Mohamedou Slahi: Kann der Ex-Terrorist ein Berliner Literatur-Festival leiten?

Mohamedou Slahi war 14 Jahre im US-Lager Guantánamo inhaftiert. Einen Schuldspruch gab es nie. Das Festival tut Kritik als deutsche Islamfeindlichkeit ab.

Der Schriftsteller Mohamedou Ould Slahi Houbeini
Der Schriftsteller Mohamedou Ould Slahi HoubeiniElise Swain/The Intercept/African Book Festival

Nun hat die Diskussion über den aus dem nordafrikanischen Mauretanien stammenden Kurator eines kleinen Berliner Kulturevents also auch den Boulevard erreicht. „Ein Dschihadist wird Chef von Berliner Literaturfestival“ titelte kürzlich die B.Z., und das reichweitenstarke Portal T-Online heftete dem Wort Dschihadist korrekterweise ein „Ex-“ an. Was ist da los in der Hauptstadt, in der die kulturkämpferischen Kabale nach dem Abfackeln von Silvesterraketen nicht einfach verglüht sind.

Fakten und Verdächtigungen. Wer mitdrehen will auf dem Karussell der Empörung, muss weit nach oben ins Regal greifen. Ist Versachlichung da überhaupt möglich?

Das African Book Festival ist eine junge, vergleichsweise zarte Pflanze des Berliner Literaturbetriebs. Erstmals fanden die Lesungen und Diskussionen 2018 statt, damals kamen insgesamt rund 1000 Besucher zu den einzelnen Veranstaltungen. Ein Achtungserfolg, durchgeführt wird das Festival vom Verein Interkontinental e.V., gefördert wird es durch knapp 100.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfonds.

„The Mauretanian“ – eine Geschichte für Hollywood

Bei der Auswahl der jährlich wechselnden Kuratoren ist man – wie könnte es anders sein? – um Prominenz bemüht. Für die 2019er-Ausgabe gelang es beispielsweise, Tsitsi Dangarembga zu gewinnen, die aus Simbabwe stammende spätere Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. Stargast des letzten Festivals vor Beginn der Corona-Pandemie war der nigerianische Schriftsteller Ben Okri, ein klangvoller Name, weit über die Freundeskreise der afrikanischen Literatur hinaus.

Letzteres gilt auch für Mohamedou Ould Slahi Houbeini, dessen 2015 erschienenes Tagebuch über seine Gefangenschaft im US-Lager Guantanamo in viele Sprachen übersetzt und zu einem Bestseller wurde. Dabei blieb es nicht. Unter dem Titel „The Mauretanian“ wurde Slahis Geschichte von Hollywood verfilmt – mit Jodie Foster und Benedict Cumberbatch in den Hauptrollen. Der Film, mit dem 2021 die Berlinale eröffnet wurde, behandelt die 14 Jahre währende unrechtmäßige Inhaftierung Mohamedou Slahis in Guantánamo. Weil es keine Beweise für den Verdacht gab, er sei einer der Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001, wurde er 2016 freigelassen.

Was bleibt, ist die bewegende Geschichte eines Opfers politischer Willkür, das schließlich die Kraft gefunden hat, sein Leiden in Worte zu fassen. Nicht zuletzt durch Mohamedou Slahi ist Guantánamo zum Symbol eines massenhaften Rechtsbruchs geworden, der das Ziel konterkarierte, dem islamistischen Terror etwas entgegenzusetzen.

Dass man es sich mit dieser Lesart ein wenig zu einfach macht, hat in der vergangenen Woche die Schriftstellerin Ronya Othmann in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) in starker Diktion zum Ausdruck gebracht. Sie beklagt die mutwillige Verdrängung einer Tätergeschichte, die die dem Guantánamo-Trauma vorausging.

Mohamedou Slahi: Ein charismatischer Typ

Tatsächlich hat Slahi seine Mitgliedschaft in der Terrororganisation Al-Kaida nicht abgestritten. Sie sei der Irrtum seines Lebens gewesen. Die Liste der Indizien ist lang. Dazu gehören die Verbindungen zu Osama bin Laden ebenso wie die persönliche Bekanntschaft mit den 9/11-Attentätern. Belastbare Beweise? Keine. Alles scheint zum Guten aufgehoben in einer umfänglichen Läuterung. Mohamedou Slahis Botschaft, so wird es auch in der Film-Dokumentation „Slahi und seine Folterer“ des deutsch-amerikanischen Journalisten John Goetz eindringlich beschworen, ist seither die Versöhnung. Sogar die mit seinen Peinigern, die in dem Film ausführlich zu Wort kommen. Der dramaturgische Höhepunkt der Recherchen von John Goetz sind Telefonate Slahis mit mehreren US-Ermittlern. „Hi, how are you?“

Mohamedou Slahi, so viel ist klar, ist ein sehr charismatischer Typ. Obwohl Goetz gleich zu Beginn seines Filmes betont, dass er, ohne ihm zuvor begegnet zu sein, Slahi für einen Freund hält, lässt der Film zumindest Zweifel an dessen Selbstdarstellung zu. Von seinem Tun und Lassen bei Al-Kaida, möglichen Motiven, ist in dem Film von John Goetz leider nicht die Rede.

Was, zur Hölle, wiederholt Ronya Othmann entsetzt die zuerst Mitte Januar von Andreas Fanizadeh in der taz aufgeworfene Frage, hat ein Berliner Literaturfestival geritten, ausgerechnet ein ehemaliges Al-Kaida-Mitglied zum Kurator zu machen? Slahis Zeit in der Terrororganisation werde abgetan wie drei Jahre Mitgliedschaft beim Fan-Klub der Kelly Family. Für Othmann, die einen kurdisch-jesidischen Familienhintergrund hat, ist die Personalentscheidung des African Book Festivals ein fatales Statement. Sie schreibt: „Wie könnte man den Opfern des Islamismus eigentlich noch offener ins Gesicht spucken?“

Die Verantwortlichen des Berliner African Book Festivals reagieren abwehrend-pikiert. Anstatt einzuräumen, dass sie den Hinweis auf die Al-Kaida-Mitgliedschaft zunächst unterschlagen, zumindest vernachlässigt haben, holen sie zum schweren Gegenvorwurf aus: Man habe sich eingehend mit der Biografie Mohamedou Slahis beschäftigt. „Wir sehen keinen Anlass dazu, nicht mit ihm zu arbeiten und interpretieren die aktuelle Empörung als Ausdruck deutscher Islamfeindlichkeit“, heißt es auf der Webseite des African Book Festivals.

Das Einreiseverbot gilt noch

Das ist der Sound eines anschwellenden Kulturstreits, in dem die oberste Devise scheint, keine Fehler zuzugeben und recht behalten zu wollen. Mohamedou Slahi übrigens wird zum Festival, das vom 25. bis zum 27. August in Berlin stattfindet, nicht persönlich erscheinen. Gegen ihn gilt weiterhin ein von der Stadt Duisburg erwirktes Einreiseverbot. Es bezieht sich auf einen 30 Jahre zurückliegenden Sozialbetrug aus der Zeit, in der Slahi in Duisburg studierte. Das Verbot nicht aufzuheben, so legt eine Recherche des Investigativ-Journalisten Georg Mascolo nahe, gehe auf den Ratschlag von US-Behörden zurück. Verdächtigungen, Zweifel, die Attraktivität einer Opfer-Erzählung und ein kulturpolitischer Auftrag – der Fall des Mauretaniers wird fortgeschrieben.