Drag, Crossdressing, Transitioning - die Gesellschaft debattiert Fragen von Geschlecht öffentlicher denn je, das reicht von Kämpfen um Anerkennung und sensible Sprache bis zu Angriffen aus den düstersten Ecken des Netzes. Der Juni aber ist Pride Month und am kommenden Wochenende findet in Berlin die Konferenz „Transitioning – Art, Politics & Technologies of Gender Change“ statt. Dort tritt Bridge Markland auf, Drag-Performerin und Berlinerin. Vor der Konferenz spricht sie mit der Berliner Zeitung über die gesellschaftlichen Debatten und die queere Performance-Szene in Berlin. Beim Gespräch ist die 61-Jährige digital zugeschaltet.
Liebe Frau Markland, Sie treten seit Anfang der 1990er-Jahre als Drag-Performerin auf. Wie kamen Sie dazu?
Ich bin in den 70er-Jahren Teenager gewesen. Das war ein sehr androgynes Jahrzehnt. Sehr viele Pop- und Rockmusiker haben sich mit Glamrock beschäftigt. Das war deren Markenzeichen, und ich, mit meinen 12, 13, 14 Jahren, fand das großartig. Das Androgyne ist mir sozusagen schon in die Teenager-Schuhe reingeglittert. Dieses Changieren zwischen Mann und Frau, das interessiert mich immer noch. Ich spiele einfach gerne mit androgynen Aspekten. Dass das Geschlecht unklar ist und bleibt, das ist mein persönlicher Ausdruck, so fühle ich mich wohl.
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Auf der Bühne und im Alltag?
Interessant ist, weil ich mir den Kopf rasiere, werde ich auf der Straße oft als Mann gesehen. Es ist heute früh wieder passiert. Ich möchte mich auf eine Bank setzen, ein Vater sagt zu seinem Kind: Rutsch mal rüber, damit der Mann neben dir sitzen kann. Im ersten Moment bin ich immer leicht beleidigt, und dann denke ich, Halt, Stopp, du spielst ja damit, du willst das ja, du könntest dich ja weiblicher kleiden. Ist doch interessant, dass mich das nach den Jahrzehnten von Männer- und Frauenrollen auf der Bühne, doch ein bisschen beleidigt.
Was beleidigt Sie daran?
Na, dass die Leute nicht checken, dass es andere Möglichkeiten gibt, sich als Frau zu verhalten. Dass man nicht stereotyp mit langen Locken und Lippenstift und einem kleinen bisschen Schmuck rumläuft. Das finde ich furchtbar, in Deutschland muss an Frauen ja alles weiblich sein, aber auffällig sein darf nicht einmal der Schmuck. Ich finde: Wenn Schmuck, dann großer. Das Kleine und Unauffällige, das interessiert mich nicht.
Gender als künstliches Konstrukt
Erleben Sie, dass Menschen verwirrt sind, weil sie das Bedürfnis haben, andere Leute eindeutig geschlechtlich einzusortieren?
Irgendwie wollen Menschen einfach zuordnen. Ich ertappe mich auch selbst dabei, wenn ich Menschen sehe und mir das unklar ist, dass ich überlege, ist das Mann oder Frau. Aber ich lache dann und denke, ist doch egal. Lass sie sich so ausdrücken, wie sie wollen.
Am Wochenende treten Sie auf der Konferenz „Transitioning – Art, Politics & Technologies of Gender Change“ im Bethanien in Berlin auf. Ihr Beitrag dort, eine Lecture-Performance, wird mit dem Ziel beschrieben, „Gender als künstliche Konstruktion“ aufzuzeigen. Was heißt das?
Für mich ist ein spielerischer Umgang mit Geschlecht interessant. Ich performe, wie das jeweilige Geschlecht – und hier gehe ich erst mal vom eindeutig festgelegten Geschlecht, also männlich oder weiblich aus – seinen mimischen, bewegungsmäßigen, kleidungsmäßigen Ausdruck wählt. Auf der Bühne verhalte ich mich entsprechend, beim stereotyp Weiblichen mache ich alles ein bisschen kleiner, dichter am Körper, versuche nett zu lächeln, aber auch ein bisschen sexy zu sein. Je nachdem wie weit ich das treiben will, kann ich das provokant als Vamp machen oder eher unterwürfig. Der Mann darf mit ausladenden Gesten auftreten, alles ein bisschen größer machen und so tun, als würde ihm die Welt gehören. Während der Performance machen die Charaktere eine Verwandlung durch, die das Publikum mitverfolgen kann. Da gehe ich von Angela, dem Vamp, zu einem androgynen Wesen und dann zu Steve, der einen Anzug trägt. Und obwohl der noch dieselbe Schminke trägt wie Angela, bekommt er einen ganz anderen Ausdruck, bewegt sich anders. Seine Männlichkeit wird vom Publikum gar nicht hinterfragt.

Woher nehmen Sie die Vorbilder für Ihre Prototypen?
Da muss man nur mit der U-Bahn fahren oder spazieren gehen. Dann gucke ich und denke, ha, ha – da sind sie ja, meine Leute. Oder Ausprägungen davon. Wir sind ja sowieso alle multiple Persönlichkeiten. Ich sehe das so, weil wir uns im Verhalten mit anderen Menschen jedes Mal anders geben, je nachdem wie alt unsere Gegenüber sind, ob wir mit ihnen verwandt sind oder flirten oder sie unsere Vorgesetzten sind.
Und aus diesen Beobachtungen machen Sie die Drag-Performance?
Ich mag es, dass ich mir was anziehe, und das wieder ausziehen kann. Wie man im Alltäglichen sieht, passiert mir häufig ein unabsichtliches Passing. [Anm. d. Red: Passing bezeichnet den Umstand, als ein bestimmtes Geschlecht wahrgenommen zu werden.] Dass Leute mich nur kurz sehen und dann eine von zwei Entscheidungen treffen: Entweder ich habe Krebs oder ich bin ein Mann. Dass eine Frau mit über 60 Jahren freiwillig auf die Idee kommt, sich den Kopf zu rasieren, darauf kommen die Leute selten.
Im Unterschied zum Drag auf der Bühne geht es, um es verkürzt zu sagen, für viele trans Personen aber eher um das alltägliche Bestehen, die Geschlechtsangleichung im Leben.
Ich kenne vor allem trans Menschen, die auf der Bühne stehen. Manche haben durch Drag-Performances festgestellt, dass es für sie mehr ist als Show, eine Lebensentscheidung. Trotzdem und vielleicht deshalb machen sie weiter Shows, berichten über den Prozess einer Transition. Performance kann ja eine künstlerische Darstellung des Lebens sein. Oder sie kämpfen für das Recht, dass es aller Menschen eigene Entscheidung ist, nach welchem Geschlecht sie leben wollen.
Die Geschlechtszugehörigkeit könnte man ja eigentlich als Privatangelegenheit bezeichnen. Gleichzeitig wirkt es, als sei das öffentliche Interesse am Thema Geschlecht gestiegen.
Ich sehe da viele sehr progressive Tendenzen. Etwa dass Teenager sagen, sie sind non-binary, was ich abgefahren und aufregend finde. Im Prinzip hätte ich das in den 70ern als Teenager auch so sagen können, aber diesen Begriff gab es überhaupt nicht. Heute sage ich, ich bin eine androgyne Frau und will das nicht ändern. Aber nach modernen Richtlinien wäre ich wahrscheinlich nicht-binär, also weder eindeutig Frau noch eindeutig Mann.
Trans: Zielscheibe des Hasses von Verschwörungsideologen
Woher kommt diese Aufmerksamkeit bis in den Mainstream?
Die Show „Ru Pauls Drag Race“ hat eine Menge dafür getan. Es gibt inzwischen, neben der klassischen Drag-Performance, in der das Geschlecht auf der Bühne sozusagen umgekehrt wird, auch viele Männer, die als Drag-Kings, und Frauen, die als Drag-Queens performen, außerdem vieles dazwischen, was sich Drag-Quings nennt, weil es uneindeutig ist. Fragwürdig ist aber, dass in der Show von Ru Paul nie Kings sind. Für „klassische“ Drag-Kings, also Frauen, die als Männer auf der Bühne stehen, ist es nach wie vor schwierig. Ein Mann, der als Frau auf der Bühne steht, macht sich zum „schwachen Geschlecht“. Der hat hohe Schuhe an, kurze Röcke, womit er sich schlechter bewegen kann, da können alle drüber lachen. Ha, ha, ha.
Aber Lachen ist doch nicht das Ziel von Drag?
Nein, nein. Manchmal kann es aber ein Effekt sein. Doch eine Frau, die sich Hosen anzieht, einen größeren Raum beansprucht und als Mann auf der Bühne steht, ist Konkurrenz für die immer noch männlich dominierte Gesellschaft. Obwohl wir viel Fortschritt gemacht haben, haben wir zu lange mit dem Patriarchat gelebt, als dass wir jetzt einfach umschalten können. Wenn Frauen Machtpositionen beanspruchen, auch wenn es auf einer Bühne ist, gilt das als Affront. Und ich sehe, dass auch konservative Tendenzen in der Gesellschaft stark zunehmen.
Der Gründer des Forschungsinstituts „Cemas“, das sich mit Verschwörungsmythen beschäftigt, schrieb neulich in einem Tweet, er befürchte, gender und trans seien das neue Hauptthema der Verschwörungsideologen. Auch in Zeitungen und digitalen Netzwerken wird viel gehetzt. Weshalb ist Geschlecht so eine Zielscheibe?
Ich fürchte, das sind Leute, die sich eine Rolle gezimmert haben, in der sie in ihrem Umfeld funktionieren. Wenn das von außen hinterfragt wird, wenn sie vielleicht Shows oder Diskussionen im Fernsehen sehen, fühlen sie sich persönlich angegriffen und fangen an, andere zu attackieren. Ich habe schon vor Jahrzehnten bemerkt, dass Leute mit einem heteronormativen Leben sich gern Drag oder Theater mit Glimmer und Glitzer anschauen, aber wenn sich der eigene Sohn als schwul outet oder die Tochter als lesbisch oder trans, das geht gar nicht.

Wie hat sich denn die queere Berliner Kunst- und Theaterszene seit den 1990ern entwickelt?
Die Jüngeren sind da offener. Mein Eindruck ist auch, dass es in vielen Veranstaltungsorten mehr Offenheit gibt, gerade in der freien Szene. Auch an den Stadttheatern gibt es mehr Hosenrollen.
Hosenrollen?
Der alte Ausdruck für Frauen, die Männer spielen. Als ich Anfang der 90er damit angefangen habe, hat sich die Tanz-Szene, aus der ich ja kam, überhaupt nicht dafür interessiert und gesagt, geh mal ans Varieté. Inzwischen höre ich von Professor:innen an Tanz-Hochschulen: Du glaubst gar nicht, wie viel Drag und Gender in den Stücken vorkommt. Da denke ich, toll! Ich finde das positiv, dass sich Leute damit auseinandersetzen. Immer her damit!
Vielen Dank für das Gespräch.