Die Tipps der Kulturredaktion: Hier müssen Sie am Wochenende hin!
Diesmal empfehlen wir Legenden mit Löchern, ein Geisterklavier, Kriminalgeschichten, Großstadtgefahren und elektroakustische Musik.

Grips-Theater: Legenden mit Löchern
Im Theater merkt man erst, dass Wirklichkeit und Fiktion gleichberechtigt und nicht zu trennen sind. Wer darf sich anmaßen, Erdichtetes von Erlebtem zu trennen? Beides bedarf der Gestaltung, damit es nicht verblasst. Der hundertjährige Opa des elfjährigen Kai war noch im Krieg, ein Held, ein Retter, ein Guter. Schade, dass sein Erinnerungsvermögen nachlässt, und die Abenteuergeschichten nicht mehr so flüssig strömen, derentwegen der Enkel seinen Opa liebt.
In Zoran Drvenkars Grips-Stück „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“, inszeniert von Robert Neumann, spielen die beiden (René Schubert als dementer Opa und Helena Charlotte Sigal als Kai) die Erinnerungsfetzen durch, die sich erst als immer fadenscheiniger und löchriger erweisen, dann aber tiefer blicken lassen und zeigen, dass Geschichten aus Schichten bestehen. Der Musiker Matthias Bernhold hilft dabei, die Fetzen klanglich zu flicken und neu zusammenzusetzen. Die Wahrheit – oder sagen wir, zumindest eine glaubwürdigere Variation von Opa-Erinnerungen – entsteht im Dialog. Lasst die Alten nicht in Ruhe! Ulrich Seidler
Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück. (Für Menschen ab zehn Jahren) Sonnabend, 16 Uhr im Grips (Podewil), Klosterstraße 68, Karten und Informationen unter Tel.: 39 74 74 77 oder unter www.grips-theater.de
Das Märkische Museum verabschiedet sich von Orchestrion und Pianola
Wie von Geisterhand bewegen sich die Tasten auf dem Klavier auf und ab. Aber es handelt sich hier weder um einen Geist noch um ein normales Klavier, sondern um eine Selbstspielapparatur namens Pianola. Bei diesem Instrument steuert ein Lochstreifen aus Papier, wann welcher Ton erklingen soll. Auch das Orchestrion funktioniert mit solchen Notenrollen, dieser Musikautomat kann sogar ein ganzes Orchester imitieren. Beide Instrumente und noch mehr erklingen am Sonntag vorerst zum letzten Mal im Märkischen Museum. Das Haus verabschiedet sich am Sonntag mit einer großen Vorführung von seiner Sammlung der mechanischen Musikinstrumente, denn zum Jahreswechsel wird das historische Gebäude für eine Modernisierung geschlossen.

Ein Teil der Objekte wird in den kommenden vier Jahren in einer neuen Ausstellung in den Räumen des Museums Pankow in Prenzlauer Berg präsentiert. Damit kehren einige Musikinstrumente in die Nähe ihrer einstigen Fabrikationsstätten zurück, wie die Drehorgeln oder das Orchestrion „Fratihymnia“, die in den italienischen Werkstätten in der Schönhauser Allee hergestellt wurden. Das Bezirksmuseum hat sich zum Ziel gesetzt, diese Musikinstrumente nicht nur hinsichtlich Technik und Musik zu präsentieren, sondern es soll in der Ausstellung auch um die Migrations-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte aus Italien eingewanderter Menschen und ihrer Familien in Berlin seit dem späten 19. Jahrhundert gehen. Susanne Lenz
Die Abschiedsvorführungen im Märkischen Museum finden jeweils um 11, 12, 13 und 15 Uhr statt und dauern jeweils eine halbe Stunde, der Eintritt ist frei. Anmeldung unter: info@stadtmuseum.de oder Tel. 24002-162
Kabarett-Theater Die Wühlmäuse: Horst Evers erzählt
Horst Evers hat gerade ein neues Buch veröffentlicht, Kriminalgeschichten unter dem schönen, in diesem Falle auch sprechenden Titel „Bumm!“ (Rowohlt Berlin). Er könnte also mit diesem Buch durch die Veranstaltungsorte der Stadt ziehen, daraus vorlesen und zusehen, wie er den Leuten den Atem nimmt. Denn so lustig sie auch sind, diese Geschichten zeichnen sich wirklich durch einen gewissen Thrill, durch Spannung aus. Das kann er also auch, der berühmte Plauderer.
Aber Evers ist ja keiner, der sich an die große Glocke hängt, er geht in die Veranstaltungsorte der Stadt und macht weiterhin das, was er seit Jahrzehnten tut, er erzählt Geschichten aus dem Alltag, meistens mit einem bemitleidenswerten Helden, der „ich“ sagt, unmöglich immer er selbst sein kann. Und so pointiert er schreiben kann, so amüsant sich das liest, so viel farbiger ist sein ausgestelltes Understatement auf der Bühne. Horst Evers liest und erzählt, als würde er ständig Gefahr laufen, übersehen zu werden, erzeugt damit Aufmerksamkeit und bringt die Leute zum Lachweinen. Jetzt sogar nachmittags! Am Sonnabend und Sonntag bei den Wühlmäusen. Den Titel haben wir hier schon erwähnt, er passt zu ihm: „Ich bin ja keiner, der sich an die große Glocke hängt“. Cornelia Geißler
Horst Evers, 24. und 25.9., je 15.30 Uhr, Die Wühlmäuse, Tel. 030 30 67 30 11
Film Restored – das Filmerbe-Festival
Dieses kleine und besondere Festival widmet sich restaurierten analogen Filmen, die nun ihre digitale Premiere feiern. Diesmal werden ausschließlich Dokumentarfilme gezeigt oder solche, die sich so nennen – ihre Entstehung und Motivation ihrer Macher werden dabei explizit mit thematisiert. Zu sehen sind unter anderem „Gefahren der Großstadt-Straße“, der 1924 im Auftrag der Münchener Polizei gedreht wurde, „Das Haus – 1984“, mit dem Thomas Heise für die Staatliche Filmdokumentation der DDR den Alltag im Land festhalten sollte und „Tally Brown, New York“, mit dem Rosa von Praunheim 1979 das wilde New York der 1970er-Jahre einfing. Von Praunheim wird im Zuge des Festivals einen Vortrag über seinen dokumentarischen Ansatz halten, auch die Filmemacherin Ulrike Ottinger wird mit ihrem Film „Prater“ von 2007 zu Gast sein. Einige Festival-Filme sind bis zum fünften Oktober auch online verfügbar. Claudia Reinhard

Film Restored – Filmerbe-Festival, 2022, 21.–25. September, Kino Arsenal
Festival Kontakte ’22 für elektroakustische Musik und Klangkunst
Große Empfehlung fürs klangkulturelle Wochenende: das Kontakte-Festival an der Akademie der Künste. Um elektroakustische Musik geht’s da insgesamt fünf Tage lang und noch bis Sonntag. Elektroakustische Musik – ein durchaus umstrittener Begriff in der Musikwissenschaft; ist doch jegliche Musik akustisch – und in Zeiten elektronischer Verstärkung eben auch elektronisch. Aber das ist nicht gemeint. Sondern, darauf können sich wohl die meisten einigen: ein spannendes Miteinander von Elektronik und akustischem Instrumentarium.

Am besten startet man bei Kontakte um 18 Uhr ins Wochenende, mit Werken für Synthesizer-Trio, teilweise auf Vintage-Synthesizern. Aufregend klingt auch die Performance des Female Laptop Orchestra ab 22 Uhr. Ein bisschen Schlaf bekommt man bei aller Aufregung aber hoffentlich trotzdem – und kann dann am Samstag schon ab 16 Uhr dem Auftritt des Berliner Lautsprecher-Orchesters gemeinsam mit Berliner Studis lauschen. Ab 21 Uhr lässt Maximilian Marcolls E-Gitarren auf Live-Elektronik krachen. Krasse Sache. Die Wurzeln des Festivals reichen übrigens weiter, als man vielleicht meinen würde: Der Name ist eine Hommage auf die Konzertreihe gleichen Namens der Akademie der Künste (Ost), die ab 1980 elektroakustische Werke in der DDR präsentierte.
Kleiner Geheimtipp am Rande: Die Klanginstallationen, die auf dem gesamten AdK-Areal am Hanseatenweg verteilt sind, können gratis erkundet werden. Ansonsten gibt es allerlei flexible Konzert- und auch Tagestickets. Und am Ende jedes Abends knackige DJ-Sets. Eine große Party elektroakustischer Musik eben. Und vielleicht hat man irgendwann am Ende der Nacht auch eine sehr konkrete Vision davon, was dieser schillernde Begriff wohl alles meinen kann. Stefan Hochgesand
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10., 16.+22.–25. September, www.adk.de