Deutsche Oper: Erich Wolfgang Korngolds „Wunder der Heliane“ wird gefeiert

In einem Land, wo die Menschen zum Lachen in den Keller gehen, weil der schlechtgelaunte Herrscher üble Laune auch von seinen Untertanen wünscht („Wer küsst, vor’s Beil!“), sitzt ein Mann aus der Fremde im Kerker, weil er Lachen und Lust gepredigt hatte. Die schlechte Laune des Königs, so lernt man schnell, nährt sich aus dem Gefühl sexueller Frustration: Die Königin will ihn nicht, dürstet aber − auch für sie herrscht ja libidinöse Ebbe − umso stärker nach dem Fremden, den sie im Kerker besucht. „Aus Mitleid“, wie sie sagt, überlässt sie ihm zuerst ihr Haar, bald das Füßchen und am Ende auch noch den freien Blick auf ihren entblößten Leib.

Nackt zum Beten

Dann ist Schluss mit lustig. Schnell geht die Königin in die angrenzende Kapelle zum Beten (irgendwie wurde ja doch ein bisschen gesündigt), weil’s so schnell gehen muss, kann sie sich nicht erst anziehen, und weil die Königin außerdem über dem Beten vergisst, dass sie nackt ist, kommt es endlich zur bösen Szene, als der Gemahl noch einmal in der Kerkerzelle bei seinem Gefangenen vorbeischaut und die eigene Frau so herumspringen sieht, wie er sie nie vor seine Augen bekommen hat.

Skandal! Ehebruch! Der Freudenmann aus der Fremde nimmt sich das Leben, die Königin soll ihn auferwecken zum Beweis, dass sie doch keine Hure ist, sondern eine Heilige, die Auferweckung gelingt − revolutionäre Lehre! − genau beim Gegenteil: Nachdem sie zugibt, ganz und gar keine Heilige zu sein. Der König streckt sie nieder, am Schluss, zur gemeinsamen Apotheose mit dem fremden Freudenmann ist sie wieder rechtzeitig bei Kräften.

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Wer macht aus solch einem Stoff eine Oper? Erich Wolfgang Korngold. 1927 feierte in Hamburg die Uraufführung seines „Wunder der Heliane“ Premiere, ein Jahr später wurde das Stück in Berlin an der „Städtischen Oper“ Charlottenburg nachgespielt, danach verschwand es in der Versenkung. Eine Studioaufnahme im Jahr 1992 brachte das Stück wieder in Erinnerung, in den vergangenen Jahren gab es mehrere konzertante und auch szenische Aufführungen. Nun besinnt sich mit der Deutschen Oper erstmals wieder eine große Bühne dieser Oper Korngolds, der später vor den Nazis fliehen musste. Hat das neue Interesse irgendetwas zu bedeuten?

Befreiung von Erotik und Sexualität

Der überliefertermaßen kühlen Resonanz des Uraufführungspublikums nach − für „Die tote Stadt“ war Korngold noch gefeiert worden − konnten die Menschen damals offenbar schon nicht mehr allzu viel mit dem Stück anfangen. Wunder- und Geisterglaube, die Faszination für Gurus, die Befreiung von Erotik und Sexualität und ihre bigotte Verschmelzung mit dem Bereich des Religiösen: 1904, gut zwanzig Jahre zuvor schon, hatte Thomas Mann mit seiner Erzählung „Beim Propheten“ eine solche Welt aus Schwülheit und Bizarrerie beschrieben. In München hatte er sie erlebt. Die Esoterik seiner Zeit nahm Thomas Mann damals aufs Korn mit böser Ironie − Korngold folgte ihr offenbar ungebrochen, vielleicht in der Hoffnung, den Geschmack eines großen Publikums zu treffen.

So vertonte er also mit „Heliane“ ein Mysterienspiel des österreichischen Kleingurus Hans Kaltneker mit ganzem Brimborium: Ein Riesenorchester sitzt im Graben, ein Riesenchor steht im letzten Akt auf der Bühne (in der Premiere am Sonntagabend laut wie eh und je: der Chor der Deutschen Oper). Düster grollt es im Orchester, die Harfen rauschen, das Glockenspiel bimmelt, dicht tummeln sich die Mittelstimmen, die dem Orchesterklang Fleisch und Fett liefern. Jedoch ist hier so viel Fleisch, dass den Sängern auf der Bühne meist nichts anderes übrigbleibt, als zu brüllen.

Nicht immer ist Marc Albrecht, der Dirigent der Produktion, so klug, die Klangmassen zu dämpfen. Vielleicht wäre das ja auch Verrat am Werk. Emphatisch führt er also durchs Stück hindurch und wartet auf jene wenigen Stellen, an denen der Komponist sich selbst abkühlt: Am Schluss etwa beim Duett des großen Liebespaars. Dann spielt die Oboe bukolisch und das Glockenspiel klimpert bitonal. Das klingt so ungescheut nach „Rosenkavalier“, dass man getrost ein Plagiat vermuten darf; auch Tristan und Isolde lugen nur spärlich verkleidet aus der Partitur heraus.

Keine Rettung

So schlimm sie gefordert werden, gehören die Sängerinnen und Sänger doch zum Erfreulichen des Abends: Sara Jakubiak als Heliane mit weiß strahlendem Sopran, dem man gerne das Totenerwecken zutrauen würde, Brian Jagde als „Fremder“ hält mit Wucht dagegen und darf leider nur selten die warme Tönung seiner Stimme im Leisen zeigen, Derek Welton singt den „Pförtner“ mit einnehmender Eloquenz. Christof Loy als Regisseur bringt die Handlung des Stückes gleichsam eins zu eins auf die Bühne: ohne Zutat, handwerklich sicher. Johannes Leiacker baute ihm einen holzgetäfelten Gerichtssaal als Bühne, sie wirkt dadurch so austauschbar wie seriös. Auch stecken alle Männer in Anzügen. Seriosität, so hat man hier richtig erkannt, kann Korngolds „Heliane“ gut gebrauchen. Retten kann es das lärmende Stück nicht.

Die Premiere wurde übrigens so begeistert gefeiert wie lange keine mehr in Berlin. Sänger, Regisseur, Dirigent: Der Jubel wollte kein Ende nehmen. Nicht das leiseste, schüchtern in die Hand geblökte Buh war zu hören. Das war das größte Wunder dieses Abends.