Was Putins Fliege mit Dr. Mabuse zu tun hat

In seiner Kriegsrhetorik richtet der russische Präsident Putin seine Gewaltfantasie auf eine Fliege. Was soll das?

Die gewöhnliche Stubenfliege.
Die gewöhnliche Stubenfliege.imago stock&people

Die Welt am Abgrund? Für das Fantasy- und Sience-Fiction-Genre stellt die drohende Katastrophe die Ausgangssituation dar. Im Verborgenen haben Despoten kleine Imperien errichtet und sie trachten von dort aus nach der Errichtung eines großen. Ihre Machtfülle basiert zu großen Teilen auf technischer Finesse. Der Minenbesitzer Dr. No etwa hat sich in dem James-Bond-Klassiker „007 jagt Dr. No“ auf die Insel Crab Key zurückgezogen, wo er mit dem Einsatz von Kernenergie experimentiert. Weil seine wissenschaftlichen Fähigkeiten zuvor missachtet wurden, will er sich an den USA rächen. Er manipuliert amerikanische Raketen, die von Cape Canaveral starten, dazu hat er auf der Insel eigens einen Kernreaktor errichtet.

Als einer der ersten Superverbrecher der Unterhaltungskultur gilt Dr. Mabuse, den der luxemburgische Schriftsteller Norbert Jacques in der Zwischenkriegszeit erfunden hat. Dem Autor der 1922 von Fritz Lang als „Dr. Mabuse, der Spieler“ verfilmten Vorlage ging es vor allem darum, die Verderbtheit der Weimarer Republik vorzuführen. Mabuses Traum ist die Schaffung einer neuen Gesellschaft, die frei von Korruption ist. Um das zu erreichen, türmt der „Mann mit den tausend Gesichtern“ Reichtum und Verbrechen vor sich auf. Die großen Phantasmen, lernen wir daraus, gehen oft aus gekränkten Seelen hervor.

Der russische Präsident Putin, der nicht erst seit dem Überfall auf die Ukraine als Superverbrecher hätte beschrieben werden können, verfügt nicht über die Wandlungsfähigkeit eines Dr. Mabuse. Sein seltsam ausdrucksloses Gesicht wirkt immer gleich, vielleicht eine Folge, so ist spekuliert worden, der fortgesetzten Einnahme von Kortison.

Ein Gedicht von Muhammad Ali

Was aber sollte jene Szene ausdrücken, in der Putin sich am vergangenen Donnerstag, in einen Lehnstuhl gezwängt, mit seinem Verteidigungsminister Schoigu am furnierten Möbel zur Situation in der belagerten Stadt Mariupol besprach? Die Zeit des langen Tischs ist vorbei, in Kriegszeiten wird aus provisorischem Interieur heraus dirigiert.

Im militärischen Jargon, wo von Haubitzen, Artillerie und schwerem Gerät die Rede ist, überrascht ferner die von Putin herbeizitierte Fliege, die dem Stahlwerk von Mariupol nicht entweichen dürfe. Der dem kleinsten Getier gewidmeten Zermalmungsfantasie mag man ein Gedicht des Boxers Muhammad Ali entgegenhalten, der rappte: „Wenn ich Dir sage, Mann/dass eine Fliege den Pflug ziehen kann/dann frage nicht: wie/sondern spann sie an.“