Es ist lange her, dass eine kulturpolitische Meldung solchen Wirbel verursachte: Laut RBB-Inforadio hat Ulrike Kretzschmar, Sammlungsleiterin und stellvertretende Präsidentin des Deutschen Historischen Museums (DHM), mit sofortiger Wirkung die Amtsgeschäfte von dessen Präsident Alexander Koch übernommen. Koch werde nach fünf Jahren im Amt seinen Posten wieder verlieren. RBB-Info beruft sich auf Informationen aus dem Haus selbst. Die Meldung wurde erst kurz vor Ende der Dienstzeit in Presse- und Museumsabteilungen öffentlich. So gewinnt man einen Tag Reaktionszeit.
Keine direkte Bestätigung
Eine direkte Bestätigung aus dem Museum oder von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters, der das DHM als Bundesstiftung zugeordnet ist, war am Mittwoch nicht mehr zu erhalten. Der Sprecher von Grütters teilte lediglich mit, dass am Dienstag eine Sitzung des DHM-Kuratoriums stattgefunden habe, auf der auch „Personalangelegenheiten“ debattiert worden seien.
Das ist wahrlich kein eindeutiges und scharfes Dementi, wie es bei einer Fehlmeldung dieser Bedeutung einzig angemessen wäre. Es geht schließlich um die Zukunft des mit dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg wichtigsten Museums für deutsche Geschichte. Deswegen ist sein Kuratorium auch zu je einem Drittel mit Vertretern des Bundestags, der Bundesregierung und der Länder besetzt.
Schon dass Alexander Koch im Jahr 2014 keinen Dauervertrag erhielt, sondern nur einen auf fünf Jahre befristeten Vertrag, war ein Zeichen, dass die Politik nicht zufrieden ist mit dem Zustand des DHM und seiner Wirkung. Dabei war Koch bei seiner Berufung im Herbst 2011 durch den damaligen Kulturstaatsminister Bernd Neumann allgemein als Reformchance des DHM begrüßt worden.
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1966 in Bremen geboren, hatte Koch nach dem Studium von Klassischer Archäologie, Geschichte und Vor- und Frühgeschichte und diversen Wissenschaftler- und Kuratorenstellen seit 2005 das Historische Museum der Pfalz geleitet. Seine Ausstellungen dort entwickelten sich zu Publikumsrennern. Ein Mann mit Ehrgeiz und Gespür für aktuelle Themen, dachte man.
Doch in Berlin nahm die Kritik beständig und aus allen Richtungen zu. Er war 2011 berufen worden, um die als veraltet geltende Organisationsstruktur des DHM zu reformieren. Bisher sind die Erfolge minimal. Seine Sonderausstellungen wurden nur selten freundlich besprochen – meist dann, wenn das DHM wie bei dem großen Projekt über sexuelle Identitäten und Selbstbilder mit anderen Institutionen zusammenarbeitete.
Meist aber verfielen sie dem Verdikt, intellektuell und historisch flach sowie zu sehr auf Einzelpersonen ausgerichtet zu sein und die Sammlungen des Hauses nicht strahlen zu lassen. Auch die Dauerausstellung, die um 2000 konzipiert wurde und weithin als überfrachtet und labyrinthisch, vor allem aber als total veraltet gilt, hat sich in unter seiner Ägide kaum verändert. Andererseits finden viele gerade dieses Labyrinthische, dieses Suchen nach dem eigenen Weg durch die Geschichte attraktiver als eine straff von Didaktikern und Museumskuratoren vorgegebene Sicht.
Noch massiver ist die Kritik an Koch innerhalb des Hauses. Es hat sogar einen Mediationsversuch gegeben, um die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Direktion wieder zu flicken. Moniert wird etwa, dass die Bedeutung der mehr als 900.000 Objekte umfassenden Sammlungen sich nicht ausreichend in den Ausstellungen des Hauses niederschlage, die wissenschaftliche Leistung der Mitarbeiter nicht gefragt sei, dass Entscheidungen hinaus gezögert würden, das Ausstellungsprogramm willkürlich sei und ohne eigenes Profil.
Eisenhart
Gleichzeitig reagiere Koch personalpolitisch eisenhart und ohne Kommunikationsbereitschaft auf alle Kritik. Doch hat er im Haus auch Anhänger, die etwa loben, dass sich mit ihm erstmals ein wirklich methodisches Interesse an der Museumsdidaktik gezeigt habe, er den Mitarbeitern Luft lasse für eigene Ideen, mit den Kollegen, die sich an ihn anpassten, gut zusammen arbeite. Kein Mensch ist ohne Ecken, wird hier über ihn gesagt.
Kochs großes Pfund in den bisherigen Debatten waren die steigenden Besucherzahlen. Doch scheinen sie nun den für das Haus verantwortlichen Bundespolitikern nicht mehr zu genügen. Schon die Übergabe der Amtsführung an Kochs Stellvertreterin ist ohne die Zustimmung der machtbewussten Kulturstaatsministerin Grütters undenkbar. Koch wurde zwar unter ihrem Vorgänger berufen. Doch hat sich ihr für das DHM zuständiger Abteilungsleiter Günter Winands über Jahre vor den umstrittenen Museumschef gestellt.
Genug Probleme
Kochs Probleme drohten zu solchen von Grütters zu werden. Dabei hat diese etwa mit dem Kunstschutzgesetz, der Raubkunstdebatte, der von Bauproblemen und einem viel zu geringen Betriebsetat geplagten Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Film- und Festivalförderung oder dem Humboldt-Forum im Berliner Schloss wahrlich genug Baustellen zu bewältigen.
Das DHM, mit 49 Millionen Euro jährlich immer noch vergleichsweise üppig finanziert, soll aus der Perspektive des Kanzleramts glänzen und keine Probleme machen. Doch es glänzt nicht und bereitet erhebliche Probleme. Also ist jetzt offenbar vom Kuratorium eine Situation hergestellt worden, die Koch trotz seines Vertrags eigentlich nur noch die Form des Abschieds frei stellt. Denn wie sollte ein Neustart aussehen nach dieser öffentlichen Demütigung?