Botschafter Melnyk, The Clash und ein ukrainischer Nationalist
Wie umgehen mit der Geschichte des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera? Eine Fallgeschichte.

Die leider verspäteten und von Putin erzwungenen Lektionen über ukrainische Kultur und Geschichte lösen mitunter Irritationen aus. So erging es auch dem Folk-Punk-Musiker Billy Bragg, der einst ein witzig-einfallsreicher Antipode von Premierministerin Maggie Thatcher war, in jener lange zurückliegenden Ära, die man nach ihr und ihrer neoliberalen Politik benannt hat.
Billy Bragg ist noch immer ein umtriebiger Zeitgenosse, kürzlich sendete er über sein Facebook-Profil einen Eintrag, der von der ukrainischen Band Beton handelt und davon, wie diese angesichts der Zerstörungen in der ukrainischen Hauptstadt den Epochenhit „London Calling“ zu „Kyiv Calling“ adaptierte.
Kaum war der Post in der Welt, wurde Bragg darauf aufmerksam gemacht, dass die Bandmitglieder von Beton T-Shirts trugen, die den ukrainischen Politiker Stepan Bandera zeigten. Der 1959 in München von einem KGB-Agenten ermordete Bandera war 1934 wegen der ihm vorgeworfenen Ermordung des polnischen Innenministers Pieracki verurteilt worden, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs kam er aber wieder frei.
Bandera kooperierte mit der deutschen Wehrmacht, die unter seiner Führung stehenden Milizen übernahmen nach dem Einmarsch der Nazis in Lemberg teilweise die Polizeigewalt, und Bandera war für Massenverhaftungen und -erschießungen verantwortlich. Nach dem Krieg wurde er von einem sowjetischen Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Die rechtsradikale Gesinnung Banderas veranlasste Billy Bragg schließlich, seine popmusikalische Botschaft wieder zu löschen, weil er vermutete, dass es dem 2002 gestorbenen Joe Strummer von The Clash wohl nicht recht gewesen wäre, sein Lied in solch einem zwiespältigen Kontext verbreitet zu wissen.
In der Ukraine wird Bandera heute nicht zuletzt wegen seiner antirussischen Haltung verehrt. Übrigens auch vom so beherzt für die Belange seines Landes eintretenden ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk. 2015 hatte dieser Banderas Grab in München aufgesucht und es via Twitter öffentlich gemacht. Das löste eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dagdelen im Bundestag aus, die Michael Roth (SPD) als Staatssekretär des Auswärtigen Amtes diplomatisch beantwortete: Die Bundesregierung verurteile die von Bandera und seiner Organisation begangenen Verbrechen.
Er wolle nicht die Welt verändern, hat Billy Bragg einmal gesungen. Er wolle nur ein neues England. Ach, würde man doch schon über eine neue Ukraine sprechen können.