Uwe Tellkamp: Natürlich kannst du alles sagen, musst nur die Konsequenzen tragen
„Wie viele Meinungen verträgt die Wirklichkeit?“ hieß es am Donnerstag in der Dresdner Frauenkirche. Lukas Rietzschel kam mit Argumenten, Tellkamp mit Reimen.

Uwe Tellkamp schreibt jetzt nicht mehr nur Prosa, er dichtet auch. „Natürlich kannst du alles sagen/ nur musst du dann die Konsequenzen tragen.“ Mit diesem Reim begann seine erste Antwort bei einer Veranstaltung am Donnerstag in der Dresdener Frauenkirche. Gefragt wurde er nach dem Zustand der Meinungsfreiheit hierzulande. Denn so hieß der Abend: „Wie viele Meinungen verträgt die Wirklichkeit?“ Er wurde live gestreamt und ist noch im Internet abrufbar.
Der Schriftsteller, der im vergangenen Jahr zum Beispiel in einer großen Fernsehreportage, bei einer Buchpremiere mit Thilo Sarrazin und in einem Gespräch mit dem sächsischen Ministerpräsidenten seine Ansichten über die Gesellschaft vortragen konnte, aber oft klagt, ausgegrenzt zu werden, hatte also wieder ein Podium. Er verhöhnte die mächtigen „Journalunken“, die bestimmen, was gesagt werden dürfe und andere zum Schweigen brächten. „Die Künstler brauchen Rollen, Gagen, Liebe,/ da wär nicht hilfreich, wenn die freie Meinung bliebe./ Die denkt man still für sich, das ist die Lehre.“

In ihrem Duktus erinnerten die Verse an die Auftritte von Politikern am Aschermittwoch. Der Mann am Mikrofon daneben, Lukas Rietzschel, ebenfalls Schriftsteller, zuletzt veröffentlichte er den Roman „Raumfahrer“, hatte zunächst keine Chance gegen diese Show. Tellkamp bekam viel mehr Applaus als er, der einfach nur redete. „Manchmal sind wir sehr schnell mit unseren Labels“, sagte Rietzschel zum Beispiel, „das vergiftet die Debatten“. Er wünschte sich, dass man auch mal einen Schritt zurückgehe und die eigene Position überprüfe.
Es ist den eindringlichen Bitten der Moderatorin Alexandra Gerlach zu danken, dass Tellkamp nach einer Weile seine Papiere liegen ließ und frei sprach. Dabei brachte er wiederholt mehrere Felder zusammen, bei denen er sich durch die sogenannten Leitmedien mit politischer Korrektheit bedrängt sah: Identitätsfragen, Energiepolitik, das Gendern. Er sei für offenes Reden (sein Ideal ist Speakers’Corner), aber er wisse, dass Chefredaktionen in Hintergrundgesprächen mit der Politik Regeln gegeben würden. Als die Moderatorin das zurückwies, hielt er dagegen „Wenn ich sowieso schon auf Linie bin, schreibe ich auch, was die wollen.“ Das Mikrofone aus dem Kirchenschiff übertrugen Jubel.
Rietzschel fragt Tellkamp: Sind Sie bereit, sich überzeugen zu lassen?
Lukas Rietzschel beschrieb es als schwierig, wenn den Debatten ein grundsätzliches Fundament fehle. Für ihn stünde der Klimawandel zum Beispiel nicht zur Disposition, diskutieren könne man die Maßnahmen, wie ihm zu begegnen sei. Und so wandte der 28-Jährige sich den fast doppelt so alten Kollegen: „Ist es so, dass Sie grundsätzlich alles in Frage stellen, was Ihnen als Fakt präsentiert wird? Oder sind Sie auch bereit, sich überzeugen zu lassen?“
Uwe Tellkamp antwortete mit einer Gegenfrage, zu deren Erläuterung hier angefügt sei, dass er kurz zuvor behauptete, die Grünen in Berlin würden ihren Nachwuchs nicht den Problemvierteln überlassen und wegen der Schulen nach Grunewald ziehen: „Warum soll ich Leuten, die mir was von Energieabschaltung erzählen, die mir was von Corona erzählen, die für den Frieden sind, aber jetzt in die Ukraine Waffen schaffen, die mir was erzählen von weltoffen und bunt sein, aber ihre eigenen Kinder woanders hinstecken, warum soll ich diesen Leuten ausgerechnet in diesem Fall dann glauben?“ Seine Position des Misstrauens gegen Regierung und Wissenschaft hat sich in den vergangenen Monaten nicht verändert.