und geistiger Transzendenz, seine meist elegisch wirkenden Tiere symbolisieren gleichsam die Sehnsucht des Malers nach Erlösung von der Erdenschwere und nach einem Gleichklang von Dasein, Natur und Geist.
Aus den Museen verbannt
Am intensivsten steht wohl dafür der seit der NS-Aktion „Entartete Kunst“ verschollene „Turm der blauen Pferde“ von 1913. Als habe sich der Maler schon vorab eine Art „Reinigung“ vom Ersten Weltkrieg, von dieser „Massenschlächterei“ (Kurt Tucholsky) versprochen, die bis 1918 fast zehn Millionen Tote forderte, ganz Europa in die erste große Katastrophe reißen würde. Ein „Weltenbrand“, aus dessen Asche, so träumte Marc zuletzt, ein neues, besseres Europa entstehen sollte.
Seine Bilder wurden im September 1913 in Herwarth Waldens erstem Deutschen Herbstsalon in Berlin gezeigt. Kaum drei Jahre später war der Maler, dessen Freund August Macke schon im September 1914 in der Champagne im Stahlgewitter verbluten musste, endgültig desillusioniert. Vom Grauen der Schlachten berichtete Marc seiner Frau Maria ab 1915 in Briefen, die 1920 postum veröffentlicht wurden. Für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg schwebte ihm vor, wie er schrieb, „konstruktive, zukünftige Bilder“ zu malen. Rückgriffe auf seine „Blaue Reiter“-Werke wolle er nicht nehmen. In der Kunst gelte es, nach vorne zu schauen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.
In einem Nachruf der befreundeten expressionistischen Dichterin Else Lasker-Schüler, heißt es: „Der Blaue Reiter ist gefallen, ein Großbiblischer, an dem der Duft Edens hing. Über die Landschaft warf er einen blauen Schatten. Er war der, welcher die Tiere noch reden hörte; und er verklärte ihre unverstandenen Seelen.“
Für die Nazis war Franz Marc ein „entarteter Künstler“; sie entfernten 130 seiner Gemälde aus deutschen Museen, viele sind bis heute verschollen.