Die „Joshua Tree“-Tour der Band U2 im Berliner Olympiastadion war trotz Dauerregens ein Erfolg
Fast hätte er es geschafft. Im strömenden Regen hatte Bono immerhin drei Viertel der guten zwei Stunden des U2-Konzerts schon hinter sich, als der Messianismus in der halben Zugabenstunde doch noch durchbrach und einen nachdenklich stimmenden Schatten auf die Performance warf.
Dabei hatte der Abend am Mittwoch im Olympiastadion eigentlich ganz flott begonnen. Nämlich mit einer humorvollen Demütigung des Britpoppers Noel Gallagher, der allen schon bei Oasis, der Neunziger-Rüpelband mit seinem Bruder Liam, auf die Nerven gegangen ist. Bono hatte seinen Trinkkumpan ins Vorprogramm gestellt, wo er mit seiner Band in dunkelgrauen Anoraks vor dunkelgrauen Partyzelten und mit Planen abgedeckten U2-Instrumenten spielte. Im leichten Regen sang er Eigenes und Oasis-Hits wie „Wonderwall“ und „Don’t Look Back in Anger“ (mit der vom Publikum geliebten Zeile „summertime’s in full bloom“).
Wie man als Popstar mit Naturgewalten umgehen kann, das erfuhr man wiederum bei der irischen Band durchaus eindrucksvoll: Scheinbar spontan und gut gelaunt reagierte Bono mit einem a capella gebrachten „Singing in the rain“. Das Publikum hatte der 57-Jährige zuvor schon mit einer auch deutsch gesungenen und von vielen tausend Handys beleuchteten Version von Bowies „Heroes“ angeflirtet; nun lagen ihm die 80.000 endgültig zu Füßen und ignorierten das Wetter wie ihren Held.
So verging der erste Teil, der mit einem sehr guten, lauten und umstandslos weggerockten „Sunday, Bloody Sunday“ losgegangen war. Die Band stand dabei auf einer kleinen Bühne im vorderen Publikum, wobei nur der Drummer Larry Mullen, jr. ein Plexiglasdach über seine Geräte bekam. Die Gitarren von The Edge – lässt sich der eigentlich auch jenseits von Bühne und Bono so anreden? – und dem Bassisten Adam Clayton funktionierten dagegen auch im schweren Regen, und The Edge spielte sogar ein kurzes, bemerkenswertes und auch emblematisches Solo im brausenden „New Year’s Day“.
Im Regen stand jedoch später auch die große Bühne, wo die Band im Hauptteil das berühmte „Joshua Tree“-Album zur Gänze spielen sollte. Es gibt ja auch der Tour den Namen, weil es dieses Jahr 30 Jahre alt wird. Der 25-Millionen-Seller beförderte nicht nur die Band aufs Superstar-Podest, sondern hob auch den Stadionrock in ungeahnte Höhen (was man so oder so finden kann). Ihre Variante beruht auf langgedehnten Gitarren- und Stimmlauten, prominent bollerndem Bass und wuchtigen Drums und gerade soviel Hall, dass es bis hinten reicht, aber den Rückweg nicht versperrt. Raffiniert.
Zu „Joshua Tree“ gehört politische Symbolik
Bono jedenfalls agierte zwei Stunden lang, als spüre er die Fluten nicht. Später vermutete man dahinter die Überzeugung, er könne auch darauf laufen; zunächst jedoch sah man ihm mit Respekt beim Stadionbeglücken zu und dem Regen im Gegenlicht starker Strahler beim pittoresken Peitschen.
Ab dem „Joshua Tree“-Teil wurde auch der lange Screen hinter der Bühne bespielt. Und zwar mit machtvollen Bildern aus dem Death Valley, wo die Joshua-Palmlilie wächst, von Anton Corbijn gefilmt, in fantastischer Auflösung projiziert.
Kurz musste man einen Bono-Anfall befürchten, als er beim Trab zwischen den Bühnen feierlich Martin Luther King rezitierte. Aber dann stand er, verwirrend bescheiden und klein, mit seiner Band vor den riesigen Naturaufnahmen.
Zu „Joshua Tree“ gehört natürlich die politische Symbolik. Es kommentiert die Reagan-Thatcher-Zeit der Achtziger – und fühlt sich, meinte Bono auf der Bühne, beunruhigend aktuell an. Dass sie es erst jetzt in ganzem Ausmaß begreifen, wie er auch sagte, mag angesichts von nicht so komplizierten Großballaden wie „With or Without You“ verwundern. Aber jedenfalls hörte man das Album doch interessiert bis gut mitgenommen, samt Höhepunkten wie „Red Hill Mining Town“, ein Stück zum Bergarbeiterstreik 1984, und dem aggressiven „Bullett the Blue Sky“ mit seiner Hendrix-Vietnam-Ästhetik.
Vor „Exit“ zeigte die Band einen Politlügner namens Trump aus einer Fernseh-Westernserie der 50er-Jahre (kein Fake!), und Bono hatte wie Sheldon Cooper Spaß mit Flaggen, der irischen, die er in Corbijns Wüstenfarben erkannte, und der amerikanischen, die unter anderem ein Leinwand-Cowgirl als Bikini (links Stars, rechts Stripes) trug. Aber doch: Man erkannte Kontext, es gab Meinung.
Aber man hatte natürlich geahnt, dass der U2-Frontmann nicht nur kommen würde, um das Stadion mit einem alten Album ein bisschen zu rocken und weiter auf den Tourumsatz in hoch dreistelliger Millionenhöhe (bisher 2,5 Millionen verkaufte Tickets) zuzusteuern – er wollte Vergebung und Jesus spielen. So sah man als tiefsinnigen Auftakt zur Schlussstrecke eines unterhaltsamen westeuropäischen Stadionkonzerts die natürlich anrührende Videobotschaft eines syrischen Mädchens, wonach zu Bildern der Zerstörung ihr Konterfei von ein paar tausend Menschen am rechten Rand des Olympiastadions als Transparent ausgelegt wurde und alle gemeinsam „Happy Birthday“ sangen.
Danach wurde Bono fröhlich von einer jungen Dame im engen – dann nass geregneten – T-Shirt zu „Mysterious Ways“ mit einer Kamera angetanzt, um folgend von der Kraft und dem Kampf der Frauen zu sprechen; zur Veranschaulichung zeigte die Bildwand gleich rund tausend davon, Marie Curie und Grace Jones, die Sufragetten und Patti Smith, Sophie Scholl, Polly Styrene und eine muslimische Fußballerin.
Der Schlussakt begann mit der schwungvollen Verkündigung von Bonos Stiftungsbilanz, wobei er nicht erklärte, ob seine Deals mit Apple, denen er das letzte Album „Songs of Innocence“ verkauft hatte, und Monsanto, die er mit Stiftungsförderer Bill Gates in Afrika unterstützt, mit einflossen. Darauf hielt Bono eine Predigt zur Weltrettung, die Billy Graham neidisch gemacht hätte. Dann steckte die Gemeinde hoffnungsvoll die Handys an und sang mit ihm die Stiftungshymne „One“. „Eine Liebe, ein Leben“ heißt es dort, „wir müssen uns gegenseitig tragen.“ Die meisten konnten Gott sei Dank alleine gehen.