„Der Fall Wilhelm Reich“: Der gemütliche Psycho-Onkel

Die beste Szene in diesem Film über Wilhelm Reich kommt zum Schluss und besteht aus einem langsamen Kameraschwenk in einer tristen Gefängniszelle, der vollkommen überraschend den Blick auf eine paradiesische Landschaft freigibt. Hier wird zum ersten und einzigen Mal etwas von der untergründigen, wohl nur mit surrealen Mitteln darzustellenden Wahrheit sichtbar, um deren Entdeckung und Deutung sich die Psychoanalyse verdient gemacht hat, und die auch für Reich einen neuen Kontinent erschloss: die Erforschung der neurotischen Verfassung des Menschen infolge der fortwährenden Unterdrückung seines Trieblebens – tief in den unbewussten Regionen, in denen es wie in einem finsteren Bewusstseinskeller gehörig spukt.

Ja, das waren aufregende Zeiten, in denen Sigmund Freud im Wien der Jahrhundertwende eine vollkommen verrückte Idee in die Welt setzte, wonach der Mensch nicht Herr im eigenen Haus sei. Und nein, mit solchen Verrücktheiten beschäftigt sich Antonin Svobodas Film „Der Fall Wilhelm Reich“ eher nicht. Reich wird uns also nicht als Freud-Schüler vorgestellt, auch nicht als Erfinder der freudomarxistischen Kultur- und Faschismuskritik und schon gar nicht als sozial engagierter Arzt, der in Wien und später in Berlin Sexualberatungsstellen für Arbeiter betrieb, für eine proletarische Klientel also, an die sich die klassische – bürgerliche – Psychoanalyse sonst nicht richtete.

All das kommt, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Stattdessen lernen wir den Reich kennen, der als Jude vor dem nationalsozialistischen Terror bereits in die USA geflüchtet ist und dort in den 1940ern so irrsinnige Erfindungen machte wie den Orgon-Akkumulator zur Steigerung der orgastischen Potenz und den Cloudbuster zur Herstellung von Regen. Der sich im Bundesstaat Maine ein lichtdurchflutetes und also lebensenergievolles Labor vor prächtiger Naturkulisse einrichtete – das Orgonon. Und der wohl auch wegen seiner kommunistischen Gesinnung und seiner Kritik an der Atomforschung von der US-Gesundheitsbehörde FDA und dem Geheimdienst CIA bis zu seinem Tod schikaniert wurde. Es geht also um noch viel größere Verrücktheiten und das böse McCarthy-Amerika der 1950er.

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Drehort Wien

Dabei hat Svoboda seinen Film sehr sparsam, ja fernsehspielartig bescheiden ausgestattet; gedreht wurde nicht in Amerika, sondern in Wien, Niederösterreich und Spanien. Dass für diese Low-Budget-Produktion dennoch ein Weltstar wie Klaus Maria Brandauer gewonnen werden konnte, nimmt sich da schon erstaunlich aus. Noch erstaunlicher ist allerdings, wie sehr sich der österreichische Schauspieler in seiner Rolle als Wilhelm Reich zurückhält und nicht in das brandauereske Gebrause und Gegreine verfällt, sondern eher den grundgütigen, frohgemuten und urgemütlichen Psycho-Onkel gibt.

Und den bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Selbst als Reich auf Veranlassung der FDA die Orgon-Akkumulatoren (mit Metall ausgeschlagene Holzkisten) in seinem Labor zerstören und darüber hinaus erleben muss, dass seine Bücher nach den Nationalsozialisten jetzt ein zweites Mal von den Amerikanern verbrannt werden – Brandauer mimt einen merkwürdig teilnahmslosen Menschen und stellt uns Reich als einen allen lebensweltlichen Wirrnissen enthobenen, nur seiner Forschung verpflichteten Wissenschaftler vor. Dieser hehre Gleichmut soll uns offenbar plausibel erscheinen lassen, dass Reich sich 1955 nicht weiter um eine gerichtliche Anordnung kümmert, seine Arbeit einzustellen. 1956 wird er deswegen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und stirbt acht Monate später in der Haft.

Kurzum, Svobada inszeniert Reich als Märtyrer der Wahrheit und Wissenschaft. Der Mensch hingegen interessiert ihn nicht besonders, was dann doch verwundert – nicht nur wegen der Besetzung der Hauptrolle mit Klaus Maria Brandauer, sondern auch der Nebenrollen mit so ausgesuchten Schauspielern wie Birgit Minichmayr oder Julia Jentsch. Und eine kritische Würdigung des Werkes – wozu auch die Frage gehört, warum Reich in den 1960ern für die Studentenbewegung so wichtig wurde – findet schon gar nicht statt. Kurzum, mit seinem neuen Film vollendet Svoboda, was sich 2009 bereits in seinem quasi dokumentarischen Film „Wer hat Angst vor Wilhelm Reich?“ abzeichnete: ein Propagandawerk, zu dem er, ein überzeugter Vertreter der Reich’schen Orgontherapie, sich allerdings auch offen bekennt.

Der Fall Wilhelm Reich Österreich 2012. Buch & Regie: Antonin Svoboda, Kamera: Martin Gschlacht, Oliver Neumann, Darsteller: Klaus Maria Brandauer, Julia Jentsch, Jamie Sives, Birgit Minichmayr, Gary Lewis u..a.; 110 Minuten, FSK o..A.