Leere Regale. Echt jetzt?
Hinter dem Stichwort Lieferprobleme, das derzeit in aller Munde ist, verbirgt sich das hässliche Phänomen des Mangels.

Berlin-Angesichts der TV-Bilder aus Großbritannien wuchs in mir das Gefühl der Genugtuung. Da haben sie ihn doch, den Brexit. Vor den Tankstellen bildeten sich Warteschlangen, nicht etwa, weil das Rohöl knapp geworden war. Schadenfreude aber verkniff ich mir in Erinnerung an die Ölkrise der 1970er-Jahre. Sonntagsfahrverbot – Sie wissen schon. Nun aber ist es ein selbst evozierter Mangel. Es fehlt an Lkw-Fahrern, die den Treibstoff von hier nach da bringen. Die spinnen, die Briten, hätte Obelix gesagt.
Inzwischen jedoch springen die Mangelphänomene nicht nur als Folge des politisch paradoxen Brexit-Begehrens ins Auge. Leere Regale bei Ikea, und selbst ein Nachhaltigkeitskaufhaus wie Manufactum ist von Lieferschwierigkeiten erfasst. Der Hersteller eines formschönen Wassersprudlers muss bei den zugehörigen Abfüllflaschen passen. Seit ein paar Wochen werden die Kunden auf den jeweils nachfolgenden Monat vertröstet.
Probleme mit dem Nachdruckmanagement
In der öffentlichen Wahrnehmung ist man unterdessen bemüht, das Gefühl des Mangels auf die hohen Benzinpreise zu beschränken. Wenn Preise steigen und fallen, darf das noch nicht als Indiz dafür angesehen werden, dass etwas fehlt. In der Buchbranche macht man sich aber bereits mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft damit vertraut, auf vergriffene Auflagen zu verweisen. Das Nachdruckmanagement werde riskanter mit Wartezeiten bis zu sieben Monaten, heißt es vom Börsenverein des deutschen Buchhandels, Termindrucke seien fast unmöglich.
Der Branchenjargon lässt erahnen, dass Assoziationen zu Mangel und Verzicht gemieden werden sollen. Während die digitale Ökonomie von der Illusion unbegrenzter Verfügbarkeit lebt und Lieferdienste boomen, erscheint Notstand als historisches Motiv, das der norwegische Schriftsteller Knut Hamsun in seinem Roman „Hunger“ einführte mit dem Satz: „Es war in jener Zeit, als ich in Kristiania umherging und hungerte, in dieser seltsamen Stadt, die keiner verlässt, ehe er von ihr gezeichnet worden ist.“ Für die vom Konsum Gezeichneten darf es Mangel nicht geben.