Schlaglichter
Wer ist Kommunist, wer Nationalist? Was blieb übrig von den Revolutionen in Vietnam, Kuba, im Iran? Und welche Rolle spielen hier und dort die USA? Ein Essay.

Wenn ich mich doch nur noch daran erinnern könnte, wo ich’s gelesen habe. Es ist ja auch schon so lange her. In der Zeit der Nachbeben des Vietnamkrieges, der mich durch meine ganze Jugend von der Ferne aus begleitet hat. Ich hatte, wie so viele, darauf gehofft, dass die Amerikaner den Krieg und dabei möglichst auch ihr Gesicht verlieren, dann war genau dies eingetreten, und die Frage, die mich und viele andere beschäftigte, war die: Warum nur waren die Amis in Vietnam gescheitert?
Es war Charles de Gaulle, der französische Präsident in dieser Zeit, der es gesagt haben soll, nicht offiziell, sondern zu Leuten in der amerikanischen Regierung, und es war seine Schlussfolgerung aus dem Krieg, den Frankreich in Vietnam verloren hatte, als es nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges glaubte, sein einstiges Kolonialreich in Indochina wieder herstellen zu können: Die Vietnamesen, Nord-Vietnam, der Vietkong, das sind gar keine Kommunisten. Das sind eigentlich Nationalisten, die für ihre nationale Unabhängigkeit kämpfen. Den Krieg in Vietnam von Seiten der Amerikaner aus als Abwehrkampf gegen den Kommunismus zu führen, wird deshalb keinen Erfolg haben können. Erstaunlich. Für mich damals jedenfalls.
Heute würden wir sagen: Zutreffend, vom Kommunismus ist ja in Vietnam so viel nicht übrig geblieben. Die Kommunistische Partei aber ist immer noch an der Macht. Wie in der benachbarten Volksrepublik China. Und auch dort ist wohl nur noch wenig von Maos Kommunismus zu entdecken. Und so stellt sich dann auch die Frage, ob die chinesischen Kommunisten denn jemals Kommunisten gewesen sind, und nicht eigentlich Nationalisten. Die Volksrepublik China, das wiederauferstandene Reich der Mitte, früher von einem Gott-Kaiser und seiner Bürokratie beherrscht, heute von einem Genossen Generalsekretär und Präsidenten der Volksrepublik, in der das Volk nichts zu sagen hat, und immer noch, wie seit Jahrhunderten, seit vier Jahrtausenden von einer Bürokratie, die ihresgleichen in der ganzen Weltgeschichte sonst nicht findet.
Aber wenn das so ist, wenn es sich bei der Einschätzung von de Gaulle, die ich von Vietnam auf China mal eben so erweitert habe, diese Kommunisten seien eigentlich Nationalisten, um etwas handelt, das womöglich zutreffend sein könnte, dann stellt sich hier gleich eine nächste Frage: Warum geben sich Nationalisten als Kommunisten aus, warum haben diese Nationalisten zumindest zeitweise geglaubt, Kommunisten zu sein? Anders gefragt: Was machte den Kommunismus für diese jungen Nationalisten so attraktiv?
Hồ Chí Minh, der Anführer der vietnamesischen Kommunisten und ihrer Armee im Kampf erst gegen die japanischen Besatzer, dann gegen die französische Kolonialarmee, zum Schluss, als Staatspräsident von Nord-Vietnam, gegen die amerikanischen Truppen, hat als junger Mann zehn Jahre in Frankreich verbracht, der Kolonialmacht in Indochina. Er wurde in Paris zum Kommunisten. Bei Wikipedia wird dieser Wandel in einer doch erstaunlich relativierenden Weise ausgedrückt:
„Seine Sympathie für Sozialdemokratie und Marxismus speiste sich aus der Antipathie gegen die europäischen Kolonialherrscher, deren Herrschaft aus seiner Sicht auf Kapitalismus und Imperialismus beruhten.“
Als ob es sich dabei um Sympathie und Antipathie und nur eine, seine Sichtweise handeln würde, die von dem jungen Nguyễn Ái Quốc, aus dem Hồ Chí Minh werden sollte. Mal abgesehen davon, dass Millionen diese Sichtweise geteilt haben, dürfte sie auch zutreffend gewesen sein. Dass ein vietnamesischer Nationalist, der nach einem souveränen Vietnam strebte, Kommunist wurde, ist so erstaunlich wohl doch nicht. Auch Tschou En Lai, der spätere Ministerpräsident der Volksrepublik China, war als junger Mann in Frankreich, und dann auch in England, Belgien und Deutschland, und hat dort den expansiven Kapitalismus in den Staaten kennengelernt, die als imperialistische Mächte auftraten. Auch ihn hat dies zum Kommunisten gemacht. Und für beide gab es dann die kommunistische Sowjetunion, die in Moskau ansässige Dritte Internationale, von der Hilfe im nationalen Befreiungskampf zu bekommen war.
Schlagwörter
Es gibt politische Kräfte, die im Staat mitwirken, bestimmte Teilaspekte in die Politik eines Staates einbringen können, und es gibt andere Parteien, die können Staat machen, einen Staat auch übernehmen. Und dies hängt, interessanterweise, nicht unbedingt von ihrer Größe, der Anzahl ihrer Mitglieder ab, wie man an der kleinen Kaderpartei der Bolschewiki sehen kann, die befähigt war, im großen Russischen Reich die Macht an sich zu reißen, sie sich im anschließenden Bürgerkrieg zu sichern. Es kommt dabei wohl eher auf den Organisationsgrad einer solchen Partei an, auf ihre bedingungslose Entschlossenheit, ihr Machtstreben. Auf das Bewusstsein, auch schon dann eine politische Macht zu sein, wenn man noch in der Opposition, in der Minderheit ist.
Und es kommt auf die von einer Partei vertretene Ideologie an, auf deren Kraft und Stärke, die auch die einer totalen Verblendung sein kann. Darauf, ob in dem Glauben, den eine Partei antreibt, der Impuls vorhanden ist, den Staat zumindest umzukrempeln, wenn nicht mehr. Die Idee, die dann zur materiellen Gewalt wird, wenn die Massen von ihr ergriffen werden. Die Macht, die dann auch aus den Gewehrläufen kommt. Fahnen, um die sich eine Truppe versammeln kann. Schlagworte, die nicht nur Worte bleiben wollen, sondern Worte, mit denen der Feind zu schlagen ist. Überzeugungen, die durch das eigene Opfer bezeugt werden. Propaganda, die dann zur Propaganda der Tat wird. Theorien, die sich in der Praxis bewahrheiten.
Ideologien werden bei einer solchen Herangehensweise nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft, nicht darauf, ob ihre Annahmen richtig, die in ihnen vorgebrachten Argumente stichhaltig sind, sie werden als Hilfsmittel im politischen und auch im militärischen Kampf gesehen. Als geistige Waffen, als Überzeugungen, die denen, die einen solchen Kampf kämpfen, Überzeugungskraft geben, sie bestärken, Niederlagen einzustecken und dann trotzdem weiterzumachen. Entschlossenheit, Härte, die Anwendung übler Mittel und Methoden, die von Gewalt – jenseits moralischer Maßstäbe betrachtet, als das, was stark macht.
Ideologien werden hierbei als Systeme von Ideen angenommen, die miteinander in einen ihren Anhängern logisch erscheinenden Zusammenhang gebracht worden sind, als Ideenbündel, die so zwingend erscheinen, dass sie die, die sie nachvollziehen können, zur Tat drängen. Auch dazu, ihre Zeit, ihren Beruf, ihre Karriereaussichten, ihre Freiheit und oft genug auch ihr Leben dafür zu opfern. Ideologien werden so gesehen, nicht als etwas genommen, das unbedingt den Interessen derjenigen entspricht, die sich für sie engagieren, nicht als mit dem übereinstimmend, was diese Menschen mit den gegebenen Verhältnissen unzufrieden macht, sie dazu antreibt, diese Verhältnisse zu verändern. Sie sind Mittel, die im Angebot sind, die herumgeistern, die schon da sind, und die von denjenigen, die zu politischen Akteuren werden wollen, aufgegriffen werden. Ob sie nun so passend sind oder nicht.
Schlag auf Schlag
Rohstofflieferant, Bodenschätze, die nicht im eigenen Land verarbeitet werden, Mienen im Besitz ausländischer Konzerne.
Landwirtschaftliche Erzeugnisse für den Markt der Industrieländer, ganz unfair gehandelt, Monokulturen, die ein Land dem Weltmarkt ausliefern.
Absatzmarkt für billige Industrieprodukte.
Reservoir für Menschenmaterial: Sklaven, Zwangsarbeiter, Fremdarbeiter, Soldaten, die von den Kolonialmächten im Ersten und im Zweiten Weltkrieg auf den europäischen Schlachtfeldern verheizt wurden.
Die lateinamerikanische Erfahrung
Der Nationalist, der für sein Land die staatliche Souveränität wollte, auch die, Firmen enteignen zu können, die einem internationalen, in Lateinamerika meist einem US-amerikanischen Konzern gehörten, Plantagen, die im Besitz der United Fruit Company waren, musste sich nach etwas umsehen, das ihm helfen könnte, sein Ziel zu erreichen. Auch nach geistigen, ideologischen Waffen, um seine Kräfte mobilisieren zu können. Der christliche Glaube wars nicht, die Heilige Katholische Kirche war auf der Seite der Diktatoren, die ihre Staaten von den USA abhängig gemacht hatten. Die Katholische Kirche stand erst auf der Seite der Unterdrückten, der aufbegehrenden Arbeiterklasse, als es in Polen gegen den Kommunismus ging.
Die Menschenrechte einfordern? Wer’s tat, wurde von der Polizei abgeholt und verschwand in einem Folterkeller, auf dass er dort lerne: So viel zählen die Menschenrechte doch nicht. Die demokratisch regierten Staaten, die sich auf die Menschenrechte beriefen, drückten bei den eigenen, den anti-kommunistischen Schweinehunden die Augen zu. Gefordert wurde die Einhaltung der Menschenrechte nur gegenüber den Staaten des Ostblocks. Dass man sich auf die Demokratie berufe, sie in diesen undemokratisch regierten Staaten auch für sich fordere? Vergebens. Jeder demokratisch gewählte Präsident, der den US-amerikanischen Interessen zuwiderhandelte, wurde umgehend als Kommunist verdächtigt und dann mit Hilfe der CIA aus dem Amt gejagt. Von einer Militärjunta abgelöst. Fidel Castro warf man vor, ein Diktator zu sein, seinem Vorgänger Batista hatte man es nicht vorgeworfen.
Eine paradoxe Situation: Diktatoren hatten immer wieder die wirtschaftlichen Interessen der USA in den lateinamerikanischen Staaten abgesichert, jede demokratische Regierung, die die Interessen ihres eigenen Landes verfolgen wollten, war mit Hilfe der CIA weggeputscht worden, die Demokratie hatte sich immer wieder als untaugliches Mittel erwiesen, von den USA unabhängig zu werden – Fidel Castro, der genau dies, und erst einmal nur dies wollte, musste eine Diktatur errichten, damit Kuba dies werden kann: ein souveräner, von den USA unabhängiger Staat.
Castro war kein Kommunist, als er den Guerillakampf gegen die Diktatur von Batista begann, sein Ziel war nicht der Kommunismus in Kuba, er verbündete sich erst nach der siegreichen Revolution mit der kleinen und doktrinären Kommunistischen Partei Kubas, die ihre Basis in den Städten hatte, die dem klassisch-marxistischen Modell einer Revolution des Proletariats anhing, und die deshalb seinen Weg eines Krieges der Bauern abgelehnt hatte. Und er tat dies erst nach der von der CIA unterstützten Invasion in der Schweinebucht, von den Kubanern zurückgeschlagen, nachdem die USA ein Wirtschaftsembargo über Kuba verhängt hatte, den Kubanern ihren Zuckerrohr nicht mehr abkaufen wollten.
Es war sicher beides: die Erkenntnis, dass die kubanische Revolution die Eigentumsverhältnisse ändern müsse, um sich dieser kapitalistischen Macht im Norden zu erwehren, die Castro zum Kommunisten werden ließen, und weil sich die Sowjetunion anbot, Kuba das Zuckerrohr abzukaufen, das Land wirtschaftlich zu unterstützen. Auch Castro also ein Nationalist, der zum Kommunisten wird. Vierzig Jahre später bricht die Sowjetunion zusammen, Kuba gerät in eine schwere Wirtschaftskrise, aber die Diktatur überlebt diese Krise, zum Erstaunen vieler, sie hält auch nach dem Rückzug Castros von der Regierung stand, sie überlebt seinen Tod, es gibt sie immer noch. Trotz der Armut, der Unfreiheit, trotz der von der Regierung zögerlich eingeleiteten Reformen, die immer weniger vom kubanischen Sozialismus übriglassen, die bisher jedenfalls eine Dynamik nicht haben in Gang setzen können, die die Diktatur hinwegfegt. Warum? Weil die Legitimation des Regimes noch intakt ist, weil keiner die Gringos wieder zurückhaben will, die Macht der US-amerikanischen Konzerne. Der kubanische Nationalismus ist immer noch eine Kraft.
Das iranische Beispiel
Wer in den 70er-Jahren an einer West-Berliner Universität studiert hat, oder gar wie ich an der Hochschule der Künste, kam nicht umhin, sich mit dem Terror im Iran konfrontiert zu sehen – sei es auch nur, dass man vielleicht etwas ungehalten die vielen Flugblätter mit den drastischen Schilderungen der Folter in den Gefängnissen des SAVAK, des iranischen Geheimdienstes, vom Tisch der Mensa schieben musste, um Platz für den Teller zu haben.
An den iranischen Studenten, die einem die Protestresolutionen hinhielten, die man unterschreiben sollte, obwohl völlig nutzlos, obwohl ohne alle Auswirkungen auf die Politik der westdeutschen Regierung gegenüber dem verbrecherischen, dafür aber ordentlich anti-kommunistischen Schah-Regime, war moralisch nicht ganz so einfach vorbeizukommen. Es gab auch etwas zu lernen: dass der 1951 in einer demokratischen Wahl an die Macht gekommene Mohammed Mossadegh nach der Verstaatlichung der Anglo-Persian Oil Company mit Hilfe der amerikanischen und englischen Geheimdienste gestürzt worden war. Mit demokratischen Mitteln ging es also nicht. Blieb nur die Revolution.
Aber ich hatte auch noch das Glück, ein paar Iraner kennenzulernen. Besonders diesen einen Ingenieurstudenten, dessen Familie in Teheran der unteren Mittelschicht angehörte – mit welchen Illusionen er nach Deutschland gekommen war, er gestand es mir, nachdem wir uns näher kannten: Freiheit, Wohlstand, und auch der, er würde am Bahnhof Zoo bei seiner Ankunft von einer großen deutschen Frau mit blonden Locken erwartet, die ihn mit zu sich nach Hause nimmt. Er stand dann auf dem Bahnsteig in der Menge, wartete, bis sie sich gelichtet hatte, aber die Frau seiner Teheraner Träume blieb nicht übrig. Stattdessen wurde er unten im Bahnhof zum ersten Mal ausländerfeindlich beschimpft – er verstand die Worte nicht, aber er verstand die Botschaft.
Links wurde er erst nach ein paar Jahren Bekanntschaft mit dem Leben in der freien Welt, und nachdem er sich mit der Geschichte seines Landes beschäftigt hatte. Und mit seiner Gegenwart. Dem Widerstand der viel zu Wenigen, die gegen das Schah-Regime gekämpft haben: in den Kerkern des SAVAK endend, gefoltert, ermordet. Er hat es dann bei seinen Besuchen in Teheran aufgegeben, seine Freunde zu agitieren, sie auch über sein elendes Leben in der westlichen Wohlstandsgesellschaft aufzuklären – sie wollten es ihm nicht glauben.
Er studierte fleißig, er arbeitete nebenbei in einer Aufzugsfirma, um sein Studium finanzieren zu können. Er wollte Ingenieur werden, und der Schah hätte sicher Verwendung für ihn gehabt. Aber er politisierte sich, er radikalisierte sich auch immer mehr. Sein Weg zurück in den Iran hätte auch ihn in den Untergrund führen können. Doch dann hatte er Glück: Er fand eine Frau. Sie war nicht blond, sie hatte dunkles Haar. Sie war auch nur halb eine Deutsche, und er fand sie nicht am Bahnhof Zoo, nicht in West-, sondern in Ost-Berlin.
Er arbeitete noch mehr, rackerte sich ab, um einen Fluchthelfer bezahlen zu können, der sie von Ost nach West schleusen kann. Aber dann schaute er sich die Landkarte an, das Berliner Umland, und er fand einen Fluchtweg, der ihn nur einen kurzen Umweg und kein Geld kostete. Keiner war wohl bisher darauf gekommen. Er machte eine Probefahrt, es gab keine Probleme, auch dann nicht, als er die Frau, die er liebte, die ihn liebte, im Kofferraum hatte. Ein fähiger Mann. Die Volksmudschahedin hätte sicher für ihn Verwendung gehabt.
Aber dann vergingen nur ein paar wenige Jahre und im Iran begann die Revolution. 1979. Eigentlich ganz klassisch: Straßenproteste, Massendemonstrationen, die bewaffnete Macht weicht vor dem Aufruhr zurück, das Militär übernimmt die Regierung, aber es nützt nichts mehr, die Verbündeten des Schah, die USA, Frankreich, Großbritannien, die Bundesrepublik Deutschland, lassen ihn fallen. Der Schah flieht in einem von ihm selber gesteuerten Flugzeug aus dem Land – er traut der eigenen Luftwaffe nicht mehr. Sein letztes Statement vor dem Abflug am 16. Januar: „Ich bin müde und brauche eine Pause.“
Zwei Wochen später, am 1. Februar, kehrt Ruhollah Chomeini aus dem Pariser Exil zurück, ein Jahr zuvor noch in der staatlichen iranischen Presse als kommunistischer Verschwörer geschmäht, und wird auf dem Flughafen in Teheran von begeisterten Massen begrüßt. Wer sich auch nur ein bisschen mit der Geschichte von Revolutionen auskennt, denkt dabei natürlich an Lenin, an seine Rückkehr aus dem Schweizer Exil, seine Ankunft am Finnischen Bahnhof in Petrograd im April 1917, aber damit enden auch schon die historischen Parallelen.
Wenn Revolution gut sein soll, trotz der oft unangenehmen Nebenwirkungen, eine Lokomotive der Geschichte, die eine Gesellschaft auf den Gleisen des Fortschritts voranbringt, dann haben wir hier natürlich ein Problem. Ein Verständnisproblem zumindest. Neben den vielen Problemen, die wir mit dem Iran sonst noch haben mögen. Dann wäre ja die Weiße Revolution, die der Schah Reza Pahlavi 1963 verkündet und dann mit dem Ziel vorangetrieben hat, sein Land zu modernisieren, die Revolution, wenn auch eine von oben, gewesen, gegen die sich die islamische Revolution von 1979 gerichtet hat, und damit eigentlich eine Konterrevolution. Aber das sind unsere Maßstäbe, die des Westens, auch die der Linken im Westen. Es hat vor der erst feudalistischen, dann absolutistischen Herrschaft der Schah im Iran nie eine Theokratie gegeben, keinen Mullah-Staat, kein islamisches Regime. Also stimmen unsere Maßstäbe nicht – wieder mal.
Versteht man die islamische Revolution dagegen als einen Kampf um Souveränität, um staatliche Selbstbestimmung und Unabhängigkeit, dann sieht es ganz anders aus, dann wird der Islam, der politische Islam, der Islamismus zu einem Mittel, dem stärksten im Iran dieser Zeit verfügbaren, zu einer Ideologie, die die Kraft mobilisiert, dieses Ziel zu erreichen. Zu einer Kraft auch, die vielleicht noch nicht verbraucht ist, trotz der vielen Demonstrationen und Aufstände gegen das theokratische Regime in der aktuellen Gegenwart. Solange die Alternative darin besteht, sich als Staat dem Westen preisgeben zu müssen, die errungene Souveränität wieder einzubüßen.
Ein CIA-Agent hat über seine Zeit als Instrukteur beim Aufbau des SAVAK gesagt: „Das Foltern mussten wir den Iranern nicht beibringen, das war bei ihnen Tradition. Was wir ihnen beizubringen versucht haben, war, bei einer Untersuchung, einem Verhör auch mal ohne Folter zu einem Ergebnis zu kommen.“ Die Tradition der Folter setzt sich in der Islamischen Republik Iran fort – nur, dass wir im Westen uns nun darüber aufregen. Zu Recht, aber mit wenig Berechtigung. In den Zeiten des Schah hat die westdeutsche Regierung dagegen nicht protestiert. Und sie hat auch nichts verlauten lassen, als unsere amerikanischen Freunde im Nachbarland Irak selber gefoltert haben. Sanktionen gegen die USA wurden damals nicht gefordert.
Der Weltgeist, den es so universell nur beim deutschen Philosophen Hegel gibt, greift als vietnamesischer, kubanischer, iranischer Lokalgeist nach dem, was sich ihm anbietet, nach dem, was ihm staatliche Unabhängigkeit verspricht. Und das kann der Kommunismus sein, das kann aber auch der Islam sein. Im 14 Punkte umfassenden Forderungskatalog der islamischen Opposition vom Dezember 1977 findet sich auch diese, die in unserem Zusammenhang hier entscheidende Forderung: Unabhängigkeit vom internationalen Kapitalismus.
Auch der religiöse Glaube kann also zu einer Ideologie werden, bleibt er nicht Privatsache, verlangt er von seinen Anhängern Handlungen, die politische Auswirkungen haben. Auf dem Glauben können Weltreiche errichtet werden, die Religion kann ein Mittel der politischen Unterdrückung werden, auch zu einer Kraft des Widerstands gegen einen Unterdrücker, sie kann zum Heiligen Krieg aufrufen, sie kann helfen, Gut und Böse voneinander zu unterscheiden, und die Bösen sind dann die Ungläubigen, die Andersgläubigen, die zu vernichten sind.