Schwer zu sagen, was Anna Bergmann gereizt hat, sich Noah Haidles Broadway-Komödie „Birthday Candles“ aus dem Pool neuester Dramen zu picken und in den DT-Kammerspielen zu inszenieren. Ziemlich alles in diesem backseligen, sentimentalen Küchentext driftet weg von dem, wofür die Karlsruher Schauspieldirektorin bisher stand: emanzipatorisch engagierte, lebensphilosophisch scharf fragende Adaptionen, die mit strengem Formbewusstsein experimentieren. Auf den ersten Blick streift auch „Birthday Candles“ große Fragen, springen die Gedanken der Hauptfigur Ernestine aus der heimischen Küche, wo sie jährlich ihren Geburtstagskuchen backt, fort ins Universum und zurück. Doch bleiben diese Sprünge im Verlauf einiger Dutzend Backszenen und 107 Lebensjahren, die Autor Noah Haidle seiner Ernestine auf den Buckel schreibt, vor allem Wortgeklingel.
Zunächst aber wird Ernestine 17 Jahre alt und weiß schon ganz genau, was sie will: aufbegehren gegen das Alltägliche, fort aus der amerikanischen Kleinstadt, ihren eigenen „Platz im Universum“ finden. Mutter Alice aber weiß längst besser, dass das Universum, von dem Ernestine träumt, schon in der Kuchenschüssel vor ihr liegt: die Zutaten selbst, deren Atome, seien jener Sternenstaub, aus dem sich Leben schöpft, nichts Größeres also als Butter, Salz und Mehl, weshalb die kranke Alice ihrer Tochter noch das Kuchenbacken überbringen will, den Schlüssel zum Leben selbst. Um das zu verstehen, spult „Birthday Candles“ Backszenen ab in Wiederholung und Variation über vier Generationen hinweg.
Die Vermeidung des nur Privaten
Problematisch wird diese Back-Dramaturgie allerdings, weil Autor Noah Haidle darauf besteht, sie streng realistisch zu nehmen, nicht etwa als Zeit und Ideen verarbeitende Metapher. Anna Bergmanns erste Großtat ist daher zweifellos, dieses Diktum über Bord geworfen zu haben. Keine Backwaren also, vielmehr stellt Bühnenbildner Jo Schramm die kleine Kastenbühnenküche schief und lässt sie sogar rotieren wie eine Lostrommel. Alles hier ist von Beginn an Sternenstaub, diffuses Traumbild in gelbes Licht gehüllt, Lebens- und Geschichtserinnerung einer vorsichtig tastenden Frau, die Corinna Harfouch in sternenhaftem Glitzerkleid mit umwerfender Präzision durch Leben und Welt führt. Als kribbeliger Teenager ist sie so überzeugend wie als traurige Alte, wenn auch am Ende ein bisschen zu tränenreich aufgetragen. Tatsächlich besticht Bergmanns so kühler wie humoristischer Blick auf das naiv privatistische Stück gerade durch die Vermeidung des nur Privaten, Sentimentalen. Vor allem aber auch durch das Ensemble, das mit Leichtigkeit die knappen Flashes auf Ernestines Leben in scharfe Bilder zwingt: Kathleen Morgeneyer umreißt die Mutter verhärmt, die Tochter aufsässig, Alexander Khuon macht Ehemann Matt zum pflichtbewussten Schwerenöter, Bernd Stempel drückt dem unglücklich verliebten Nachbarn sein trauriges Narrentum auf und aus dem Rührteig wird so ein charmanter Abend.