Streit um Netrebko geht weiter: Die Ukrainer sagen ab, der Intendant ist wütend
Der Wiesbadener Intendant sagt, die Absagen seien politisch motiviert. Der ukrainische Kulturminister wendet sich an Claudia Roth.

Der Streit um den geplanten Auftritt der russischen Sopranistin Anna Netrebko auf den Internationalen Maifestspielen im hessischen Wiesbaden geht weiter. Die Künstlerin ist wegen ihrer angeblichen Putin-Nähe seit dem Beginn des Kriegs, den ihr Land gegen die Ukraine führt, umstritten. In Wiesbaden sollten aber auch ukrainische Künstler auftreten, das ukrainische Nationalorchester, der Nationalchor und das Taras-Schwetschenko-Theater aus Charkiw. Diese haben nun abgesagt.
Wie das Staatstheater in Wiesbaden Anfang der Woche mitteilte, traf dort ein entsprechendes Schreiben des Generalintendanten des Nationalen Operntheaters der Ukraine sowie ein an die deutsche Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth gerichtetes Schreiben des ukrainischen Kulturministers Oleksandr Tkachenko ein.
Intendant erklärt: Forderungen des ukrainischen Kulturministers nicht hinnehmbar
Dabei hätte die Agentur, die die Ukrainische Nationalphilharmonie in Europa vertritt, dem Dirigenten und dem Orchester frühzeitig mitgeteilt, dass in einem anderen Konzert im Rahmen der Festspiele auch Anna Netrebko auftreten werde. Die Ukrainer habe das nicht davon abgehalten, die Einladung anzunehmen. „Die vorläufigen Absagen sind ganz offensichtlich politisch motiviert bzw. von der Politik auferlegt.“
Dies werde nicht zuletzt aus dem Schreiben des Kulturministers Oleksandr Tkachenko an Claudia Roth offenbar. Tkachenko stelle in diesem Schreiben klar, dass die ukrainische Seite weder die Zusammenarbeit mit Personen tolerieren werde, die die russische Kultur repräsentierten, noch überhaupt Veranstaltungen, in denen russische Kultur zur Darstellung käme.
„Für uns würde das bedeuten, dass wir keinerlei russische Künstler mehr auftreten lassen könnten, keinerlei russische Musik mehr spielen (was wir mit Tschaikowskis Violinkonzert bei den IMF tun) und auch keine russischen Dichter mehr zu Wort kommen lassen dürften (was in unserer Eröffnungspremiere mit der Vertonung von Dostojewskis ‚Aus einem Totenhaus‘ passieren wird). Diese Forderung des ukrainischen Kulturministers, die russische Kultur aus unseren Spielplänen ganz zu entfernen, kann für uns in einem freien Land nicht hinnehmbar sein. Auch halten wir es für falsch, dass ukrainische Künstler, die uns mehrfach beteuert haben, dass sie bei den Internationalen Maifestspielen 2023 auftreten möchten, von staatlicher Seite daran gehindert werden“, heißt es in der Erklärung des Theaters.
Und weiter: Wenn ukrainische Staatsbeamte dazu aufforderten, man müsse sich zwischen zwei Kulturen entscheiden („der Kultur des Aggressors und der Kultur eines demokratischen Staates“), so werde hier eine falsche Alternative aufgemacht. „Wir haben uns klar gegen den Angriffskrieg von Putin und auch gegen das gesamte Handeln des Putin-Regimes gestellt. Das kann aber keine Verurteilung aller russischen Menschen und aller russischen Kultur bedeuten. Kultur lebt immer von menschlichen Werten, die über den Nationen stehen.“
So sei die ukrainische Theatertruppe mit dem französischen Stück „Caligula“ von Albert Camus eingeladen und das ukrainische Orchester mit einem Werk des Italieners Giuseppe Verdi. „Dass es dazu auf staatliches Geheiß in Wiesbaden vermutlich nicht kommen wird, ist kein gutes Zeichen für eine Kultur, die Kriege und Unrecht überwinden will. Die Internationalen Maifestspiele Wiesbaden sind international. Sie entscheiden sich nicht für oder gegen eine nationale Kultur. Sie entscheiden sich für die eine Kultur, die alle verbinden sollte.“ Es klingt jedenfalls nicht danach, als wolle der Wiesbadener Intendant Uwe Eric Laufenberg wegen der Schreiben Anna Netrebko wieder ausladen.