Schluss mit den Tanzlustbarkeiten
Einfach verbieten war früher. Die Corona-Pandemie bringt auch in sprachlicher Hinsicht einige Kuriositäten hervor.

Die Folgen der Pandemie bringen immer neue Kuriositäten und Unverträglichkeiten zum Vorschein, und damit sind einmal nicht Impfnebenwirkungen gemeint, die selbst noch nach dem Boostern auftreten können. Der Körper ist zur allgemeinen Beobachtung und der Konversation freigegeben. Armschmerzen, Schüttelfrost, Müdigkeit – die Befindlichkeiten des Alltags sind fortwährend Gegenstand einer Selbst- und Fremdwahrnehmung, die man mit Kollegen, Freunden und Nachbarn nicht nur dann teilt, wenn das Gesundheitsamt gerade nicht erreichbar ist.
„Das Trinken vor dem Ertrinken“
Aber hören wir noch genau genug hin? Was etwa will man uns mit dem Wort Tanzlustbarkeiten sagen, denen man sich im erneuerten Regelwerk widmet? Diese sollen in Innenräumen jener Bundesländer, die von der Länderöffnungsklausel Gebrauch gemacht haben, spätestens ab dem 28. Dezember geschlossen werden. Das Tanzen in Innenräumen wird aus den leidlich bekannten Gründen also nicht einfach verboten. Indem es in die Nähe unbotmäßiger Lust gerückt wird, ist es darüber hinaus als gesellige Handlung diskreditiert.
Rechnet man Tanzlustbarkeiten zu den demeritorischen Gütern? Als solche gelten wirtschaftliche Aktivitäten, die zum allgemeinen Wohlergehen wenig bis nichts beizutragen haben, zumindest aus streng ordnungspolitischer Sicht. Glücksspiele zum Beispiel zählen dazu, obwohl sie bekanntlich einem stark wachsenden Wirtschaftsbereich angehören. Mal abgesehen davon, dass die positiven Aspekte der körperlichen Bewegung beinahe vollständig ausgeblendet scheinen, lenkt das Wort Tanzlustbarkeiten den Blick auf eine Verbotskultur, die man doch beinahe vollständig zugunsten unbegrenzter Vergnügungen aufgehoben wähnte.
Welche Bedeutung dem Tanzen gerade in Zeiten gesellschaftlicher Not zukam, hat Harald Jähner in seinem Bestseller „Wolfszeit“ beschrieben, in dem er der Tanzwut ein ganzes Kapitel widmete. Darin zitiert er das Berliner Tageblatt, das danach fragte, was der Berliner feiere, und die Antwort sogleich selbst gab: „Er feiert die Sekunde, die ihm heute gibt, was sie ihm morgen vielleicht nicht mehr gewähren kann, die Fessellosigkeit des Wortes, das Trinken vor dem Ertrinken.“
Die Corona-Pandemie hat sogar dieses eher leicht zu befriedigende Bedürfnis nach spielerischem Umgang mit Exzess und Kontrolle genommen. Wir leben wahrlich in dürftiger Zeit.