„Bobe Mayses“: Ein Ritterspektakel aus dem Ghetto von Venedig
Mehr als 500 Jahre alt ist der jiddische Bestseller „Bove Bukh“. Vielleicht muss sich deshalb jeder Theaterbesucher ein Kopftuch aufsetzen, das ihn in eine Oma verwandelt. Wahrscheinlich aber ist das ein schönes Spiel mit der Tatsache, dass der jiddische Titel des Stücks „Bobe Mayses“ übersetzt Oma-Märchen lautet. Zudem geht das Ganze bei der Other Music Academy in Weimar los, die der Mann gegründet hat, der auch vor 15 Jahren das Festival Yiddish Summer Weimar ins Leben rief – der in Berlin lebende Musiker Alan Bern. Und die Abkürzung für Other Music Academy lautet OMA. Außerdem machen die Kopftücher, die man auch noch selbst mit Federn, Bändern und Zeichnungen dekorieren darf, aus den Besuchern Teilnehmer.
Viele freiwillige Helfer
Es ist ein tolles Spektakel, das die aus der Tradition des Puppentheaters der legendären Bread and Puppet Kompagnie kommende New Yorkerin Jenny Romaine sich ausgedacht hat, zusammen mit dem New-York-Times-Bestseller-Autor Michael Vex, der für das Skript von „Bobe Mayses – Yiddish Knight and Other Impossibilities“ verantwortlich ist, und dem US-Amerikaner Alan Bern, zuständig für die eigene Mischung aus jiddischer und Renaissance-Musik. Dazu kommen zehn Künstler, Tänzer, Puppenspieler, Musiker aus England, Deutschland, Israel und Syrien, nicht zu vergessen die vielen freiwilligen Weimarer Helfer.
Mit „Freude, Freundlichkeit und Liebe zum Unerwarteten“ gerüstet, geht es von Station zu Station. Empfangen wird man von Elijah Levita, dem Autor des „Bove Bukh“, dem ersten Buch auf Jiddisch, das kein religiöser Text gewesen ist. Aber von wegen von Station zu Station gehen. Man wird gehetzt. Nie ist genug Zeit, sich niederzulassen, zu verstehen, auszuruhen. Elijah Levita mag es im 16. Jahrhundert ähnlich gegangen sein, als er als junger jüdischer Mann aus seinem Heimatort bei Nürnberg vertrieben wurde, nach Italien ging, dort vor allem im jüdischen Ghetto von Venedig lebte, aber auch in Rom, Padua, Isny.
Und weiter geht und hetzt es zu einer Art Kasperletheater, liebevoll geschmückt mit glänzenden Stoffen, auf denen Kronkorken funkeln, etwa von Lübzer Bier. Improvisation ist der Weg, nicht nur bei der Dekoration. Freunde ausgefeilten Bühnenzaubers werden hier nicht auf ihre Kosten kommen. In der Kasperle-Geschichte geht es um einen verlorenen goldenen Ring, einen Werwolf, der eigentlich ein Mensch ist, eine Rabbinerin nämlich, verheiratet ist sie mit einer Frau. Huch? Spätestens jetzt merkt man, dass es den Leuten hier nicht darum geht, historische Texte zum Leben zu erwecken, sondern darum, was jetzt ist und was sein könnte, wenn man ein paar Hindernisse in Form von Vorurteilen, Klischees und Traditionen aus dem Weg räumen könnte. So geht es weiter. Fluchtwege sind auf einer Weltkarte im nächsten Raum markiert. Um welche Zeit geht es hier? Wer flieht? Oder sind es immer ähnliche Routen, die in der Not beschritten werden?
Im nächsten Raum gibt es eine Kurzversion des Ritterromans. Er handelt von der großen Liebe zwischen der schönen Drusinia und dem jüdischen Ritter Bove, die unzählige Hindernisse überwinden muss. Pelukan, halb Mensch, halb Hund, setzt sich ihnen auf die Fersen. Doch aus Feinden können Helfer werden. Es gibt hier auch ein Pferd, das nur Jiddisch spricht. „Das Ganze hat nicht besonders viel Sinn“, sagt Michael Wex. „Aber das hat ein Schwarzenegger-Film auch nicht.“ Wir haben es also bei Bove mit einem jiddischen Actionhelden zu tun. Nur wie ist aus Bove, dem Ritter, Bobe, die Oma geworden?
Mit Gesang über die Alpen
Dann werden wir auf das Herzstück dieses Theaterereignisses vorbereitet, die große Parade. Drei Bewegungen, ein Gesang, den alle einstudieren, sollen uns auf unserem Weg über die Alpen helfen. Elijah Levita musste sie vor 500 Jahren auch überwinden. Tatsächlich sind es zur Bühne des Kulturzentrums Mon Ami nur ein paar hundert Meter, aber es ist dieser Zug, der alle zueinander bringt, in dem es keinen Unterschied mehr gibt zwischen Künstlern und Zuschauern. 200 Menschen ziehen singend und tanzend durch die Stadt, begleitet von Geigen, Flöten, einem Akkordeon – und angeführt von einem Polizeiauto. Das geht wohl nicht anders. Zwei riesige Pferdepuppen warten auf halber Strecke unter einer Decke verborgen und richten sich auf, als der Zug sie erreicht.
Diese Stimmung trägt den letzten Teil, in dem es dann tatsächlich eine Bühne gibt und einen Zuschauerraum. Es geht am Ende um Wege, die die Welt verbessern können, repräsentiert von riesigen verrückten Perückenmasken aus Pappmaschee. Es gibt keine Theaterwerkstatt, in der diese hergestellt worden sind. Sie sind das Werk der Künstler, die drei Wochen lang miteinander getanzt, gebastelt, geprobt und gegessen haben. Sie sind ein weiterer Beweis für die Nahbarkeit dieses Projekts.