Die neue Staffel von „Stranger Things“ ist da – und sie ist richtig, richtig gut

Auch die vierte Staffel der amerikanischen Teenie-Horror-Serie „Stranger Things“ erzählt vor allem vom Grauen des Erwachsenwerdens. Das muss man sehen!

Süßer Vogel Jugend: Eduardo Franco als Argyle, Charlie Heaton als Jonathan, Millie Bobby Brown als Eleven, Noah Schnapp als Will and Finn Wolfhard als Mike (von links).
Süßer Vogel Jugend: Eduardo Franco als Argyle, Charlie Heaton als Jonathan, Millie Bobby Brown als Eleven, Noah Schnapp als Will and Finn Wolfhard als Mike (von links).

Drei Jahre sind eine verdammt lange Zeit – in der Popkultur ist es geradezu eine Ewigkeit: Die Beatles haben es in drei Jahren von „Please Please Me“ zu „Tomorrow Never Knows“ gebracht, die Smiths in der gleichen Zeitspanne praktisch ihr Gesamtwerk eingespielt. Und nun kommt nach drei Jahren „Stranger Things“ wieder.

Als die dritte und bis dahin letzte Staffel der Teenie-Horror-Serie lief, war der 1. FC Union Berlin noch nicht in der Fußballbundesliga, Coronavirus bestenfalls als der Name eines Römers im damals aktuellen Asterix-Band ein Begriff, und ein Schauspieler und Kulturfunktionär mit Namen Wolodymyr Selenskyj wurde unter mäßiger Anteilnahme der Weltöffentlichkeit zum Präsidenten der Ukraine gewählt. Ach ja, und Netflix war noch frisch und cool und populär.

In gewissem Sinn stammt „Stranger Things“ also aus einem Land vor unserer Zeit – und die Frage ist nicht nur, ob sich das lange Warten gelohnt hat, sondern, ob es das Ganze überhaupt noch bringt. Schließlich sind auch die Zuschauer älter und weiter; das Setting im kleinstädtischen Amerika in den 80er-Jahren mochte die damals just 50 Jahre alt gewordene Babyboomer-Generation noch einmal von großen Haaren, großen Mänteln und großen Liedern träumen lassen. Aber nun?

„Stranger Things“: Einige Figuren verdampfen förmlich in der Hölle

Nun dürfen wir immerhin von einem Spektakel künden, das – zumindest im aktuellen TV-Angebot – seinesgleichen sucht. Die vierte und, nach Beteuerung der Macher, definitiv letzte Staffel von „Stranger Things“ benötigte eine Drehzeit von ganzen zwei Jahren, was am wenigsten mit der Pandemie zu tun hatte, und sie dauert annähernd doppelt so lange wie die vorangegangenen drei. Das Ganze wird in zwei Tranchen serviert (sieben Folgen jetzt und im Juli noch mal zwei) und setzt etwa ein halbes Jahr nach dem epischen Finale der letzten Staffel ein, dem Showdown zwischen den jugendlichen Helden und dem sogenannten Mindflayer-Monster. Und es schien, das Tor zur Hölle, das sich in Hawkins, Indiana, aufgetan hatte, womit einst alles losging in „Stranger Things“, sei ein für alle Male wieder geschlossen.

Kollateralschäden: Das Mädchen Eleven (Millie Bobby Brown), das über telekinetische und telepathische Fähigkeiten verfügt (und dem gleichen geheimnisvollen Laboratorium entspringt, das – willentlich oder aus Versehen – ebenjenes Portal zu einer anderen Dimension geöffnet hat, dem sogenannten Upside Down), verliert ihre Superkräfte. Und Sheriff Hopper (David Harbour), Elevens Ziehvater und in seiner ganzen gloriosen, hillbilly-esken Charme-Defensive die eigentliche Hauptfigur der Serie, geht mutmaßlich drauf. Er verdampft förmlich in der Hölle, so ist es Common Sense – auch bis weit in diese Staffel hinein.

Der psychologische Horror der Teenagerjahre

Aber natürlich lebt er, das hatte bereits der Trailer offenbart, und zwar in einem sowjetischen Gulag (wir sind im Kalten Krieg, und natürlich sind die Sowjets in ihrem natürlichen Lebensraum, wenn irgendwo die Hölle losbricht). Die Teenager, um die sich alles dreht, werden getrennt, nachdem sich Joyce Byers (Winona Ryder) des Mädchens Eleven annimmt und mit ihr und ihren beiden Jungs an die Ostküste zieht, Tausende Meilen weg von Hawkins und dem Upside Down – und mitten in eine andere Hölle: eine kalifornische Highschool nämlich, wo du unter all den bergdorf-blonden prom queens sowieso schon keine Chance hast, als Outcast wie Eleven  gleich gar nicht.

Mehr denn je schafft es die Serie, den psychologischen Horror der Teenagerjahre, das Grauen des Erwachsenwerdens, wenn die Nächte einsam sind und die Herzen schwer, mit dem ganz sprichwörtlichen Horror in Bezug zu setzen – und das Ganze ähnlich smart auszubalancieren wie „Harry Potter“: ein armes Waisenkind, das in Wirklichkeit über Superkräfte verfügt und die einzige Rettung ist gegen höllische Mächte, die die Welt bedrohen, wie wir sie kennen. „Stranger Things“ ist ein Popmärchen im allerbesten Sinn: „Maybe you’re the same as me, we see things they’ll never see“, heißt es bei Oasis. Der ganze Zauber dieser Serie liegt genau hierin: in der Kraft dieses Dings namens Jugend, es allem Bösen und Schlechten und eigentlich auch allem Erwachsenen und Spießigen zu zeigen! Interessant in diesem Zusammenhang ist es, dass es ausgerechnet die Musik von Kate Bush ist, die die gequälten Seelen erlöst und das neue Monster abschreckt, von den Jugendlichen „Vecna“ genannt, nach einer Figur aus dem Fantasy-Rollenspiel „Dungeons & Dragons“.

Überhaupt hat man einmal mehr das Gefühl, dass die Schöpfer der Serie, die amerikanischen Brüder Matt und Ross Duffer, in erster Linie im Sinn haben, den 80er-Jahren, weithin geschmäht als Dekade, die von allen guten Geistern verlassen war, ein neues, ein apokryphes Narrativ zu geben: als das letzte Jahrzehnt, in dem das Leben als Abenteuer, die Jugend als Zauber und die Musik als Elixier ausgekostet wurden, ehe das Internet und Social Media alles zerstörten. Those were the days.

Wertung: 4 von 5

Stranger Things 4, Serie, Vorerst 7 Folgen. Netflix