„Antisemitismus in der Kunst“: Documenta Fifteen will Skandal aufarbeiten

Nach dem Skandal auf der Documenta hat der öffentliche Diskurs zur Aufarbeitung begonnen. Gestern gab es eine erste Diskussion zum Thema.

Blick auf einen Bildschirm mit einer Veranstaltungsankündigung der Bildungsstätte Anne Frank und der Trägergemeinschaft Documenta gGmbH zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“.
Blick auf einen Bildschirm mit einer Veranstaltungsankündigung der Bildungsstätte Anne Frank und der Trägergemeinschaft Documenta gGmbH zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“.dpa

Seit Beginn der Documenta Fifteen Mitte Juni dreht sich wenig um die Kunst. Im Mittelpunkt steht ein Antisemitismus-Skandal, der kurz nach Eröffnung über die Schau hereingebrochen ist, sich aber bereits seit Monaten angebahnt hatte. Wie es dennoch dazu kommen konnte, dass ein Werk mit antisemitischer Bildsprache ausgestellt wurde, war Gegenstand einer Podiumsdiskussion zum Thema „Antisemitismus in der Kunst“ am Mittwochabend in Kassel. Bei der Veranstaltung betonte das Kuratorenkollektiv Ruangrupa seine Dialogbereitschaft.

„Wir sind hier, um zu lernen und um zuzuhören“, sagte der Sprecher des indonesischen Kollektivs, Ade Darmawan, zu Beginn der Debatte. Er hoffe, dass die Veranstaltung ein Ausgangspunkt für Diskussionen sein könne. Die Bildungsstätte Anne Frank und die Trägergemeinschaft Documenta gGmbH hatten gemeinsam zu dem Podium geladen, nachdem ein als antisemitisch eingestuftes Kunstwerk des indonesischen Kollektivs Taring Padi wenige Tage nach Start der Schau abgebaut worden war.

An der Veranstaltung nahmen unter anderem der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, und Hortensia Völckers, künstlerische Direktorin und Vorstandsmitglied der Kulturstiftung des Bundes, sowie der wissenschaftliche Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats der Juden in Deutschland, Doron Kiesel, teil.

Völckers kritisierte, dass der Aufsichtsrat der Documenta anders als angekündigt nicht schon früher reformiert worden sei. Die Stiftung sei 2018 nach der Krise der Documenta 14 ausgestiegen. Die Schau im Jahr 2017 war mit einem Defizit von 7,6 Millionen Euro abgeschlossen worden. Die Debatte ist Völkers zufolge ein Scheingefecht. „Es ist immer leicht, zu sagen, wären wir im Aufsichtsrat gewesen, wäre das nicht passiert. Ich hätte das auch nicht bemerkt. Ich hätte mich auch nicht jeden Tag hier rumgetummelt“, räumte sie ein.

Vertreter des Zentralrats der Juden spricht von erschüttertem Vertrauen

Mendel identifizierte Kommunikationsprobleme, organisatorische Probleme und eine fehlende Debatte im Vorfeld als ursächlich für den Skandal. „Wir waren seit Januar nicht in der Lage, miteinander in einen Dialog zu kommen“, sagte er. Da sehe er auch sein eigenes Versäumnis. Doron Kiesel wiederum sprach von einer Erschütterung des Vertrauens in die Fähigkeit der Gesellschaft und „bestimmter Kreise auch der Verantwortlichen“, mit der eigenen Geschichte umzugehen.

Kiesel behauptete zudem, dass postkolonialistische Diskurse per se antisemitisch seien, und erklärte seinen Eindruck, dass ein Dialog derzeit nicht wirklich möglich sei. Das wies die indische Politikwissenschaftlerin Nikita Dhawan als zu pauschal zurück. „Ich fühle mich nicht angesprochen“, erklärte Dhawan mit Blick auf die generalisierende Rede von der postkolonialen Theorie. Sie riet, wachsam zu sein bei Versuchen, Antisemitismus und Rassismus gegeneinander auszuspielen.

Adam Szymczyk, der die vergangene Documenta 14 geleitet hat, regte zu mehr „multidirektionalem Erinnern“ an und appellierte, die Documenta als einen Ort zu nutzen, um eine Debatte über andere Erinnerung zu führen.