Da müssen Sie am Wochenende hin: die Kulturtipps der Redaktion

Unsere Kulturredaktion hat für Sie die Veranstaltungspläne durchforstet und die besten Ideen fürs Wochenende zusammengestellt.

BLZ/Uroš Pajović

Sie haben am Wochenende noch nichts vor oder sind noch nicht restlos mit Freizeitaktivitäten ausgebucht? Sehr gut! Die Berliner Zeitung hat für ihre Leserinnen und Leser wie jede Woche die Kulturtipps für das kommende Wochenende in Berlin gesammelt. Viel Spaß!


Abstrakt-Expressionistisches im Dialog mit dem Kruzifix

In der Ausstellung  „Nirgends ist der Ort“ in St. Thomas: abstraktes Gemälde von Harald Schulz.
In der Ausstellung „Nirgends ist der Ort“ in St. Thomas: abstraktes Gemälde von Harald Schulz.VG BIldkunst Bonn 2022/Harald Schulz

Die Kreuzberger Kirche St. Thomas am Mariannenplatz wurde soeben zu einer Galerie für Abstract Painting transformiert. Der Berliner Maler Harald Schulz zeigt in dem spätklassizistischen evangelischen Gotteshaus seine tief berührenden, ja aufwühlenden Tafeln, schafft trotz der Intensität seiner Abstraktionen einen meditativen Bezug zum sakralen Raum. Irgendwie bezieht er sich in seiner von der Weißenseer Brotfabrik-Galerie vermittelten und mit organisierten Ausstellung „Nirgends ist der Ort“ auch auf den Gebäudegrundriss in Form eines lateinischen Kreuzes. Malen ist bei Schulz ein bis zur Ekstase gesteigerter Akt, als wäre der Pinsel im Sturzflug auf die Leinwand gekracht und als habe er die Farben auch mit den Händen aufgebracht – gestisch, wuchtig, dick, fast explosiv. Als Zeichen für Schönheit, Lust, Schmerz und Vergänglichkeit. Schulz war 1989 übrigens der erste Student der DDR, der damals an der Kunsthochschule Weißensee ein Diplom in abstrakter Malerei ablegen konnte. Es war hohe Zeit. Ingeborg Ruthe

St.-Thomas-Kirche am Mariannenplatz 28, bis 4. September, Öffnungszeiten im Rahmen der Offenen Kirche: Mo–Sa 10–14 Uhr / So 11–14 Uhr. Eintritt frei


Tanzen Sie zu Italo-Disco im Kunst- und Kulturbiergarten des Revier Südost

Wer denkt, in Berlin sei die Zeit der guten gratis Open Airs vorbei, hat sich getäuscht. Am Sonnabend findet im Baergarten, dem Kunst- und Kulturbiergarten des Technoclubs Revier Südost, ein kostenloses und musikalisch vielversprechendes Open Air statt. Um 14.00 Uhr beginnt der „Hinterhof Rave“, die Bierbänke und Tische werden zum Tanzen beiseitegeräumt. Es spielt neben dem Berliner DJ und Veranstalter der „Nautilus“-Partyreihe Friedrich Raphael auch der für seine erstklassige Italo-Disco-Sets bekannte Franz Scala. Die beiden sind zwar alles andere als Techno, machen aber mit ihren tanzbaren harmonischen Klängen gute Laune. Bis 2.00 Uhr nachts legen sie auf. Das Revier Südost in Adlershof ist der Nachfolger des beliebten Technoclubs Grießmühle an der Sonnenallee, der 2020 nach einem ausgelaufenen Mietvertrag schließen musste. Friedrich Conradi

Hinterhof Rave im Revier Südost. Sonnabend, 16. Juli, Einlass: 14 Uhr


Kunst über die kafkaesken Blüten der deutschen Justiz-Bürokratie

Belia Brückner: Dokument der Telefontarife von Häftlingen – mit Trauerrahmen.
Belia Brückner: Dokument der Telefontarife von Häftlingen – mit Trauerrahmen.Galerie Eigen+Art/Belia Brückner

Belia Brückner ist eine Hamburger Konzeptkünstlerin, die sich in Dinge der Justiz einmischt, was staatlicherseits kaum Wohlgefallen hervorrufen dürfte. Es geht um die Telefonrechnungen der Insassinnen und Insassen deutscher Strafvollzugsanstalten. Im Eigen+Art LAB in der Berliner Torstraße macht sie nach gründlichen Recherchen in ihrer Ausstellung die ungerechte Rechnung auf: Über ein global agierendes, börsennotiertes Unternehmen, das sich in Deutschland Telio nennt, laufen die meisten  Telefonate deutscher Häftlinge. 2020 hat Brückner die aktuellen Verträge für die Gefangenentelefonie von Hamburger Justizvollzugsanstalten zur Einsicht angefordert. Von den geschwärzten Verträgen, die die Künstlerin daraufhin erhielt, entspinnt sich ihr Ausstellungsprojekt, das kafkaeske Blüten des deutschen Staatswesens dokumentiert. Im Jahr 2022 ist eine Abrechnung dieser Telefonate nach Minuten – vergleichbar mit den Telefontarifen von vor circa 15 Jahren – für die Inhaftierten völlig überteuerte Realität.

Telio, das belegt Brückner in ihren Dokument-Collagen, hat eine Monopolstellung in Bezug auf die von deutschen Justizvollzugsanstalten extern eingekauften Dienstleistungen der Gefängnistelefonie. Das Unternehmen steuert die Telefonie von weltweit über 300.000 Häftlingen und kauft Mitbewerber wie Keas auf. In Deutschland gibt es lediglich einen deutlich kleineren, mittelständischen Mitbewerber, Gerdes, und in manchen Fällen die Telekom. Aufgrund des Rechts auf Resozialisierung, das 1973 verankert wurde, sind deutsche Haftanstalten aber dazu verpflichtet, ihren Insassinnen und Insassen das Telefonieren zu angemessenen Preisen anzubieten. Ingeborg Ruthe

Eigen+Art LAB, Torstr. 220, bis 13. August, Di–Sa 11–18 Uhr


Musik vom Mississippi auf der Dachterrasse des HKW

Okay, es könnte wärmer sein, wenn es am Sonnabend losgeht mit dem alljährlichen Sommerfestival „Wassermusik“ auf der Dachterrasse des HKW. Erkundet wird dieses Jahr der Mississippi mit Konzerten, Filmen und Lesungen. Was die Musik angeht, ist die Bandbreite groß: In New Orleans entstanden Jazz und Funk, im Mississippi-Delta der Blues, in Memphis der Rock ’n’ Roll. Der Bedeutung des Flusses für die Musikgeschichte will das diesjährige Festival Rechnung tragen. Den Auftakt macht an diesem Sonnabend um 19.00 Uhr der Folk-Punk von Sunny War, um 20.30 Uhr folgen Kumasi, das Afrobeat-Orchester aus New Orleans. Um 22.00 Uhr wird „The Blues: Feel Like Going Home“ gezeigt, ein Dokumentarfilm von Martin Scorsese, der die Zuschauer mit dem Musiker Corey Harris als Erzähler und den Aufnahmen des Musikethnologen Alan Lomax als Grundlage auf eine musikalische Reise zu den bis nach Westafrika reichenden Wurzeln der Bluesmusik schickt.

So sah es mal aus, so könnte es wieder aussehen: das Festival Wassermusik auf der Dachterrasse des HKW.
So sah es mal aus, so könnte es wieder aussehen: das Festival Wassermusik auf der Dachterrasse des HKW.Sebastian Bolesch

Wenn das Wetter mal wirklich richtig schlecht werden sollte, kann man sich ins Auditorium flüchten, aber das wird an diesem Wochenende nicht nötig sein. Nur einen warmen Pulli sollte man einpacken. Susanne Lenz

Wassermusik im HKW, 16. Juli, 19 Uhr: Konzert von Sunny War, 20.30 Uhr: Konzert von Kumasi, 22 Uhr: Film „The Blues: Feel Like Going Home“, www.hkw.de


Wenn es in der Choreografie auch um Politik und Geschichte geht

Im Bode-Museum auf der Berliner Museumsinsel
Im Bode-Museum auf der Berliner MuseumsinselSMB/David von Becker

Die Skulpturensammlung und das Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin haben sich eine neue Veranstaltungsreihe ausgedacht: „Choreographing Politics“. Der Start ist an diesem Wochenende. Unter der künstlerischen Leitung von Carolin Brandl wurden international renommierte Choreografinnen und Choreografen eingeladen, sich in Performance-Vorführungen mit der Geschichte, der Architektur und der Sammlung des Bode-Museums auseinanderzusetzen. Die Reihe wird im Herbst 2022 mit dem Teil „Female Gaze“ fortgesetzt. Jérôme Bel, einer der weltweit wichtigsten konzeptuellen Choreografen, zeigt eine neue Arbeit. Kat Válastur kreierte eigens für die Basilika des Bode-Museums eine Choreografie mit feministischem Inhalt, zeigt eine raumfüllende Skulptur mit elf internationalen Tänzern und Tänzerinnen. Weitere Performerinnen und Performer stellen im prächtigen Kuppelsaal des Museums und in zwei weiteren weitläufigen Ausstellungssälen die Zusammenhänge zwischen Natur und Mensch sowie Bezüge von Kunst- aber insbesondere Tanzgeschichte zur Sammlung dar. Ingeborg Ruthe

Bode-Museum, Sonnabend, 16. Juli, 16–18 Uhr, Sonntag, 17. Juli, 15.30–18 Uhr. Weitere Informationen: choreographing-politics.com, Tickets (25 €, ermäßigt 18 €) können im Onlineshop der Staatlichen Museen zu Berlin erworben werden: shop.smb.museum


Das Freibad im Theater: „Schwimm langsam – jetzt erst recht“

Hoffentlich verraten wir nicht die Pointe, weil wir die Premiere von „Schwimm langsam – jetzt erst recht“ nicht gesehen haben und nicht wissen, wie das Stück ausgeht, aber vermutlich hat jemand einfach den Stöpsel gezogen, oder? In der neuesten Produktion des Prime Time Theaters liegt der Plötzensee eines Sommertages einfach trocken. Der Nichtschwimmer, Freibadbesitzer und Sympathieträger Kalle Witzkowski hatte sich so auf die Saison gefreut, ebenso Kalles hübscher Sohn Ricky, die Influencerin Lissi und der genderfluide Bücherwurm Moni.

Kalle Witzkowski und Lissi am Ufer des Plötzensee, hier noch mit Wasser
Kalle Witzkowski und Lissi am Ufer des Plötzensee, hier noch mit WasserRaphael Hohwein

Da auch die Rede von einem Brandenburger Autofabrikbesitzer ist, könnte Fabrizia, die Sensationsreporterin, einer Geschichte auf der Spur sein, die größer ist als ein Badewannenstöpsel. Anzumerken bleibt, dass es im Sommer natürlich keinen besseren Aufenthaltsort gibt als ein Theater, da besteht jedenfalls nicht die Gefahr, dass man unerwartet auf Grund läuft. Ulrich Seidler

Schwimm langsam – jetzt erst recht, 15., 16. Juli (20.15 Uhr), 17. Juli (19 Uhr), Prime Time Theater, Müllerstraße 163, Tel.: 49907958 oder www.primetimetheater.de


„Summer of Soul“ im Freiluftkino Insel

Musikfans verbinden mit dem Sommer 1969 natürlich Woodstock. Erst im vergangenen Jahr erinnerte der grandiose Dokumentarfilm „Summer of Soul (…Or, When the Revolution Could Not Be Televised)“ daran, dass damals nur wenige Autostunden entfernt noch ein anderes Festival stattfand, von dem man heute kaum glauben kann, das es medial so lange in der Versenkung verschwand. Beim Harlem Culture Festival traten über einen Zeitraum von sechs Wochen schwarze Künstler auf, darunter B. B. King, Stevie Wonder, Nina Simone und Gladys Knight & the Pips. Der Musiker Ahmir Thompson alias Questlove grub die Aufnahmen aus, nachdem ihr mittlerweile verstorbener Produzent zu seinen Lebzeiten jahrelang vergeblich versucht hatte, sie an den Mann zu bringen. In diesem Jahr wurde „Summer of Soul“ bei den Oscars als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Die Chance, ihn nun unter freiem Himmel zu sehen, sollte man sich nicht entgehen lassen. Claudia Reinhard

Atelier Gardens Summer Special: „Summer of Soul“ (OmU), 15. Juli 21.30 Uhr im Freiluftkino Insel, Oberlandstraße 26–35