Antisemitismus: Indonesier hatten wenig Berührung mit Hitler und dem Holocaust

Unser Autor hat Indonesien oft bereist und einen Reiseband veröffentlicht. Darin kommt auch der einzige Rabbi des Landes zu Wort. Ein Kommentar zur Documenta.

Ein documenta-Mitarbeiter entfernt einen Teil des umstrittenen Großbanners "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz.
Ein documenta-Mitarbeiter entfernt einen Teil des umstrittenen Großbanners "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz.dpa

Ich treffe Abdu in einem alten Fort der Niederländer auf der Insel Ternate in den Nord-Molukken. Er sagt lächelnd: „Aku suka Hitler.“ (Ich mag Hitler.) Ich halte mein Mobiltelefon hoch und er spricht das noch einmal in meine Kamera: „Ich mag Hitler, weil er nicht aufgegeben hat.“ Abdu macht seinen Rücken krumm: „Immer, wenn er einen Rückschlag erlebte...“, Abdu drückt den Rücken durch, „ist er wieder aufgestanden“. Ich frage Abdu nach Konzentrationslagern, nach dem Bombenkrieg im Zweiten Weltkrieg. Abdu winkt ab: „Das ist eine andere Sache, darüber rede ich nicht.“

Diesen Dialog habe ich so oder so ähnlich immer wieder auf meiner Reise geführt. Ich habe in vier Monaten 2019 mehr als 30 Inseln von Indonesien besucht und darüber ein Buch geschrieben. Ich habe in Jakarta Taxifahrern zum ersten Mal vom Holocaust erzählt, ich habe mit Indonesiern gesprochen, die glauben, Hitler sei auf einer ihrer Inseln begraben, und ich stritt auf einer Mini-Insel über Israels Existenzrecht. Dieses Gespräch mit Abdu dachte ich, könnte etwas für eine Instagram-Story sein. Indonesien hat ein schwieriges Verhältnis zur eigenen Geschichte, aber das Verhältnis zu Europas Geschichte ist noch viel komplizierter.

Das hätten die Verantwortlichen der Documenta 15 wissen können und müssen, wenn sie eine Gruppe Indonesier damit beauftragen, diese weltbekannte Kunstschau zu kuratieren. Israel und Indonesien haben komplizierte diplomatische Beziehungen, weil für eine Vielzahl von christlichen Indonesiern ein Besuch in Jerusalem die höchste Pilgerfahrt ist, während radikal-muslimische Kräfte immer wieder anti-zionistische und anti-semitische Parolen ausgeben – und im Land wenig Widerspruch erfahren. Gepaart ist das mit einer gesellschaftlichen Verehrung und einer Sehnsucht nach großen Führungsfiguren, die ein Land nach vorn bringen.

So hat vor einigen Jahren ein Mann in Bandung, auf der Insel Java, ein Soldatencafé eröffnet – mit Hakenkreuzen und Nazi-Symbolen. Erst als die Weltpresse zu Besuch kam, musste er es schließen. Eine kommunistische Bewegung der 1960er-Jahre gab sich selbst den Namen „Bewegung 30. September“, indonesisch Gerakan September Tigapuluh, abgekürzt mit: GeStaPu. Diesen Namen gab der Präsident der Bewegung. Als ich 2019 in einem Fine Dining Restaurant war, trug Bruno Ganz als Hitler im Bunker aus „Der Untergang“ plötzlich die Speisekarte auf der Leinwand vor. Alle im Raum lachten.

Genau deshalb gibt es das Holocaust-Museum in Manado

Yaakov Baruch, Indonesiens einziger Rabbi

Rabbi Yaakov Baruch zum Documenta-Skandal: wütend, aber nicht verwundert

Interessantes Detail des Documenta-Skandals: Das große Wandgemälde mit klar antisemitischen Bildern konnte vor 20 Jahren in Australien ausgestellt werden, ohne dass es Aufsehen erregte. Trotzdem hätten in Deutschland vorher einige Alarmglocken läuten müssen.

Doch das Hoffnungsvolle an Indonesien ist seine unglaubliche Vielfalt: Seit diesem Jahr steht in Indonesien auch ein Holocaust-Museum. Yaakov Baruch hat es eröffnet auf der Insel Sulawesi, ganz im Norden, in der Nähe seiner Synagoge. Der Rabbi berichtet dieser Zeitung, dass ihn das Bildnis in Kassel wütend mache, aber nicht wundere. „Genau deshalb gibt es ja das Museum“, sagt er, „damit Indonesier mehr über den Holocaust lernen.“ Zur Eröffnung kam die deutsche Botschafterin aus Jakarta. Das habe ihn sehr gefreut. Die Instagram-Story mit Abdu habe ich nie veröffentlicht. Vielleicht sieht er das Ganze inzwischen ja anders.