Dokumentationen: TV-Schlacht zum Weltkriegs-Jubiläum

Mainz - Der Hochsommer 1914 war eigentlich kein guter Zeitpunkt, um einen Krieg zu beginnen. Denn alle Heere mussten Reservisten und Freiwillige mobilisieren – doch die Landbevölkerung steckte mitten in der Ernte. Der Hochsommer ist auch keine gute Zeit, um mit aufwendigen TV-Produktionen an den Ersten Weltkrieg zu erinnern. Denn am 28. Juni, dem 100. Jahrestag des Attentats von Sarajevo, starten bei der Fußball-WM in Brasilien die Achtelfinals, im Hochsommer sind viele Zuschauer verreist.

Alles vor der Fußball-WM

Deshalb zeigen alle Sender ihre Filme, Serien und Dokumentationen zum Ersten Weltkrieg vor der Eröffnung der Fußball-WM. Vorangeprescht war das ZDF. Der Sender strahlte schon im vergangenen Herbst seinen Dreiteiler „Weltenbrand“ aus. Hier hatte Guido Knopp die schwarz-weißen Bilder aufwendig kolorieren lassen, den Ersten Weltkrieg als Auftakt eines „Dreißigjährigen Kriegs“ erklärt und auch den Gefreiten Adolf Hitler nicht vergessen. Vor einem Monat folgte im ZDF eine „szenische Dokumentation“ namens „Mit Jubel in die Hölle“: Hier wurden drei Kriegstagebücher in Szene gesetzt.

Der Spielfilm „Das Attentat – Sarajevo 1914“, passenderweise koproduziert von ZDF und ORF, also den Sendern aus dem Gebiet der damaligen „Mittelmächte“, widmet sich nun den letzten Tagen vor dem Kriegsausbruch. Der Film erzählt aus der Perspektive des Untersuchungsrichters Leo Pfeffer (Florian Teichtmeister). Er bekommt nach den tödlichen Schüssen auf das Habsburger Thronfolgerpaar den Auftrag, die verhafteten Attentäter, junge serbische Nationalisten, zu vernehmen und eine Verwicklung Serbiens nachzuweisen.

Doch während die Presse überall schon Serbien an den Pranger stellt, nimmt Pfeffer seine Arbeit ernst und stößt auf immer neue Ungereimtheiten: Warum war die Paraderoute von Franz Ferdinand kaum gesichert worden? Warum wurden alle Warnungen vor einem Anschlag ignoriert? Und warum fuhr der Konvoi nach einem ersten, gescheiterten Anschlag noch einmal mitten durch die Stadt – genau zu jenem Ort, wo Gavrilo Principe mit seiner Pistole wartete?

Auf den ersten Blick erinnert die Story – einsamer Richter untersucht Attentat und wittert Verschwörung – an den Helden aus „JFK“. Die Redakteure von ZDF und ORF nennen nicht zufällig die Polit-Thriller von Oliver Stone als Vorbild. Der Regisseur Andreas Prochaska verweigert sich knalliger Effekthascherei, zeigt die Schüsse nur als fernen Hall, inszeniert dafür aber ein konzentriertes, atmosphärisch dichtes Kammerspiel. Ob der Weltkrieg tatsächlich noch aufzuhalten war, versucht die anschließende ZDF-Dokumentation „Der Weg in die Katastrophe“ zu klären. Untermalt von Szenen aus dem Spielfilm widerspricht der Historiker Sönke Neitzel, der zugleich als Fachberater und Experte auftritt, der These von der Hauptschuld des Deutschen Reiches am Kriegsausbruch: Er sieht vielmehr ein komplettes Versagen der europäischen Politik.

Detailierteres ist dem Web vorbehalten

Diese Art konventioneller Dokumentation, in der Historiker dem Zuschauer die Ereignisse erklären, spielt beim Themenkomplex Erster Weltkrieg nur noch eine untergeordnete Rolle. So bieten inzwischen die Web-Angebote der Sender wesentlich detailliertere Informationen. Was ZDF, ARD und Arte zum Thema Erster Weltkrieg an Originalbildern und -filmen, an Biografien, Karten und Dokumenten ins Netz gestellt haben, lädt zu längerem Studium ein.

Neue Perspektiven eröffnet auch die aufwendige Arte-Reihe „14 – Tagebücher des Ersten Weltkriegs“. Die Verfilmung von 14 Tagebüchern aus neun Ländern geht genau den umgekehrten Weg wie „Weltenbrand“. Sie blickt nicht auf das Geschehen zurück, sondern schaut auf den Krieg aus dem Moment heraus. Der Autor Yury Winterberg erklärt, warum auf die üblichen Memoiren von Generälen und Politikern komplett verzichtet wurde: „Wir haben Autoren ausgewählt, die nur für sich selbst Tagebuch geführt haben.“

Genauso wichtig war die Herkunft der Tagebuchschreiber: Indem Menschen aus neun Ländern auf das Kriegsgeschehen blicken, wird die Reihe der Komplexität des Ersten Weltkriegs gerecht. Dieses Konzept der Leipziger Firma Looks Film überzeugte auch international. An der Produktion beteiligten sich Partner aus 17 Ländern, sodass die deutschen Sender NDR, SWR und WDR nur ein Drittel des Sechs-Millionen-Etats beisteuern mussten. Sogar die BBC, die anfangs nur an britischen Helden interessiert war, übernahm die Serie – außer die Folge über die Liebe im Krieg.

Der Regisseur Jan Peter berichtet, dass es allenfalls anfangs Vorbehalte gegen einen deutschen Regisseur gegeben habe. An den Drehorten in Kanada und Frankreich habe das multinationale Team schnell einen gemeinsamen Nenner gefunden: „Wir haben uns über unsere Urgroßväter unterhalten.“

Das Besondere an dem Achtteiler ist die Kombination von Doku-Drama und Serie. Die 14 Tagebuch-Schreiber werden zu Serienhelden, die in den acht Folgen immer wieder auftauchen. Der Produzent Gunnar Dedio, Geschäftsführer von Looks Film, will so jüngere Serienfans für Geschichte interessieren. Dabei ist der Zugang nicht besonders leicht, sondern durchaus fordernd. Die Figuren reden in ihrer jeweiligen Landessprache und werden untertitelt. Wenn sie Tagebuch-Erinnerungen vortragen, die deutsch übersprochen werden, schauen sie sogar direkt in die Kamera – eigentlich ein Unding für Schauspieler. Der Regisseur Peter erklärt: „So kann der Zuschauer ihnen direkt in die Augen sehen.“

Kriegsbegeisterung und Skepsis

Wer sich auf diese ungewohnte Ansprache einlässt, dem liefern die „Tagebücher des Ersten Weltkriegs“ ein fesselndes Panorama, das sich von den gewohnten Erster-Weltkriegs-Dramen absetzt. Denn hier wird nicht nur die Kriegsbegeisterung vorgeführt, die damals von den Herrschenden gern mit der Kamera dokumentiert worden war. Während es eine vierzehnjährige Kosakin unbedingt zu ihrem Vater an die kaukasische Front zieht, und ein zehnjähriger Junge in Sedan, Frankreich, vom Sieg über die barbarischen Deutschen träumt, versucht ein Landwirt aus Niederösterreich vergeblich, dem Kriegsdienst zu entgehen. Spannend dargestellt ist auch die Zerrissenheit von Käthe Kollwitz – sie wird gespielt von Christina Große. Die Künstlerin war nicht von Beginn an überzeugte Pazifistin, im Sommer 1914 schwärmte sie sogar noch für die Gemeinsamkeit des Volkes und ließ ihren Sohn Peter in den Krieg ziehen. Doch wenige Wochen später bekommt sie die Todesnachricht. Er wurde 18 Jahre alt.