Das Emotionale ist politisch: Die Grünen thematisieren die bedrohte Freiheit der Kunst.
Noch nie hätte es so viel Interesse an einem kulturpolitischen Abend der Bundestags-Grünen gegeben wie diesmal, freute sich deren kulturpolitischer Sprecher Erhard Grundl am Dienstagabend im Foyer des Paul-Löbe-Hauses. Kein Wunder beim Thema „Kunst + Freiheit under pressure“.
Wobei es aktuell zwei Arten von Druck gibt, wie die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt eingangs zusammenfasste: „Einerseits die Kritik an dem, was unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit stattfindet. Darüber müssen wir streiten. Etwas völlig anderes ist der von rechts erklärte Kulturkampf. Hier gibt es nichts zu diskutieren. Hier gilt es standzuhalten und Haltung zu zeigen.“ Beifall.
Beispiele dieses Kulturkampfes wurden in der folgenden Podiumsdiskussion Grundls mit der Theaterintendantin Amelie Deuflhard (Kampnagel Hamburg), dem Pianisten Igor Levit und der Rapperin Sookee einige genannt, und auch das Publikum trug bei: Versuche der Mittelkürzung, Behinderung durch Strafanzeigen oder Verleumdung von Kunst und Kultur, die sich mit migrantischen oder politisch linken Themen beschäftigt oder subkulturell geprägt ist. Angriffe auf Amtswegen gewissermaßen, gerne durch AfD-Abgeordnete, aber in Sachsen etwa assistiert auch gern die CDU.
Igor Levit: "Frei sind wir. Aber wir dürfen nicht faul sein.“
Und dann gibt es an dieser Front noch das, was Igor Levit einen „Identitätskrieg“ nennt: den Versuch, und zwar durchaus aus der sogenannten Mitte heraus, kulturelle Identität zu vereinnahmen, um andere auszugrenzen. „Ich weigere mich aber als Jude, Antisemitismus zu besprechen, ohne gleichzeitig Rassismus und Antiislamisches zu besprechen“, rief er. „Frei sind wir. Aber wir dürfen nicht faul sein.“
Im Zusammenstehen gegen rechts herrschte Einigkeit, die auch die Notwendigkeit einschloss, über die Fixierung auf die AfD allmählich hinwegzukommen und sich auf das zu konzentrieren, wofür man selbst steht. Aber wie verhält es sich in den quasi inneren Kampfzonen der Szene? Es war Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, der sich aus dem Publikum erhob und nach der Haltung der Grünen gegenüber der von Göring-Eckardt angesprochenen Kritik am „Deckmantel“ Kunstfreiheit fragte.
Schon im Mai-Editorial der Kulturrat-Zeitung Politik & Kultur hatte er gemahnt, dass man sich „trotz der zunehmenden gedankenlosen oder bewussten Nutzung rassistischer Stereotypen von rechts wie links“ die Freiheit des Wortes nicht selbst verbieten dürfe. Jetzt bezog er sich auf das Beispiel des wegen Verdachts auf Sexismus übermalte Gedicht von Eugen Gomringer an der Außenwand der Alice-Salomon-Hochschule und wollte wissen, ob die Grünen die Übermalung richtig gefunden habe. Er nämlich nicht.
Shermin Langhoff knüpfte die Frage nach der Freiheit an die Frage nach der Macht
Darauf ergriff, ebenfalls aus dem Publikum, die Intendantin des Gorki-Theaters Shermin Langhoff das Wort und geißelte Zimmermanns Aufruf, die Freiheit der Kunst auch gegen links zu verteidigen, scharf. Es sei doch immer die Frage, wer wen kritisiere und wie die Machtpositionen dabei verteilt seien. Darin, „große Meister zu verteidigen, die seit Jahrhunderten die Macht haben“, sehe sie keinen Fortschritt, vielmehr hätten – sinngemäß – Personen, deren Existenz in der Kunst von anderen ausgedeutet werde, das Recht, sich dagegen zu verwahren.
Sowohl Katrin Göring-Eckardt als auch Erhard Grundl antworteten in der Folge auf Zimmermanns Frage, dass sie die Übermalung des Gomringer-Gedichtes richtig gefunden hätten. Göring-Eckardt wollte sich immer auf die Seite derjenigen stellen, die keine Stimme hätten. Grundl fand, dass jede Generation neu bestimmen könne, womit sie leben wolle und womit nicht.
Nun standen sich im Fall Gomringer natürlich eine große Anzahl Studierender, gestützt von einem Universitätsapparat, und ein damals 92-jähriger Dichter gegenüber, dem plötzlich ein 66 Jahre altes und von der selben Hochschule vor sechs Jahren gerade ausgezeichnetes Gedicht um die Ohren gehauen wurde. Aber wie Sookee es auf den Punkt brachte, sei inzwischen eben auch „das Emotionale politisch“ geworden, eine Setzung, der niemand widersprach.
Später ging es an zehn Stehtischen („Ansprechbars“) noch um die Details dessen, was Kunst braucht, um frei zu sein: Finanzierung, Recht, Raum und Dialog beispielsweise. Je ein Grünen-Mitglied und jemand aus Kunst und Kultur standen bereit. Am Apfelsaftstand traf ich Holger Bergmann, Geschäftsführer des Fonds Darstellende Kunst und Mitgründer des Vereins Die Vielen, der sich gegen rechts und für Offenheit und Pluralität engagiert.
Zu dem Konflikt, dessen Positionen von Zimmermann und Langhoff markiert worden waren, sagte er: „Darüber müssen wir dringend reden. Aber wichtig ist doch, dass sowohl Shermin Langhoff als auch Olaf Zimmermann die Erklärung der Vielen unterzeichnet haben. Auch mit unterschiedlichen Ansichten stehen sie auf der gleichen Seite.“ Ein Nebenwiderspruch also nur?