Berlin-Bekanntlich nistet die Freiheit gerne in den sogenannten Schmuddelecken, bieten diese doch Raum für Experiment und Wagnis, und es fällt dort, abseits von Glamour und Rampenlicht, etwaiges Scheitern nicht gar so schwer ins Gewicht.

Third Window Films
„Pinku eiga“ ist eine Bezeichnung für so einen Raum und meint eines der fruchtbarsten japanischen Filmgenres, virulent seit vielen Jahrzehnten. Bei dessen Vertretern handelt es sich um rund einstündige, zügig und bevorzugt auf 35mm-Material gedrehte Low Budget-Produktionen, die einer axiomatischen Regel gehorchen: pro Filmrolle, also etwa alle zehn bis fünfzehn Minuten Laufzeit, gibt es eine Sexszene respektive viel nacktes, meist weibliches Fleisch zu sehen. Gegenüber der expliziten Hardcore-Pornografie des Westens, deren Bildregister die streng gefassten japanischen Zensurbestimmungen ohnehin verbieten, wird dabei suggestiven, nichtsdestoweniger eindeutigen Darstellungen sexueller Akte der Vorzug gegeben.
In Verbindung mit der sich um diese Akte rankenden, tatsächlich aber auch eigenständig bedeutsamen Handlung entstehen solcherart Arbeiten, in denen die Darstellung von Sexualität nicht zum bloßen Mittel der Exploitation verkommt. In denen vor allem aber auch der Erotik- und der Kunstfilm immer wieder wagemutige und seltsame Allianzen eingehen. Denn solange der Nacktszenen-Regel Genüge getan wird, ist der Filmemacher frei in der Gestaltung des Stoffes und in der Wahl seiner stilistischen Mittel; außerdem machen beschränkte finanzielle Ressourcen ja oftmals erfinderisch.
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Ein Film wie „Blue Film Woman“ (Kan Mukai, 1969) lässt sich unter diesen Vorgaben lesen als desillusionierte Beschreibung eines verkommenen Gesellschaftszustandes. Korruption und Erpressung, Verzweiflung und Rachsucht bestimmen den Weg der hübschen Mariko, die den wirtschaftlichen wie sozialen Ruin ihrer Familie vergelten will. Freilich hat sie gegen die verantwortlichen Männer, die sie zwischenzeitlich um den Finger wickelt, letztlich keine Chance. Es ist dies ein Untergangsmelodram, das weniger mit seinen unbeholfenen Körper-Gemengen überzeugt als vielmehr mit experimentell gefilmten, wilden Partysequenzen, in denen der aufrührerische Geist der Sechziger sehr lebendig ist.
Demgegenüber stellt „Abnormal Family“ (Masayuki Suo, 1984) eine vergleichsweise ebenmäßige, wohlgesonnene und gutgelaunte Variation auf Yasujiro Ozus berühmt subtile Familiendramen dar. Hier schleust die Ankunft einer Ehefrau im Haushalt ihres Gatten eine beträchtliche erotische Hitze ins neue Heim ein. Die wirkt in der Folge auch als Katalysator auf die etwas eingestaubten Beziehungen von Schwiegervater, Schwager und Schwägerin. Eine allgemeine Befreiung resultiert daraus, die Ozu sehr wahrscheinlich gefallen hätte, die er aber wohl selbst nicht zugestanden hätte.
Pink Films Vol. 3 & 4 „Blue Film Woman“ von Kan Mukai, Japan 1969 & „Abnormal Family“ von Masayuki Suo, Japan 1984, Rapid Eye Movies, ca. 24 Euro