Debatte Religion und Gewalt: An ihrer Treue sollt ihr sie erkennen
Berlin - Religionen befördern Gewalt. Religionen stiften Frieden. Beide Sätze sind wahr, wenn man unter Wahrheit versteht, dass sie empirisch nachweisbar sein muss. Beide Sätze sind falsch, weil es Wahrheiten gibt, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen.
Nur Ignoranten werden das bestreiten. Es gibt diese überall, unter Religionsverächtern wie -vertretern, auch unter Wissenschaftlern. Aber Ignoranz ist kein taugliches Mittel, um Gewalt und Religionen zu begreifen. Das jedoch braucht es, denn das Problem religiös motivierter Gewalt ist hochaktuell. Die Kurzatmigkeit, mit der hier gern die Religion als Ursache von Gewalt dargestellt wird, macht es notwendig, nach den Ursprüngen dieser Zusammenhänge zu fragen – getragen von der fragilen Hoffnung, dass mit den Erkenntnissen auch die friedensförderlichen Kräfte wachsen. Was jedoch nur dann zu erwarten ist, wenn es nicht darum geht, jemandem die Schuld zuzuweisen.
Wahr und falsch
Das sagt der Ägyptologe Jan Assmann, der eine der aufschlussreichsten Debatten der letzten Jahre angestoßen hat. Eher unfreiwillig, aber das spielt im Nachhinein keine Rolle. Bereits 1998 erschien sein Buch „Moses der Ägypter“, vier Jahre später „Die Mosaische Unterscheidung“, eine Abhandlung über den „Preis des Monotheismus“. Assmann behauptete, mit dem Mose des Alten Testaments und dem Empfang der Zehn Gebote auf dem Sinai sei die Wende von den Religionen der vielen Götter zu denen des Einen Gottes eingetreten – und mit ihnen „die Unterscheidung zwischen wahr und falsch in der Religion“. Mose habe damit das Modell einer „Gegenreligion“ erfunden, und die damit ermöglichten monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam könnten gar nicht anders als intolerant sein: „Sie müssen einen klaren Begriff von dem haben, was sie als mit ihren Wahrheiten unvereinbar empfinden.“ Das ist die „ausgrenzende Gewalt des Monotheismus“.
Diese These wurde in Medien wie Wissenschaften aufgegriffen. Peter Sloterdijk hat sie zugespitzt: Er sieht mit der monotheistischen Wende gleich eine „neuartige Kultur der totalen Mitgliedschaft“ heraufkommen. Als Folge des Bundesschlusses, den Mose mit seinem Gott und seinem Volk gestiftet hat, sei die „kultisch explizit gemachte Pflicht zur Grausamkeit“ gegen Abweichler im Inneren und Feinde von außen entstanden.
Der Berliner Theologe Rolf Schieder wiederum hat Assmanns These und Sloterdijks Überhöhung in seinem Buch „Sind Religionen gefährlich?“ (2008) entschieden zurückgewiesen, vor allem mit dem Hinweis, dass es (der literarischen Figur) Mose nicht um die Unterscheidung „wahr oder falsch“, sondern um „frei oder unfrei“ ging. Die Monotheismus-These, derzufolge monotheistische Religionen intrinsisch gewalttätig sind, sei falsch, vielfach widerlegt und gefährlich. Sie bediene Ressentiments und verschleife alle Differenzen innerhalb monotheistischer Religionen.
Das sind gewichtige Einwände, aus denen sich eine Debatte entspann, die in veränderter Form zunächst auf dem Online-Portal Perlentaucher geführt und jetzt von Schieder gebündelt und publiziert wurde. Sloterdijks Text und das entscheidende Kapitel aus Schieders Buch sind hier dankenswerterweise abermals abgedruckt, gemeinsam mit Aufsätzen von Micha Brumlik, Marcia Pally und den Theologen Markus Witte und Klaus Müller etwa, vor allem aber mit zwei eingehenden Erwiderungen von Assmann selbst.
Dessen denkerische Größe ist bereits daran zu erkennen, dass er auf Kritik weder bockig noch beleidigt reagiert, sondern mit Präzisierungen seiner These. Das Konzept der „mosaischen Unterscheidung“, so schreibt Assmann, war zu vereinfachend und irreführend. Es gehe in monotheistischen Modellen, so habe er von seinen Kritikern gelernt, nicht um wahr oder falsch, sondern um Treue und Abfall, die Etablierung einer Grenze, die Freund und Feind scheidet.
Monotheistische Religionen hätten eine sehr spezifische Gewalt ermöglicht: die „Gewalt im Namen des Gottes“. Die Anhänger dieser Religionen seien zwar der Intoleranz verpflichtet, indem sie sich an den einen Gott binden, gleichzeitig dürfe aber nicht vergessen werden, dass dieses Intoleranzgebot „im Verhältnis 1000:3 von Gottes erbarmungsvoller Liebe überwogen“ werde. Die Frage laute deshalb nicht, ob der Monotheismus die Welt grausamer gemacht habe, sondern ob er neue Argumente liefere, Gewalt zu legitimieren.
Theologie als Religionskritik
Das tut er, allerdings nur für Fundamentalisten. Es kommt also darauf an, so Assmann, „richtig“, nämlich richtig kontextualisiert mit den Heiligen Schriften umzugehen, und gerade das könne man von den Juden lernen. Es kommt darauf an, so schreibt auch Schieder im Zuge dieser Debatte, die Theologie als Religionskritik zu begreifen. Es brauche dringend „Differenzierungskompetenz auch in religiösen Fragen, mithin die Verbesserung religiöser Bildung“. Das braucht es, ja, auch für die Debattenbeiträger in diesem Band. Daniele Dell’Agli plädiert in seinem Essay etwa für die Abschaffung der Religionen und jeglicher „monotheistischer Gesinnung“ – das löse auch das Gewaltproblem. Als ob es so einfach wäre.
Denn nichts deutet darauf hin, dass die Religionen durch eine „Modernisierungsdynamik“ verschwinden werden, im Gegenteil. Nichts ist daher mit solcherlei „Aufklärungsfundamentalismus“ gewonnen. Die Dynamisierung der Moderne ist vielmehr ein fortlaufender Prozess der Differenzierung selbst, sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich. Man kann das beispielhaft anhand dieser Debatte lernen. Auch, dass kein Streit von Missverständnissen verschont bleibt.
Aber erst, wenn man weiß, wie und warum Religionen Gewalt befördern, lässt sie sich eindämmen – und können die Religionen ihr Friedenspotenzial entfalten.
Rolf Schieder (Hg.): Die Gewalt des einen Gottes.
Die Monotheismus-Debatte zwischen Jan Assmann, Micha Brumlik, Rolf Schieder, Peter Sloterdijk u.a.
Berlin University Press. 360 S., 29,90 Euro