Sie half Neukölln hip zu machen, nun verließ sie Berlin frustriert
Marion Simon hat 30 Jahre in Berlin gelebt und eine der ersten illegalen Szenelocations in Neukölln mit eröffnet. Vor neun Monaten verließ sie die Stadt. Warum?

Vor ein paar Wochen sind wir uns zufällig am Landwehrkanal begegnet. Ich kannte Marion Simon aus dem Valentin Stüberl, war ein paar Mal in ihrer Kneipen-Talkshow „Simi will Format“, mit dem sie es zu einer Kiezbekanntheit gebracht hat. Dass sie aus Berlin weggezogen ist, hatte ich schon gehört. Nun wollte ich es genauer wissen. Wir verabreden uns für ein Gespräch, es findet über Video statt, denn Marion Simon war dann schon wieder in Trier.
Liebe Frau Simon, schwer zu glauben, dass Sie jetzt in Trier leben. Wie geht es Ihnen dort?
Eine Schwangerschaftslänge hab ich hier jetzt schon hinter mir in Trier, und die ersten Monate waren Horror. Ein echter Alptraum, so schlimm, wie ich es mir nicht vorgestellt habe. Ich habe mir ständig eingebildet, Menschen, die ich aus Berlin kenne, auf der Straße zu sehen. Es war, als ob mich eine Sehne durchgängig mit meiner Heimatstadt Berlin verbinden würde.
Warum Horror?
In Trier ist dieses Kleingeistige. Dieses Nicht-rechts-nicht-links-Gucken. Und ich war noch im Berlinmodus: Zeig mal, wer bist du, wer bin ich. Dieses Offene, das ist hier nicht. Für alle, die es nicht wissen: Trier ist ein Dorf am Ende des Universums, wo es keine ICE-Verbindung gibt. Trier ist da, wo die Römer vor 2000 Jahren jede Menge imposanter Gebäude errichtet haben, die heute hier noch rumstehen und glänzen. Es muss Kaiser Constantin gewesen sein, der Trier zum Place To Be der damaligen Zeit gemacht hat. Mein Lieblingsgebäude ist definitiv die Constantinbasilika – ein Megapiece! Ein weiteres Highlight, und da bin ich wirklich stolz drauf: Karl Marx ist hier geboren. Deshalb kennen die Ossis alle Trier. Und das hiesige Museum in seinem Geburtshaus ist unbedingt sehenswert. Also, hey, Trier sollte man sicher mal gesehen haben. Es ist übrigens die älteste Stadt Deutschlands. Nur: Das Dazwischen scheint mir hier völlig zu fehlen. Es gibt hier nichts, was Fragen aufwirft, nichts Dreckiges und nichts richtig Seltsames. Mir persönlich fehlt das schon sehr, denn ich finde, dass dort, wo man irritiert wird, Lebendigkeit entsteht.
Und Sie sind da ja auch geboren.
Ja, 1967. Das können Sie aber rauslassen.
Wie lange haben Sie in Berlin gelebt?
Ich war länger in Berlin als irgendwo sonst auf dem Planeten. 30 Jahre. Gerade geht es mir ganz okay. Aber auch nur deshalb, weil ich jetzt wieder zehn Tage in Berlin war, am Landwehrkanal spazieren gegangen bin und meine Liste mit allen Freunden abgearbeitet habe. Jetzt bin ich satt und aufgefüllt und kann mit schmalem Blick in dieser Kleinstadt durch die Gegend rennen, ohne zu verzweifeln.
Warum nur haben Sie Berlin verlassen?
Ich hatte mich in den letzten drei Jahren in Berlin zur Meckerin über die Gentrifizierung entwickelt, darüber, dass alles teuer wird und die Freiräume, das Experimentierfeld für die Kultur wegfallen, der Underground. Das ist nicht mehr mein Berlin, habe ich gedacht. Dann Corona, ganz klar. In diesen zwei Jahren Pandemie war alles depressiv in Berlin. Und drittens haben die Leute aus dem engen Freundeskreis das Weite gesucht. Entweder sind sie in den Speckgürtel gezogen, weil sie in Berlin ihren Platz nicht mehr gesehen haben oder für die Kinder einen Ort im Grünen wollten. Oder sie sind ganz weg. Das fühlte sich an wie: Die Ratten verlassen das sinkende Schiff. Außerdem sind meine Eltern alt, und ich wollte zur Pflege und Unterstützung in Trier sein.

Derzeit arbeitet Marion Simon an einem Buch über ihre Zeit in Berlin, Arbeitstitel: „Metropolendämmerung“.
Wie sind Sie überhaupt nach Berlin gekommen?
Eigentlich bin ich ein Veränderungsmuffel. Nach dem Abitur habe ich mich erstmal an der Uni in Trier eingeschrieben. Für Germanistik. Hauptsache, ich kann in Trier bleiben, denn ich war da seinerzeit total gesettelt. Ich hatte vier Kellnerjobs, war die coolste Barfrau in der Disco, ich war überall bekannt. Die Simi mit den Zöpfen. Die hatte ich damals schon. Ich stand da wie ein Baum. Und Trier war in den 1980er-Jahren ein echt lebendiges, schrilles Nest mit Studenten von überall her, und die Fachschaftsfeten im Exhaus waren legendär. Leider wurde es jetzt geschlossen. Es gab auch eine wilde Konzertszene, und Trier hatte sogar seine eigene NDW-Band: Lusthansa, die mit dem Hit „Nix Neues in Poona“ berühmt wurde. Verrückt, wie zeitgemäß dieser Song retrospektiv rüberkommt. Kurz: Trier war ein wildes, irritationsreiches Nest mit Punks, die am Hauptmarkt rumlungerten, und in der Nacht waren die Kneipen dunkel, laut und dreckig.
Dann muss man Sie ja eigentlich fragen, warum Sie aus Trier weggegangen sind?
Mit 24 war ich zehn Tage in New York. Mit einer großen Liebe von mir. Irgend so ein Schauspieler. Ich stand auf der Brooklyn Bridge mit einem Walkman auf dem Ohr, es lief Randy Newmans „Short People“. Mir kullerten die Tränen runter, ich blickte auf diese tolle Stadt und dachte nur: Ich kann nicht in Trier bleiben. Auf der Brooklyn Bridge habe ich beschlossen, nach Berlin zu gehen. Ich wusste aber, wenn ich zurückkomme, werde ich die Entscheidung nicht treffen und in Trier bleiben. Das heißt, ich muss allen davon erzählen, damit es peinlich ist, wenn ich nicht gehe. Obwohl ich gar nicht wusste: Trau ich mich das überhaupt? Und dann sprach mich auf einer Modedesigner-Party in Trier Udo an, ein Kommilitone meiner Schwester, der mich fragte, ob ich schon eine Wohnung hätte in Berlin. Hatte ich nicht. Da bot er mir seine an. In der Reichenberger Straße 8 in Kreuzberg, in der Nähe vom Kottbusser. Und am 3. Oktober 1991 bin ich da eingezogen.
Und, wie fanden Sie Berlin?
Gruselig. Ich saß in dieser wirklich schönen Altbauwohnung, und mein Mitbewohner Udo hatte einen Job als Garderobier beim Film. Der kannte alle Party-Adressen. Es gab ja noch kein Handy. Das war noch vor digital. Udo kam immer nach Hause und sagte: Hier müssen wir hin und da müssen wir hin. Aber ich hatte keinen Bock. Ich fand alles deprimierend, düster. Ich vermisste mein Trier und meinen Fame of Trier. In Berlin interessierte sich keiner für mich, und im Hausflur lag hin und wieder ein Junkie vom Kotti. Ich hatte mich an der FU eingeschrieben, bin tatsächlich jeden Tag mit der U1 nach Dahlem Dorf gefahren und fand alles total doof.
Wie lange hat diese schreckliche Phase denn gedauert?
Ab März, April 1992 gestaltete sich langsam alles anders. Die Kirschbäume am Kanal blühten, und ich habe gemerkt, wie geil diese Stadt eigentlich ist und hätte andauernd den Boden küssen können, auf dem ich rumgelaufen bin. Ich fand dann alles toll. Die Offenheit der Leute. Du wirst angemeckert, aber es geht dir am Arsch vorbei, du wirst nicht bewertet. Die Zeit ist doch gar nicht da. Du bist einfach nur egal. Mach was draus, dann sehen wir schon. Das ist das, was ich an dieser Stadt so liebe. Hier kann wirklich jeder machen, was er will, im Sinne von Entfaltung. Wäre ich nicht nach Berlin gegangen, hätte ich ein komplett anderes Leben geführt.
In Berlin, jedenfalls in einer bestimmten Ecke, in Nord-Neukölln, kannte Sie dann irgendwann auch fast jeder, oder?
Ich bin als Rampensau geboren worden. Wladimir Kaminer sagte einmal zu mir: Simi, du bist eine Narzisstin. Und da ist was dran. Grundsätzlich habe ich es verpasst, Schauspielerin zu werden. Ich habe auch in Berlin gleich angefangen zu kellnern, weil ich wusste: Ich brauche ‘ne Bar als Bühne.
Haben Sie die ganze Zeit in der Reichenberger Straße gewohnt?
Nee. Damals war Umziehen in Berlin noch easy. Man konnte sich fragen: Welcher Kiez interessiert mich denn jetzt? Wo geht was ab? Von der Reichenberger 8 sind wir umgezogen nach Friedrichshain, was damals echt noch Schwarz-Weiß-Film war. Die Kochhannstraße war da oben beim SEZ, das war die letzte Altbaustraße, bevor es nach Lichtenberg rausging in die Plattenbausiedlungen. Das Haus hatte damals schon irgendein Wessi gekauft, wir hatten deshalb eine relativ hohe Miete, und beworben hat er die Wohnung mit den Worten: Ostalgie-Flair. Der gestaltete sich für uns so, dass wir bei dem Versuch, einen Telefonanschluss anzumelden, 1991, auf eine Warteliste kamen, und wir eineinhalb Jahre hätten warten müssen. Die Wohnung lag im Erdgeschoss und hatte einen Badeofen. Das war für uns Wessis ein totales Abenteuer. Wir hatten regelmäßig die Feuerwehr im Haus, weil wir zu dumm waren, das Ding korrekt zu befeuern.
Und dann?
Dann sind wir in die Reichenberger 100 gezogen, Richtung Dreiländereck. Das war dann eine schicke Dachgeschosswohnung. Danach ging es in die Muskauerstraße, wo Udo eine Eigentumswohnung gekauft hatte, weil das ja so saubillig war. Und danach war ich fast nur noch in Neukölln. In der Flughafenstraße, dann in der Herzbergstraße mit Außenklo, aber Balkon, dann doch nochmal Kreuzberg, in der Ratiborstraße. Alles nicht allzuweit von der Ankerklause, denn die Ankerklause ist für mich das, was die Basilika für Trier ist. Wie die das schaffen, da wie ein Fels in der Brandung zu stehen. Drumherum explodiert alles, wird alles gentrifiziert, wird alles geweißelt und neu. Aber die Ankerklause bleibt standhaft.
In Neukölln gab es ja lange nur Eckkneipen und sonst nichts, oder?
Ja. Und dann kam 2004 das Freie Neukölln, das war die erste Kneipe in Neukölln, zu der man sich auch mal von Kreuzberg aus aufgemacht hat. Ansonsten hieß es immer nur: Schnell raus aus Neukölln. Man konnte da billig wohnen, aber da ist man nicht ausgegangen. Es gab ja nichts für uns junge Leute, also nichts Cooles. Im selben Jahr hatte ich meinen ersten Versuchsclub in der Simon-Dach-Straße in Friedrichshain, das Simon&Simon. Da hatte ich kleine Live-Konzerte, DJ Konsole hat aufgelegt von Notwist. Ich wusste gar nicht, wer das ist, zu dem Zeitpunkt. Sechs Monate lang habe ich das gemacht, ohne Konzession. Das kümmerte damals niemanden. Aber dann war ich durch und wollte wieder was Seriöses machen. Ich habe dann an einer Förderschule in Kreuzberg als Sozialpädagogin gearbeitet.
Dann waren Sie aber auch bald an dieser illegalen Kneipe im Hinterhof in der Weserstraße beteiligt. Damit haben Sie der Entwicklung der Gegend als Ausgehviertel einen ganz schönen Schub versetzt. Wie kam das?
In meinem Friedrichshainer Club habe ich Peter Großhauser kennengelernt, ein ganz wichtiger Mann in Neukölln, mal wieder ein Künstler, mit dem war ich damals versuchsweise ein Paar. Bei ihm bin ich komischerweise relativ schnell eingezogen, denn der hatte so ein schönes Loft in der Weserstraße 183. Loft ist so zu verstehen: großer Industrial-Raum ohne Bad, aber mit Aufstelldusche und separatem Klo. Ultrabezahlbar. Das hat damals 400 Euro gekostet für schätzungsweise 180 Quadratmeter.
Irre.
Dann fiel Peter ein, dass der Raum unter ihm schon lange leer steht. Und wir hatten ja diesen E-Mail-Verteiler von meinem Friedrichshainer Club mit den Malern, den Musikern, den Schriftstellern. Warum sollten wir das nicht irgendwie weiterführen. Wir haben also beschlossen, dieses Loft auch noch anzumieten. Mit der Vermieterin war das kein Problem: Selbstverständlich, gerne, das kostet dann aber 250 Euro. Dann haben wir erste Veranstaltungen in dem neuen Studio Simon gemacht, Ausstellungen, es gab auch Bierchen. Am Anfang kamen ganz wenige, denn man musste wissen, wo das ist oder auf unserem E-Mail-Verteiler sein. Wenn jemand vorne klingelte, leuchtete an der Bar ein roter Knopf. Es kam dann auch Neighborhood. Nicht nur die coolen Leute aus Kreuzberg, sondern am Sonntagnachmittag auch der arabische Vater mit seiner kleinen Tochter. Das wuchs stetig, und man lernte sich immer ganz persönlich kennen. Eine Zäsur gab es, als Jim Avignon als Neo-Angin sein erstes Konzert bei uns hatte. Der ganze Innenhof war voll, und die Vermieter wohnten im Vorderhaus. Das war zu viel. Das wollten die nicht.
Und dann?
Dann hat sich Peter umgeschaut. Es gab da auf der nächsten Ecke in der Weserstraße eine leerstehende Kneipe, und Peter hat die Vermieterin ausfindig gemacht und die angeschrieben. Daraus wurde dann das Ä, und das war der Step in die Professionalität.
Wann war das?
2005 oder 2006. Die Eröffnung des Ä unter Peter Großhauser war im Grunde der Signalschuss für alle, die es noch nicht gehört hatten, dass jetzt Neukölln angesagt ist. Dummerweise hat Peter sich das Zepter aus der Hand nehmen lassen, durch einen falschen Freund, und hat dann nach einer kurzen Erholungspause das Valentin Stüberl in der Donaustraße aufgemacht. Das gibt es heute noch, aber nicht mehr unter Peters Führung.
Ist der auch aus Berlin weggegangen?
Peter hat jetzt eine bezaubernde Waldgaststätte, das „Walden“ in Nordendorf bei Donauwörth.

Haben Sie beim Valentin Stüberl auch mitgemacht?
Ja. Peter und ich waren dann zwar kein Paar mehr, denn im Ä gab es diese ganzen jungen Mädels, und ich war da raus und böse, böse, böse. Aber ein dreiviertel Jahr später rief er mich an: Simi, ich hab einen neuen Platz gefunden, ich brauch dich dafür. Ich war dann das Gesicht an der Bar. Das Valentin Stüberl war im Grunde eine Weiterführung des Ä für Erwachsene. Denn im Ä waren ganz schnell die Teenies, die ihr Sterni vor der Tür getrunken haben. Aber in der Donaustraße war ja 2007 nichts. Da ist man nie langgelaufen. Ich habe mir die Stammgäste da so rangezogen. Und wir hatten das Glück, dass an unserem ersten Silvester dort Quentin Tarantino da war.
Wie kam das denn?
Der hat damals Inglourious Basterds in Berlin gedreht und war auf der Suche nach schrägen Partylocations. Eine unserer Kellnerinnen war Garderobiere am Set und hat ihm vom Valentin Stüberl erzählt. Peter rief mich um halb neun an und flüsterte, ich müsse sofort kommen: Ich so Gurkenscheiben runter und rübergefahren. Peter steht am Herd, rührt in seinem Chili con Carne und deutet auf das Hinterstüberl. Ich mach die Tür auf und auf dem Sofa sitzt Quentin Tarantino mit zwei Blondinen rechts und links, vor ihm eine Flasche Absinth, und er war total eingenebelt vom vielen Rauchen. Ich mach die Tür wieder zu, schleich in die Küche und sag zu Peter nur: Ach du scheiße. Wir haben dann eine Mega-Party gefeiert, bis morgens um halb fünf. Das war die Taufe für das Stüberl.
Wann haben Sie denn im Valentin Stüberl Ihre Talkshow etabliert, „Simi will Format“?
Ich hatte inzwischen als Sozialarbeiterin gearbeitet und bei einem Hausbesuch eine Leiche gefunden, einen jungen Mann. Das ist so ziemlich der Super-GAU in der sozialen Arbeit. Wochenlang ging es mir richtig mies. Alles war grau. Dann fuhr ich doch mal ins Valentin Stüberl und alle sagten, ich müsse was machen. An diesem Abend haben wir schon besprochen, wie das werden soll: Ich will berühmte Leute herholen, will Video und will mit denen ihre und meine Themen live im Valentin Stüberl vor Publikum verhandeln. Wenn in Trier jemand eine Idee hat, wird zehn Jahre lang darüber gesprochen und sie wird nie umgesetzt. Deshalb habe ich trotz meines Perfektionismus gleich einen Termin für die erste Show festgesetzt. Im Valentin Stüberl saßen immer Jungs mit Laptop, die habe ich angesprochen wegen der Videos. Die fanden das toll. Dann haben wir vier Wochen später die erste Show gemacht, das war im Februar 2013.
Wer war Ihr erster Gast?
Mein langjähriger Freund Hendrik Martz, der unter dem Namen Patrick Pacard durch die gleichnamige Fernsehserie bekannt geworden und 1986 Bravo-Starschnitt war. Den kannte man in den 90er-Jahren wirklich aus jeder zweiten 20.15-Uhr-ARD/ZDF-Produktion, und man kannte den immer noch. Die erste Show war total desaströs, der Beamer ist von der Decke gefallen, und wir hatten auch noch keinen Sender dabei. Wir haben das nur für uns gemacht, aber die Hütte war brechend voll. Peu à peu haben wir das professionalisiert. Irgendjemand kannte den Produktionsleiter von dem Sender Alex Berlin, mit dem habe ich mich in der Ankerklause getroffen, und die wollten unser Projekt haben. Da läuft immer noch irgendeine Simi-Will-Show in der Wiederholungsschleife.
Irgendwann kamen ja auch Kevin Kühnert, die Neuköllner Bezirksbürgermeister Franziska Giffey, Martin Hikel, Christiane Rösinger, die Schriftstellerin Anke Stelling, Susan Neiman vom Einstein-Forum.
Und Wolfgang Müller von der Tödlichen Doris. Jörg Sundermeier vom Verbrecherverlag, ein toller Typ. Meret Becker, meine Spielkameradin. Fiona Bennett, die Hutgöttin, Anton Hofreiter und Hajo Schumacher. Der ist ein Engel, hätte ich nie gedacht. Mit Simi-Will konnte ich Welten zusammenbringen, die man selten zusammen sieht: den Underground und den Mainstream. Zusammen hatte das Kraft.
Haben Sie die Leute eingeladen oder haben die sich irgendwann selbst gemeldet?
Ich musste mich jedes Mal wahnsinnig überwinden. Ich war dann wieder das kleine Mädchen aus Trier, wenn ich die Leute angefragt habe. Aber es hat wirklich kaum Absagen gegeben. Irgendwann wurde uns das gesamte Kamera-Equipment geklaut, aber dann haben wir eine Crowdfunding-Kampagne gestartet, wir bekamen Unterstützung von tollen Leuten wie Marion Brasch und Bettina Rust, hatten nach dem Drama ein Plus auf dem Konto, und ich war bekannter als je zuvor.
Zurück ins Heute. Was ist denn das Fazit Ihrer neun Monate in Trier? Ist das für immer?
Mein Herz ist in Berlin geblieben. Ich habe mindestens sieben Koffer in Berlin. Und das Simi-Will-Prinzip ist wohl in Trier nicht umzusetzen. Hier gibt es keinen Hinterhof, in dem irgendwas passiert.
Gibt es den in Berlin noch?
Den gibt es so auch nicht mehr, aber ich will Berlin noch nicht aufgeben. Meine rechte Herzhälfte und ein Teil der linken bleibt in der Donaustraße. In der Nähe von Martin Hikel, denn Martin Hikel und ich gehören irgendwie zusammen. Ich schätze ihn sehr, habe damals auch mitbekommen, wie er in das Amt des Bezirksbürgermeisters reingeworfen wurde, wie aufgeregt er war. Jetzt ist er gesettelt, er ist ein cooler Typ und ein guter Bürgermeister. Und Simi-Will ist noch nicht tot.
Haben Sie das gemacht, was so viele machen, wenn sie die Stadt verlassen: Haben Sie Ihre Wohnung in Berlin behalten?
Meine letzte Wohnung war in der Lenaustraße in Neukölln, und dieses Haus wurde in fünf Jahren viermal weiterverkauft. Die Wohnung habe ich aufgegeben, aber ich bin immer noch im E-Mail-Verteiler der Mietergemeinschaft und weiß, dass da jetzt ein Gerüst steht und alle Angst haben, was da jetzt wieder passiert. Hier in Trier habe ich eine schöne Wohnung mit Sonnenterrasse für billig, billig, billig, und meine Vermieterinnen wohnen im Haus und sind Freundinnen. So was gibt es in der Provinz, das muss man jetzt auch mal anerkennen. Und mein Job hier ist viel schöner. Toller Betreuungsschlüssel, ich kann richtig helfen als Sozialtante in der Jugendarbeit.
Haben Sie nicht auch einen Anteil an der Gentrifizierung Neuköllns?
Selbstverständlich. Auch wenn wir nur zeigen wollten, dass in dem Dreckloch Neukölln etwas steckt, dass hier was zu holen ist. Aber klar, wir waren Brandbeschleuniger und heute ist Neukölln ein Marktplatz. Was ich wirklich frech finde: Dass die Immobilienfirmen mit dem werben, was wir aufgebaut haben.
Sie haben kein schlechtes Gewissen?
Nö, habe ich nicht: Als wir in Neukölln anfingen, haben wir im Grunde Aufbauarbeit geleistet. Es wollte ja keiner nach Neukölln, das war verschrien. Wir wollten etwas herholen, das uns selber Spaß macht: Kunst zeigen, Menschen zusammenbringen. Wir waren damit beschäftigt, gefunden zu werden. Daran, dass wir hier ein neues Notting Hill basteln, haben wir nicht gedacht.
Wenn Sie gewusst hätten, wohin das führt, hätten Sie es dann gelassen?
Nein. Es wäre sowieso passiert.