Da müssen Sie am Wochenende unbedingt hin: Die Kulturtipps der Redaktion
Unsere Kulturredaktion hat für Sie die Veranstaltungspläne durchforstet und die besten Ideen fürs Wochenende zusammengestellt.

Theater: Die archaische Wucht des Fortpflanzungstriebes
Caroline Peters ist eine großartige Verwandlungsschauspielerin, die mit aller Spielenergie, mit scheinbar rückhaltloser seelischer Beteiligung und auch in buchstäblicher Hinsicht in Simon Stones „Yerma“-Überschreibung ein inneres Drama nach außen kehrt. Buchstäblich, weil sie irgendwann das Messer gegen sich selbst richtet und gegen den alles erdrückenden, unerfüllt bleibenden Kinderwunsch.

Sie spielt die Titelrolle in der Stückaktualisierung, die der äußeren Handlung nach nicht viel von Federico García Lorca übrig gelassen hat, aber in der Essenz doch alles. Denn so modern, feministisch und aufgeklärt wir heute reden, der Fortpflanzungstrieb – bitte nicht mit dem Geschlechtstrieb verwechseln wie immer noch im Sexualkundeunterricht – nimmt in seiner Archaik keine Rücksicht auf unsere Entfremdungsversuche als biologische Wesen. Die Wucht ist stärker als unsere zivilisatorischen Errungenschaften, sie reißt Yerma mit sich. Vorsicht! Großes Schauspielertheater! Ulrich Seidler
Yerma 25. Juni (20.30 Uhr) und 26. Juni (19.30 Uhr) in der Schaubühne. (Weitere Vorstellungen am 28. und 29. Juni, jeweils 20 Uhr). Karten unter Tel.: 890023 oder www.schaubuehne.de
Kunst: Gegen den Bruderkrieg mit den Mitteln der Malerei
Sie sind Freunde. Malerfreunde. Der eine ist Franzose, der andere Russe. Beide treibt Putins Aggressionskrieg gegen die Ukraine zu Bildern gegen das Grauen, gegen den Bruch des Völkerrechts. „Yes, Chaos“ nennen der deutsch-französische Künstler Emmanuel Bornstein und der in Wolgograd geborene Vladimir Potapov ihre gemeinsame Ausstellung in der Berliner Galerie Crone. Mit einigem Aufwand und unter Umgehung der Zensur ist es gelungen, Potapovs Werke von Moskau nach Berlin zu bringen. Um nicht nur ein künstlerisches Statement zu formulieren, sondern auch konkret zu helfen, werden die Erlöse aus der Ausstellung zur Unterstützung von ukrainischen Kriegsopfern und -flüchtlingen gespendet.
Die Malerfreunde haben sich 2019 auf der Curitiba Biennale in Brasilien kennengelernt, sich für ihre jeweilige großformatige figürliche Malerei interessiert. Zwischen ihren Ateliers in Berlin und Moskau gab es die ganze Corona-Zeit über Kontakt. Fast täglich tauschten sie via Instagram kleine Malereien und Notizen aus, in denen sie ihre Erfahrungen mit der Pandemie festhielten. Es entstand eine Serie unter dem Titel „Chronicles of Isolation“.

Nun bekam diese malerische Chronik durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine eine neue Wendung. Unter dem Eindruck des brutalen, menschenverachtenden Feldzugs begannen Bornstein und Potapov via Whatsapp und Telegram einen künstlerischen Dialog, in dem sie ihr Entsetzen zum Ausdruck brachten, in Worten und in Bildern. Potapov, in Moskau mit Zensur und Unterdrückung jeglicher Form des Protests konfrontiert, aber gleichzeitig ein entschiedener Gegner der russischen Invasion und Lügenpropaganda, porträtierte russische Aktivisten, die sich – wie er – trotz aller Repressionen offen gegen den Krieg stellten.

Bornstein, in Berlin die Fernseh- und Social-Media-Bilder aus den ukrainischen Kampfgebieten und das zögerliche Verhalten der deutschen Regierung vor Augen, reagierte mit Darstellungen des russischen Schriftstellers und Pazifisten Vsevolod Garshin, der bereits im zaristischen Russland unter Lebensgefahr gegen den imperialistischen Militarismus kämpfte und als Begründer der Anti-Kriegsliteratur gilt. Als Potapov später kleinere Malereien schickte, auf denen er zerstörte ukrainische Wohnhäuser mit lieblichen russischen Kitsch-Motiven überzog, um Putins nationalistische Lügennarrative, Geschichtsklitterungen und Kriegsrechtfertigungen zu veranschaulichen, antwortete Bornstein, dessen Malerei immer einen Hang zum Dystopischen und eine Abwehr gegen alle Gewalt aufweist, mit einer Paraphase zu Goyas „The Desaster of War“. Ingeborg Ruthe
Galerie Crone, Fasanenstr. 29, bis 28. August, Di–Sa 11–18 Uhr, Vernissage am 24.6. um 18 Uhr
Literatur: Ein Ungar stellt den großen deutschen Roman vor
Das Buch beginnt mit der Adresse von Angela Merkel als Bundeskanzlerin, wie sie auf einen Briefumschlag notiert wird. Dann folgt der Absender, und der erklärt den merkwürdigen Titel: „Herscht 07769“. Florian Herscht nämlich, um den es in diesem Roman geht, um seine Liebe zu Bach, zu Thüringen, um sein Leben mit den Neonazis, die er nicht alle schlimm findet, wohnt in 07769 Kana, einer Stadt im Osten, die so klein ist, dass ein Postbote ihn mühelos allein mit Nachnamen und Postleitzahl findet. Und er wendet sich an die Kanzlerin in Briefen, damit sie erfährt, was alles nicht rund läuft in seiner Gegend. Als Naturwissenschaftlerin sollte sie ihn noch verstehen.

Um deutsche Zustände geht es also in dem Buch, erlebt von einem hyperaufmerksamen Helden, der eine Katastrophe kommen sieht. László Krasznahorkai schreibt über unsere kleine Gegenwart mit dem weisen Blick des belesenen Europäers und dreht die Verhältnisse dabei zuweilen ins Skurrile und Absurde. Sein Kollege Ingo Schulze sagt, „gemeinerweise kann man in diesem Buch nie aufhören zu lesen“. Und er meint nicht nur den Ideenreichtum, die verführerische Sprache. Krasznahorkai, der das Buch am Sonnabend in Berlin vorstellt, hat die 400 Seiten geschrieben, ohne einen Punkt zu setzen. Absätze oder Kapitel gibt es schon gar nicht.
Wo also fängt der (mit dem Booker Prize und dem Österreichischen Staatspreis für Literatur) geehrte Schriftsteller mit seiner Lesung an, wo hört er auf? Und was wird er im Gespräch mit Felix Palent, dem neuen Inhaber der alten Charlottenburger Buchhandlung Knesebeck Elf sagen? Es gibt viele Gründe, neugierig zu sein. László Krasznahorkai spricht auf Deutsch, das Buch ist bei S. Fischer erschienen. Cornelia Geißler
Buchhandlung Knesebeck Elf, Sa, 25. Juni, 19 Uhr, Eintritt 10 Euro. Knesebeckstr. 11
Auf einen Kunst-Drink auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie
Jeden Freitag und Samstag vom 24. Juni bis einschließlich 27. August von 18 bis 22 Uhr öffnet jeweils zum Sonnenuntergang die durch den Künstler Karsten Konrad gestaltete Bar „MIES-liwska“ auf der Terrasse der Neuen Nationalgalerie. Die eigens für die Terrasse des Museums geschaffene skulpturale Sundowner-Bar ist an Architekturentwürfe Ludwig Mies van der Rohes angelehnt. Sie bezieht sich mit dem schwarz-weißen Farbkonzept sowie mit Referenzen an die ikonische Dachkonstruktion direkt auf die Architektur der Neuen Nationalgalerie. Der Name der Bar „MIES-liwska“ ist eine Anlehnung an die von Karsten Konrad und Hannes Gruber geführte Bar „Mysliwska“, die seit über 30 Jahren in Kreuzberg in enger Anbindung an die Kunsthochschulen Berlins besteht.

Die Ausstellung von Barbara Kruger „Bitte lachen, Please cry“ (noch bis 27. August 2022) ist zu den speziellen Sundowner-Abenden mit verlängerten Öffnungszeiten von 18 bis 22 Uhr zugänglich. Hier ist die speziell für den Mies-Raum konzipierte Bodenarbeit in den späten Abendstunden zu erleben. Durch die Lichtverhältnisse der untergehenden Sonne entsteht ein gänzlich neues Seherlebnis der ortspezifischen Arbeit, das während der üblichen Öffnungszeiten nicht erfahrbar ist. Ingeborg Ruthe
Neue Nationalgalerie, Potsdamer Str. 50, Di–Mi 10–18 Uhr, Do bis 22 Uhr, Fr–So 10–18 Uhr
Mit der Berghain-Legende ins Märkische Viertel
Beim Märkischen Viertel denkt man sicherlich an vieles, aber bestimmt nicht an den Berghain-Türsteher und Fotografen Sven Marquardt. Der gibt selber freimütig zu, als geborener Berliner noch nie in der Siedlung im Bezirk Reinickendorf gewesen zu sein, bevor die Gesobau an ihn herantrat.

Für die Wohnungsbaugesellschaft fotografierte Marquardt nun die Menschen, die in der sogenannten Großwohnsiedlung leben und oft mit den Vorurteilen gegen sie und das Märkische Viertel zu kämpfen haben. Die Bilder in klassischem Marquardt’schen Schwarz-Weiß zeigen die Mieter und Mieterinnen des Viertels auf eindringliche und gleichzeitig sensible Weise, formal streng und dann auch wieder nicht.
Das ist nicht nur ein smarter Move der Gesobau fürs eigene Image und das des Märkischen Viertels, sondern auch eine wunderbare Ausstellung über die Menschen dieser Stadt in all ihrer Diversität. Marcus Weingärtner

NAH, noch bis 26. Juni 2022, jeweils von 14 bis 20 Uhr, Baustelle ehemalige Gesobau-Zentrale, Wilhelmsruher Damm 142, 13439 Berlin, Märkisches Viertel
Mit Grüffelo: Berliner Bilderbuchfest am Helmi
Zwei Sommer lang musste das Berliner Bilderbuchfest pausieren, nun geht es endlich wieder an den Start. Am Sonntag können sich Kinder und Bilderbuchfans jeden Alters am Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg einfinden und an fast 40 Ständen durch die schönsten Bilderbücher blättern. Kinder- und Jugendbuchverlage sind vor Ort, auch der Grüffelo wird da sein – mit knotigen Knien, einer grässlichen Tatze und vorn im Gesicht einer giftigen Warze. Grüffelo-Fans kennen das.
Am Helmi wird eigens fürs Fest eine Bühne aufgebaut, es gibt Bastelaktionen, Musik, Tombola und Kinderschminken. Die Lettestraße ist für die Veranstaltung gesperrt, sodass man sich beim Mitsingen und Mittanzen frei bewegen kann. Anne Vorbringer
Auf der Lettestraße am Helmholtzplatz, So, 26. Juni von 10 bis 17 Uhr, Eintritt frei