Die russische Botschaft in Berlin ist kein schönes Gebäude, eine klotzige Repräsentanz hinter schmiedeeisernen Gittern und Friedhofsbäumen. Derzeit ist der Fußweg davor abgesperrt, was die Szenerie noch abweisender macht. Auf dem Mittelstreifen Unter den Linden sind dennoch ein paar Kerzen und Schilder aufgestellt, mit Sätzen des Protests und grausamen Bildern von hingerichteten Zivilisten in Butscha. Nieselregen hat die traurige Szene vor ein paar Tagen eingeweicht.
Im Vorbeigehen fiel mir ein Mann auf, der an der Seite eine Staffelei aufgestellt hatte. Er stand da wie viele Maler in pittoreskeren Städten, die Sehenswürdigkeiten bunt aufs kleine Format pinseln, um sie als Mitbringsel an Touristen zu verkaufen. Und auch der Stil dieses Mannes ist vergleichbar, wenn er auch eher gedeckte Farben wählte. Sehr vertieft in seine Arbeit blickte er durch seine Brille, trug das Asphaltgrau, das schmutzige Beige der Fassade, das Putzlappengrün der Straßenbäume und das Schlammbraun der aufgeweichten Protestinstallationen mit kleinen, langsam gesetzten Strichen auf und brachte die Straßenszene auf ein Schulheftformat – oben die russische Fahne. Das kleine Gemälde war fast fertig und würde wohl so seltsam unscheinbar bleiben.
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Es wurde in den letzten Tagen viel über den Umgang mit den Bildern von Butscha diskutiert, ihr Informationsgehalt, ihre Beweislast, ihr Nachrichtenwert wurden abgewogen gegen die Würde der Toten, die darauf zu sehen sind, und gegen die seelische Verletzungsgefahr derjenigen, die die Bilder sehen. Der Mann im Nieselregen an der Staffelei vor der russischen Botschaft hat einen Weg des Umgangs gefunden. Auch wenn keine Einzelheiten der Toten zu erkennen sein werden, dafür ist das Format viel zu klein, so hat er ihnen doch einen Platz auf seinem Bild gegeben, hat er sie gebannt. Die Betrachter erkennen sie nicht, wissen aber, dass sie da sind, im Schatten eines Pinselstrichs, zwischen den Pigmenten. Und da bleiben sie, so wie sie nicht mehr aus den Narben des Bewusstseins zu kratzen sind.