Deutscher Filmpreis: Monika Schindler erhält die Auszeichnung für ihr Lebenswerk

Ende  nächster Woche erhält Monika Schindler den Deutschen Filmpreis für ihr Lebenswerk, und ein bisschen mulmig ist ihr schon. Denn vor mehr als Tausend Leuten zu stehen, im Scheinwerferlicht, und eine launige Dankesrede zu halten, das kann für jemanden, der sonst eher im kleinen Kreis und in abgedunkelten Räumen arbeitet, eine heftige Herausforderung sein. Monika Schindler ist Schnittmeisterin, oder, wie man heute sagt: Filmeditorin. Sie hat weit über hundert Spiel-, Dokumentar- und Fernsehfilme montiert, viele Jahre bei der Defa, dann auf dem freien Markt.

„Film ist mein Leben“, sagt sie. „Wenn ich arbeite, empfinde ich ein großes Glück.“ Ihr Geheimnis liegt in dieser unendlichen, unstillbaren Liebe. Wenn es sein muss, übernachtet sie im Schneideraum. Manchmal isst sie dort kiloweise Schokolade, die beste Nervennahrung und unbedingt nützlich, um aus problematischem Material einen guten Film zu machen. Und, wie Regisseur Andreas Dresen erzählt: „Sie verzichtet sogar auf Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft.“ Das will schon was heißen, denn Fußball  ist neben Kino ihre zweite Leidenschaft.

Mutig und pflichtbewusst

Monika Schindler ist Berlinerin, Jahrgang 1938. Im Krieg verschlug es sie ins Sudetenland. Als sie mit sieben wieder zurück in ihre Heimatstadt floh, wurden ihre Hände von einem Güterzug überrollt. Ein schrecklicher Unfall, der ihre Berufswahl später erheblich einschränkte. Ihr Traumberuf Ärztin: Undenkbar. Juristin oder Lehrerin, was möglich gewesen wäre, roch ihr, in der frühen DDR, zu sehr nach staatlicher Einflussnahme. Auf die Empfehlung, Radiosprecherin zu werden, klopfte sie beim Rundfunkkomitee an. Dort suchte man gerade Toncutter für Hörspiele. Monika Schindler, geboren im Sternbild des Steinbocks, laut Horoskop also mutig und pflichtbewusst, traute sich das zu, trotz ihrer Hände. Doch Bedingung war, die Berliner Westsektoren zu meiden.

Das ging nun gar nicht, denn: „Meine Oma, die ich über alles liebte, wohnte am Gesundbrunnen. Die konnte ich doch nicht für einen Lehrvertrag aufgeben.“ Über den Rundfunk kam sie zur Defa; die Filmfirma verbot den Zutritt zum Westen nicht. Noch vor ihrem Studium begann sie eine Lehre in der Fotoabteilung, durchlief Stationen im Kopierwerk und im Schneideraum, lernte mit Negativ und Positiv umzugehen, das Licht zu bestimmen, Filme vorzuführen. Und saß plötzlich neben Cutterinnen, die schon in der Stummfilmzeit Filme geschnitten hatten und ihr von Fritz Lang und Hans Albers erzählten.

Heute ist sie selbst voller Geschichten, die sie gern lachend zum Besten gibt. Über Schauspieler und Regisseure, Zauderer und Zupacker, Eitle und Schüchterne, Liebe, Tod und Teufel. Über die große Politik und wie die immer mal wieder ins Privatleben eingriff. Als die Mauer gebaut wurde, musste Monika Schindler aus Ost-Berlin um den Westen herum nach Babelsberg fahren, zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Viel zu lang für jemanden, der sich um eine kleine Tochter zu kümmern hatte. Schnell kam die rettende Idee.  Der Regisseur Günter Reisch erinnerte sich in seinen Memoiren, wie sie „chic und springlebendig in Schönefeld stand, wo die Doppelstockzüge fuhren. Aber Monika stand selten auf dem Bahnsteig, sondern an der Landstraße, und selten fuhr mehr als ein Auto achtlos an ihr vorbei.“ Als Tramperin lernte sie die halbe Defa  kennen, viele Kolleginnen und Kollegen absolvierten täglich dieselbe Weltreise.

Sie konnte sich die Regisseure auswählen

Ab 1967/68 hatte Monika Schindler ihren eigenen Schneideraum, gehörte zu den rund vierzig fest angestellten Schnittmeisterinnen des Spielfilmstudios. Ein Team, das damals noch Kollektiv hieß und in dem sie sich wohl und aufgehoben fühlte. „Viele von uns waren im selben Alter. Wir waren zur gleichen Zeit verliebt, kriegten zur gleichen Zeit unsere Kinder und wurden dann auch zur gleichen Zeit Großmütter.“ Wer im Studio einen gewissen Stand hatte, so wie sie, konnte sich die Regisseure auswählen, meistens jedenfalls. Am liebsten arbeitete sie mit denen, von denen sie was lernen konnte, den Klugen, Belesenen, Sensiblen. „Ich wollte an guten Büchern mitarbeiten, mit einem Regisseur, der nicht dem Alkohol zugetan war und möglichst keine Zigarren rauchte. Denn dann wurde mir schlecht.“

Egon Günther engagierte sie 1966 für seine Komödie „Wenn du groß bist, lieber Adam“. Der Film  wurde verboten und kam erst nach dem Mauerfall ins Kino. Später  schnitt sie für ihn „Stein“  und „Die Braut“, und weil das ein Film über Goethe war, erfuhr sie von Günther fast alles, was der über den Dichter wusste. Herrmann Zschoche, mit dem sie 1980 unter anderem an „Bürgschaft für ein Jahr“ arbeitete, lobt: „Ihr Schnitt stimmt auf die halbe Sekunde.“ Und Roland Gräf schätzt „ihr sicheres Gespür für Rhythmus. Ihre Musikalität. Ihre unglaubliche Virtuosität. Ihren souveränen Überblick über Bild, Sprache, Geräusche, Musik. Und ihren Einfallsreichtum, wenn es darum ging, aus Notlösungen noch das Bestmögliche zu machen.“ Alle zehn Filme von Gräf tragen ihre Handschrift: von „Mein lieber Robinson“ aus dem Jahr 1970 bis zur „Spur des Bernsteinzimmers“ von 1990. 

Ein Anruf von Andreas Dresen

Nach dem Ende der Defa  standen die Schnittmeisterinnen auf der Straße, wie das gesamte künstlerische Personal. Keine von ihnen hatte gelernt, sich freischaffend durchs Leben zu schlagen, die meisten fanden nie wieder Anschluss. Monika Schindler aber hatte das Glück, gerufen zu werden, von Ula Stöckl und Helma Sanders-Brahms, bald auch von jüngeren Regisseuren wie Gordian Maugg, für dessen „Hans Warns – Mein 20. Jahrhundert“ sie 1999 den Filmpreis Lola erhielt. Als die klassischen Schneidetische abgeschafft wurden und an ihre Stelle Computer traten, lernte sie noch einmal um, übte wochenlang bei einem Produzenten, der ihr das learning by doing kostenlos ermöglichte. Zur selben Zeit rief Andreas Dresen an. Der kannte sie von seinen „Nachgestalten“   und drehte gerade „Die Polizistin“, seinen ersten digitalen Film. „Kannst Du den schneiden“, fragte er. – „Können ist zu viel gesagt, antwortete sie, aber ich weiß, wie’s geht…“

Es geht bis heute, fast pausenlos. Nicht mehr im großen Studio, aber in vielen Film-Manufakturen, in Fabriketagen, manchmal sogar in Wohnzimmern, mit Regisseurinnen und Regisseuren, die ihre Töchter und Söhne sein könnten. Noch immer sagt Monika Schindler, sie habe den schönsten Beruf der Welt: „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, jemals als Pensionärin zu Hause zu sitzen.“

Demnächst wird ihr neuer Film  „Fremde Tochter“ in die Kinos kommen, die Liebesgeschichte zwischen einer 17-jährigen Deutschen und einem Moslem, die Regie führt  Stephan Lacant. Wieder ein Film, der von ihr in Form und Rhythmus gebracht wurde. Und für den sie manches Fußballspiel hat sausenlassen.