Chinesischer Künstler in Deutschland: Berlin wartet auf Ai Weiwei
Der berühmte chinesische Künstler Ai Weiwei ist in Deutschland. Seine erste Auslandsreise seit seiner Festnahme vor vier Jahren führte ihn zunächst nach München, wo er am Donnerstagnachmittag landete. Es fühle sich „sehr gut“ an, wieder reisen zu können, sagte der 57-Jährige nach seiner Ankunft. Erst vor einer Woche hatte Ai seinen Pass wiederbekommen. „Alles verlief reibungslos“, sagte ein chinesischer Freund über die Formalitäten beim Abflug in Peking.
2011 war der kritische Künstler vor einer Abreise am Flughafen festgenommen worden, womit eine 81 Tage dauernde Inhaftierung begann. Damals hatten die Behörden seine Reisedokumente eingezogen – offenbar, um seinen internationalen Einfluss zu dämpfen. Ein Vertreter der Polizei habe ihm vergangene Woche nun den Pass mit den Worten ausgehändigt: „Das ist Deiner!“
Medizinische Untersuchung in München
In der bayerischen Landeshauptstadt, wo er vor einigen Jahren operiert wurde, will sich der Künstler nun untersuchen lassen. Anschließend will er nach eigenen Worten nach Berlin weiterreisen. In der Hauptstadt lebt sein sechsjähriger Sohn zusammen mit dessen Mutter. Vor knapp einem Jahr hatte Ai beide aus Angst um ihre Sicherheit nach Berlin geschickt. Am Münchner Flughafen konnte Ai Weiwei beide erstmals wieder in die Arme schließen.
Ai ist der mit Abstand der bekannteste chinesischen Künstler – zumindest außerhalb seines Heimatlands. Der Charakterkopf spaltet die Geister: In China wird seine Arbeit zum Teil totgeschwiegen, zum Teil stellen ihn die Staatsmedien wahlweise als Querulanten und Egomanen dar, oder als verantwortungslose Spielernatur. Der Weltöffentlichkeit ist er jedoch als Schöpfer origineller und inspirierender Installationen, Konzeptkunstwerke und Happenings bekannt. In Deutschland ist er seit mehreren Projekte für die Documenta in Kassel eine feste Größe: Mal ließ er 1001 Chinesen anreisen, mal bedeckte er eine ganze Fassade mit Kinderrucksäcken – doch immer beeindruckte er durch Monumentalität und Vielschichtigkeit seiner Beiträge.
Ai hält sich nicht zurück
Vor allem schreckt Ai nicht vor offenen politischen Botschaften in seinen Werken zurück. Auch hier ist die Wahrnehmung des In- und des Auslands sehr unterschiedlich. Während er international als mutig und engagiert gilt, stellen ihn Vertreter der Kommunistischen Partei in China als Übeltäter dar: Er verlasse den Rahmen, in dem sich ein Künstler in der Gesellschaft bewegen dürfe und riskiere damit die politische Stabilität seines Landes.
Doch trotz Reiseverbot: Ai genießt im autoritär geführten China eine gewisse Freiheit. Er ist Sohn des kommunistischen Dichters Ai Qing, was ihn vor den schlimmsten Übergriffen des Staates geschützt haben dürfte. Ai hat an der Pekinger Filmhochschule studiert, dann aber praktisch die ganzen 80er-Jahre in in den New York verbracht, wo er ziemlich unterschiedlichen Interessen nachgegangen ist. Er hat dort Kunst studiert (ohne Abschluss), viel Literatur gelesen, sich in Dichterkreisen bewegt, sein Geld als Straßenmaler verdient. Ai war unter anderem von den Werken Andy Warhols fasziniert, was sich zum Teil noch heute zeigt. Was die „Spielernatur“ angeht: Tatsächlich hatte er erhebliche Erfolge als Blackjack-Zocker.
Knallbunte chinesische Vasen
Aus den USA hat er einen freiheitlichen Geist mit nach China zurückgebracht, mit dem er seitdem ständig aneckt – aber er eckt auch absichtlich an, und hat auch Spaß daran. Ai hat seit seinem Durchbruch als Künstler eine enorme Produktivität entfaltet. So geht das bekannte Pekinger Kunstviertel 798 auf seine Initiative zurück. Ganz besonders in Erinnerung bleibt eine krasse Aktion: Der Künstler tauchte uralte chinesischen Vasen aus der Zeit um Christi Geburt in knallbunte Farbe, eine weitere Vase hat er für eine Fotoserie zerschmettert.
Ai wehrt sich dabei gegen simple Deutungen seiner Aufführungen und Kunstwerke. Er hält die Aussagen damit auf einer intuitiven Ebene – jeder mag sie andere verstehen, aber es läuft immer auf Eines hinaus: Er irritiert und regt zum Selberdenken an. Gerade das treibt die Zensoren im kommunistischen China geradezu in den Wahnsinn. Die Spannungen zwischen dem Staat und dem Künstler fanden ihren vorläufigen Höhepunkt 2011 in der in der Verhaftung und dem Entzug des Passes.
Seit kurzem sind jedoch andere Sicherheitsbeamte in Peking für den „Fall Ai“ zuständig – und die sind offenbar wesentlich kunstsinniger und toleranter. Ai stellt auch seit wenigen Wochen an mehreren Stellen in Peking wieder aus.
Großbritannien verweigert sechsmonatiges Visum
Ais Abflug von Peking war begleitet von Wirbel über die Entscheidung der britischen Regierung, dem regimekritischen Künstler ausgerechnet wegen seiner politisch motivierten Inhaftierung 2011 eine kriminelle Vergangenheit zu unterstellen und ihm ein langfristiges Visum zu verweigern. In dem Ablehnungsschreiben, das Ai auf dem Fotodienst Instagram veröffentlichte, wird ihm vorgeworfen, im Visumantrag falsche Angaben über seine bisherige Straffälligkeit gemacht zu haben. Wegen seiner politisch motivierten Festnahme 2011 verweigerte Großbritannien ihm ein sechsmonatiges Geschäftsvisum - und erlaubt ihm nur einen dreiwöchigen Aufenthalt.
Einstein-Gastprofessur an der UdK
Ganz anders in Deutschland: In Berlin wartet eine Professur an der Universität der Künste auf ihn. „Bei seinem Aufenthalt in Deutschland würden wir hierüber gern ins Gespräch kommen“, sagte Universitätssprecher Bjoern Wilck am Freitag auf Anfrage. „Die Berufung besteht seit vier Jahren, die Finanzierung ist dank der Einstein Stiftung Berlin nach wie vor gesichert.“ Die Universität hatte den Regimekritiker wegen seiner mehrmonatigen Verhaftung in China demonstrativ auf die Einstein-Gastprofessur berufen. Nach Auskunft seiner Berliner Galerie Neugerriemschneider wird er „irgendwann in den nächsten Tagen“ auch in Berlin erwartet. (mit dpa)