DDR-Museum in Berlin: Noch eine Schrankwand

Es waren einmal zwei Ausstellungsmacher, die wollten jeder ein Museum über den Alltag in der DDR eröffnen. Im Jahr 2005 mieteten beide in Berlin entsprechende Flächen an. Das eine Team richtete ein paar leere Räume unten im Hotel Radisson her, gegenüber dem Berliner Dom. Es brachte 600.000 Euro auf, übernahm etliche Exponate als Leihgabe oder Geschenk und eröffnete im Sommer 2006 das DDR-Museum. Der Erfolg war so umwerfend, das Museum so gut besucht, dass es seine Fläche bald auf 1000 Quadratmeter erweiterte. Ständig gibt es neue Rekorde bekannt, in diesem Jahr waren schon mehr als 500.000 Besucher da, an manchen Tagen kommen 1500. Zweimal war es als Europäisches Museum des Jahres nominiert. So, das war die rührige Privatinitiative, ganz ohne Steuergeld.

Das andere Team stammt aus dem Haus der Geschichte Bonn, hochsubventioniert. 2005 übernahm es ein vorhandenes Museum in Berlin, allerdings ohne Behindertenfahrstuhl, mit etwas zu niedrigem Treppengeländer und einer gewaltigen DDR-Design-Sammlung, die früher hier immer ausgestellt wurde. Dann hat das Haus der Geschichte sehr lange sehr gründlich überlegt, was es für ein Museum haben will. Als es 2011 den Mietvertrag bis 2026 verlängerte, hatte es noch kein Konzept gefunden. Eines Tages aber muss es doch fertig geworden sein, zunächst hieß das Museum „Alltag in der SED-Diktatur“, dann „Alltag in der DDR“. Und dieses Museum mit seinem langen Vorlauf wurde nun am Freitag eröffnet.

Mit 600 Quadratmetern ist es noch kleiner als sein auch nicht gerade riesiges Pendant am Dom. Da so ein Fall aber neu ist, dass sich in einer Stadt künftig zwei Museen dem genau gleichen Inhalt widmen, nämlich, wie in der DDR gelebt wurde, da beide zugleich mit höchst unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen um Besucher konkurrieren, geht es gar nicht anders, als die Museen zu vergleichen.

Also zuerst das Neue. Es hat auf seiner Einladungskarte dieses Foto von Uwe Gerig (1983), das ich sehr liebe, weil es die ganze Misere auf einen Blick zusammenfasst: Frauen stehen in langer Schlange vor einem Obst- und Gemüseladen. Die Schaufenster-Dekoration freilich besteht aus Konserventürmen, denn Obst und Gemüse war ja in der DDR kein selbstverständliches Angebot. Das Schaufenster zeigt auch noch ein Marx-Porträt und den Spruch „Karl Marx lebt in uns und unseren Taten“. Was heute aussieht wie ein Guerillaakt des Gemüsehändlers, wurde damals vielleicht kaum wahrgenommen, wie all die quälend inhaltsleeren Banner. In der Ausstellung der Bonner ist das Foto aber gar nicht zu sehen. Andere Aufnahmen erinnern lange nicht so schön hintergründig daran, dass DDR-Alltag damals nicht so sonnig und entspannt war, wie ihn die gnädige Erinnerung zunehmend machen will. Sondern dass die Mangelwirtschaft, allein die Lebensmittelbeschaffung, eine Familie mit zwei Berufstätigen und Kindern ziemlich auf Trab halten konnte.

Auf den ersten Blick sind sich die beiden Museen ähnlich. Beide halten offenbar dasselbe für typisch DDR: den Trabant, die Schrankwand, die kleine Einbauküche, die Plattenbauten, den Soldatenspind, den dringenden Levi’s-Wunsch, das vergebliche Mode-Angebot, bis hin zu Fotos von Menschen im Urlaub am Strand. Im DDR-Museum sind sie nackt, in der Kulturbrauerei nicht ganz. Wollen die Museen dasselbe? Das DDR-Museum erklärt, dass der Staat in einer Diktatur naturgemäß viel stärker Einfluss auf den Alltag nimmt als in einer Demokratie. Aber auch in dem eingemauerten Land haben die Menschen gelebt, gelacht, geheiratet, getrauert und ihre Kinder wie verrückt geliebt, deswegen zeigt es nach Kräften alle Facetten des Lebens. Das gelingt in diesem gut erklärten, oft überraschenden Museum meist sympathisch amüsant, in jedem Fall interaktiv, überall lässt sich etwas ausziehen, auspacken, öffnen oder nachlesen. Es kann einen aber auch ehrlich erschrecken lassen, wenn man etwa einer Verhör-Situation der Stasi folgt.

Die Bonner Museumsmacher in der Kulturbrauerei nun erklären ein ums andere Mal, ihr Ziel sei es, die Allgegenwart der Diktatur im Alltag zu zeigen. Das Zelt auf dem Dach des Trabants symbolisiert eben die Flucht ins Private und fehlende Reisemöglichkeiten wie die halbe Datsche. Der „Original-Zeitungskiosk“ zeigt Tageszeitungen nur vom 1. Mai, alle mit Losungen, das soll auf die Gleichschaltung der Presse hinweisen. Na, wenn das nicht wirkt. Öfter macht die Ausstellung einen ungenauen Eindruck, ständig werden Leute ohne Namen zitiert. Zum Waschpulver steht der Satz: „Gekörntes Spee ist schon lange rar. Aber vielerorts gab es jetzt gar kein Waschmittel mehr.“ Vielerorts kein Waschmittel? Wer hat das erlebt?

Keine Frage, auch diese Ausstellung mit ihrer einseitigen Diktatur-Ausrichtung vermittelt griffige Eindrücke vom Alltag. Die Dreistigkeit der Bonner besteht eher darin, das andere Museum abzuwerten, indem es behauptet, alles „tiefgründiger und kritischer“ hinzubekommen. Man wolle sich zu den anderen lieber nicht äußern, hieß es. Übrig bleibt der Geruch der Unterstellung, die Privaten würden es sowieso nicht richtig können. Zum Beweis werden unentwegt die Namen der eigenen wissenschaftlichen Absicherer angeführt. Als sei das DDR-Museum mit seinem umfassenden Ansatz von Lehrlingen eingerichtet worden. Als könne man privater Initiative nicht trauen. Und zugleich machen die Bonner den Privaten durch Gratis-Eintritt in der Kulturbrauerei hochsubventionierte Konkurrenz: Das Museum am Dom lebt aber vom Eintrittsgeld.

Dessen Direktor Robert Rückel übrigens war nicht zur Eröffnung eingeladen. Genauso wenig wie der Retter, Bewahrer und Erweiterer der DDR-Design-Sammlung, Hein Köster. Das sind Manieren. Von der Design-Sammlung, die den Bonnern untersteht, ist im Diktatur-Museum nicht viel zu sehen. 2016 soll es eine erste kleine Ausstellung geben. So lange brauche die „wissenschaftliche Aufarbeitung“, erklärt ungeniert das Haus der Geschichte. Auch eine Artikulation von Desinteresse.