Muss man Preußen canceln? Hermann Parzinger widerspricht Claudia Roth

Deutschlands größte Kultureinrichtung befindet sich im Umbau. Claudia Roth findet den Namen unzeitgemäß. Was der SPK-Präsident Hermann Parzinger dazu sagt.

Hermann Parzinger im Foyer der Villa von der Heydt, der Zentrale der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin
Hermann Parzinger im Foyer der Villa von der Heydt, der Zentrale der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in BerlinEmmanuele Contini

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) hat zuletzt gleich in mehrfacher Hinsicht von sich reden gemacht. Durch die Rückgabe wertvoller Benin-Bronzen aus ihrem Sammlungsbestand an Nigeria hat sie neue Maßstäbe für den künftigen Umgang mit Kunst aus kolonialen Kontexten gesetzt. Zugleich kam die Frage auf, ob angesichts einer umfangreichen Reform der Stiftung der Name Preußen im Titel der größten deutschen Kultureinrichtung noch zeitgemäß ist. Wir sprachen mit SPK-Präsident Hermann Parzinger über die anstehenden Herausforderungen für den Kulturverbund. 

Herr Parzinger, vor wenigen Wochen haben Sie gemeinsam mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth einen Zwischenstand der Stiftungsreform vorgestellt. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Bausteine dieses Generalumbaus?

Im Kern geht es um eine stärkere Autonomie durch mehr Dezentralität im Verwaltungshandeln. Die Einrichtungen sollen besser selbst steuern können. Die einzelnen Häuser und Museen – ob das Pergamonmuseum, die Staatsbibliothek oder das Geheime Staatsarchiv, um nur einige zu nennen – sind die eigentlichen Marken der Stiftung. Sie sind die Adressaten des Publikums, und sie sollen durch die Reform gestärkt werden. Es ist aber genauso wichtig, den Verbund SPK zu stabilisieren, damit er für bestimmte Aufgaben sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen kann. Deshalb wird die strategische Steuerung dieses Verbundes SPK in einem Vorstand verankert, wo jedes Mitglied auch Querschnittsaufgaben für das große Ganze übernehmen wird.

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Emmanuele Contini
Zur Person
Hermann Parzinger, 1959 in München geboren, ist prähistorischer Archäologe und ein herausragender Spezialist für die Kultur der Skythen. Seit 2008 ist er Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) in Berlin. Zuvor war er Leiter des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin-Dahlem. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehört eine umfangreiche Neuausrichtung der SPK, die der deutsche Wissenschaftsrat in Form eines von Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Auftrag gegebenen Gutachtens empfohlen hat.

Wenn ich die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die die Reform angestoßen hat, richtig verstanden habe, ging es ihr nicht nur um eine Erneuerung von innen, sondern auch um die äußere Verfasstheit einer der größten europäischen Kulturinstitutionen. Das Mitspracherecht von 16 Bundesländern, von denen viele nur einen sehr geringen finanziellen Beitrag leisten, wurde als unzeitgemäß und hinderlich angesehen. Sind die Vorschläge zur Verschlankung nun ganz verschwunden?

Die SPK ist ein Kind des Kulturföderalismus, und die Länder haben im Verlauf des Reformprozesses zum Ausdruck gebracht, dass sie in der Trägerschaft der Stiftung bleiben wollen. Das schließt Veränderungen in der Zusammensetzung des Stiftungsrats nicht aus. Entscheidend wird sein, die Stiftung auf eine neue Finanzierungsgrundlage zu stellen. Genau darüber wollen Bund und Länder bis zum Sommer sprechen. Das ist keineswegs trivial, auch die Länder haben bekanntlich Probleme bei der Finanzierung ihrer Kultureinrichtungen. Der Knackpunkt der ganzen Reform wird sein, ob es ein deutliches Bekenntnis zu einer verbesserten Ausstattung der Stiftung geben wird.

Hermann Parzinger
Hermann ParzingerEmmanuele Contini

Die größte Aufmerksamkeit hat allerdings eine andere Frage erhalten, nämlich die, ob der Name Stiftung Preußischer Kulturbesitz noch zeitgemäß ist. Welches Problem haben Sie mit Preußen?

Gar keins. Und ich denke, man kann die Debatte nur sachgerecht führen, wenn sie unideologisch ausgetragen wird. Es geht mir überhaupt nicht darum, den Namen Preußen abzulegen. Unsere Wurzeln liegen in Preußen, und wir bewahren dessen Erbe. Aber die Stiftung hat sich weiterentwickelt. Wir sind zu einem Global Player der auswärtigen Kulturpolitik geworden. Schon deshalb finde ich es legitim, über den Namen zumindest einmal nachzudenken. Er erklärt sich nicht von selbst, und uns werden regelmäßig die Schlösser und Gärten zugeschrieben. Selbst wenn man am Ende bei dem Namen bleiben sollte, ist diese Debatte wichtig, weil sie auch etwas mit unserem Selbstverständnis zu tun hat.

Ein Teil der Debatte knüpfte sich an die Betonung des Besitzes im Stiftungsnamen. In der Wissenschaft wird seit geraumer Zeit der Begriff „shared heritage“, also geteiltes Kulturerbe diskutiert. Gibt es diesbezüglich Pläne?

Ich denke, dass wir in dieser Hinsicht bereits eine ganze Menge tun. Die Sammlungen, die man im juristischen Sinne besitzt, sind auch eine Verpflichtung. Dazu gehört die Betrachtung der Wege der jeweiligen Objekte in die Sammlungen, Stichwort Provenienzforschung. In vielen Bereichen leben wir bereits die Idee des „shared heritage“. Viele Ausstellungen und Projekte gerade im Humboldt-Forum wurden gemeinsam mit Kuratorenteams aus den Herkunftsländern entwickelt. Solche Kooperationen sind nicht mehr wegzudenken. Demnächst wird das Projekt des Kollaborativen Museums beginnen, Ende April gibt es dazu eine Tagung in Dakar mit afrikanischen und europäischen Museumsleuten. Dort sollen Leitlinien für die zukünftige Zusammenarbeit der Museen entwickelt werden. Hier ist eine enorme Dynamik entstanden, die auch den Umgang mit den Sammlungen verändert.

Kurz vor Weihnachten haben Außenministerin Annalena Baerbock und Kulturstaatsministerin Claudia Roth 20 der sogenannten Benin-Bronzen feierlich an Nigeria zurückgegeben. Sie selbst haben das als wichtigen und notwendigen Schritt bezeichnet. Wie stellen sich für Sie die Einwände der New Yorker Restitution Study Group dar, die Nigeria als Adressaten der Rückgabe nicht anerkennt, weil das Königreich Benin Profiteur eines florierenden Sklavenhandels war? Sind Sie bei der Rückgabe zu voreilig gewesen?

Es war nicht voreilig, denn es gibt gute Gründe für die Rückgabe. Es ist unstrittig, dass die Benin-Bronzen infolge eines kolonialen Raubzuges nach Europa gelangt sind. Die Haltung der Restitution Study Group verweist auf die Komplexität von Geschichte. Die Rückübertragung erfolgt ja auch nicht an den König von Benin, dessen Vorfahren am Sklavenhandel beteiligt waren. Wir geben die Bronzen an den nigerianischen Staat zurück, weil wir der Meinung sind, dass sie zum kulturellen Erbe von Nigeria gehören.

Es ist kritisiert worden, dass die Restitution Study Group von Ihnen noch gar nicht angehört worden sei. Stimmt das?

Es haben keine direkten Gespräche stattgefunden. Wir haben ein Schreiben erhalten, das gleichlautend an unzählige Adressaten aus Politik und Kultur von Bund und Ländern gerichtet war. Im Rahmen eines Podiumsgesprächs bei Radio BBC habe ich bereits mit Vertretern der Restitution Study Group diskutiert.

Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie Benin-Bronzen zurückgeben und über Nofretete lieber schweigen. Was sagen Sie dazu?

Ich denke, dass man einen so gewaltvollen kolonialen Raubzug, bei dem die Hauptstadt des Königreichs Benin komplett zerstört und geplündert worden ist, nicht mit einer Fundteilung vergleichen kann, die dem damaligen Recht entsprach. Der Verlauf dieser Teilung ist minutiös belegt, und seitens des ägyptischen Staates hat es auch nie eine offizielle Rückgabeforderung gegeben. Die Büste der Nofretete ist ein Icon der Museumsinsel, ein Stück Weltkulturerbe in Berlin, und so soll es auch bleiben.

Ein ganz anderes, beinahe sträflich vernachlässigtes Thema: Zuletzt war zu hören, dass Russland sich Teile des sogenannten Skythen-Goldes aus einem Krim-Museum angeeignet haben soll. Sie waren als Archäologe maßgeblich an Ausgrabungen von Skythen-Gräbern beteiligt. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Die Nachrichten sind extrem beunruhigend. Auf der Webseite des ukrainischen Ministeriums für Kultur und Information kann man beinahe stündlich sehen, wie die Liste der zerstörten Kulturdenkmäler wächst. Es geht ganz offensichtlich um eine gezielte Vernichtung der ukrainischen Kultur. Es werden nicht nur Kirchen, historische Gebäude, Museen, Bibliotheken und Archive attackiert. Auch wertvolle Objekte sind verschwunden, etwa in Melitopol, einer Stadt, die zwischen Mariupol und der Krim liegt und deshalb strategisch von besonderer Bedeutung ist. Das Museum dort verfügt über bedeutende skythische Goldfunde. Es gab Hinweise, dass die Museumsverantwortlichen angeblich entführt wurden und der Schatz gestohlen worden sein soll. Es häufen sich Anhaltspunkte, dass neben gezielten Kulturzerstörungen auch Kunst- und Kulturgüter geplündert und illegal gehandelt werden, ganz ähnlich wie beim sogenannten Islamischen Staat in Syrien. Die Dimensionen sind derzeit noch nicht abzusehen. Wir müssen rasch handeln, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit der UNESCO und durch das Sensibilisieren von Zollbehörden. Es sollen sogenannte Red Lists vom internationalen Museumsrat ICOM erarbeitet werden, auf denen typische Objekte aus der Ukraine vermerkt sind, die im illegalen Handel besonders gefragt sein könnten, damit diese von den Behörden schneller erkannt werden. Ich fürchte, was wir damals in Syrien und Irak erlebt haben, wiederholt sich gerade.

Sie haben bei Ihren Ausgrabungen mit ukrainischen und russischen Kollegen zusammengearbeitet. Gibt es noch Kontakte?

Wir haben Verbindungen zu ukrainischen Kollegen und unterstützen, wo wir können, etwa bei der digitalen Sicherung von Forschungsdaten oder der Sicherung von Kulturgut. Die Verbindungen zu russischen Kollegen sind weitgehend eingeschlafen. Wir wollen niemanden in Schwierigkeiten bringen. Ich habe ein sehr irritierendes Interview gelesen, das mein langjähriger Kollege Michail Piotrowski, der Direktor der Eremitage in Sankt Petersburg, gegeben hat. Dabei ist mir klar geworden, dass man nicht mehr genau weiß, was die Kollegen wirklich denken oder meinen, denken zu müssen. Wer jetzt aus der sicheren Entfernung fragt, warum dort nicht mehr Menschen ihre Stimme gegen den Krieg erheben, sollte sich allerdings auch erinnern, wie es vor 80 Jahren in Deutschland war.

Interview: Harry Nutt

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