Absage wegen Dreadlocks: Vorsicht beim Lockendrehen
Wegen ihrer sogenannten Dreadlocks darf eine junge Musikerin nicht bei Fridays for Future auftreten. Gibt es in Kriegszeiten nicht Wichtigeres?

Durch die Allgegenwart der Berichte vom Krieg und dessen Auswirkungen hat sich spürbar auch die Temperatur der aus der Vorkriegszeit bekannten sozialen Konflikte verändert. Oder laufen diese einfach wie gewohnt weiter? Die Begründung der Absage eines Auftritts der jungen Cellistin Ronja Maltzahn bei einer Veranstaltung der „Fridays for Future“-Bewegung deutet auf Letzteres. Die aus dem niedersächsischen Bad Pyrmont stammende Musikerin trägt ihre blonden Haare im sogenannten Dreadlock-Look, weshalb sie lieber nicht singen und sprechen sollte, so die Klimaaktivsten, weil sie „gerade bei diesem globalen Streik auf ein antikolonialistisches und antirassistisches Narrativ setzen“. Weiter hieß es, dass weiße Menschen keine Dreadlocks tragen sollten, „da sie sich einen Teil einer anderen Kultur aneigneten, ohne die systematische Unterdrückung dahinter zu erleben“.
First things first
In der Vorkriegszeit wäre es üblich gewesen, solch einen Vorfall als Indiz einer kulturellen Überzeichnung im Namen einer übergriffigen Cancel Culture zu verbuchen. Kopfschütteln als mögliche Reaktion oder hamburgisch cool: gar nicht erst ignorieren. Nicht übersehen werden kann dabei, dass erstaunlich viele einer solchen Begründung sogar zustimmen, weil sie der Auffassung sind, dass Klimapolitik eng mit einer Vorstellung von postkolonialistischer Gerechtigkeit verknüpft sei. Wenn man erst einmal einsteigt ins diskursive Lockendrehen, bleiben erstaunliche Schnörkel und Spliss nicht aus. Wobei ich mir – sorry, woke People – die Bemerkung nicht verkneifen kann, dass die weitreichende Möglichkeit, etwa sein Geschlecht selbst zu bestimmen, in einem seltsamen Widerspruch zu dem Gebot steht, ethnische und kulturelle Merkmale ausschließlich in ihrem Geltungsbereich zu belassen. Rock 'n' Roll is over.
Ich fürchte, es ist ein klarer Fall von Wunschdenken, dass mit dem Krieg auch eine Kultur der neuen Dringlichkeit einhergeht, in der der pragmatische Grundsatz gilt: das Wichtige zuerst – first things first. Gefasst sein sollte man vielmehr auf eine wilde Gleichzeitigkeit des Meinens, Behauptens, Fühlens und dunklen Ahnens.