Geopolitik : Eine neue Weltordnung chinesischer Prägung
Die USA haben sich zuletzt immer mehr aus der Rolle des Weltpolizisten zurückgezogen. Wird es bald eine Ordnung geben, in der erstmals die Welt als Ganzes zum Bezugsrahmen wird?

Dass die gegenwärtige Weltordnung auf Dauer keinen Bestand haben wird, steht wohl außer Frage: Sie genügt nur unzulänglich neuen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte, sie ist ungerecht, weil sie auf einer strukturellen Dominanz des globalen Nordens über den Süden beruht, und sie ist schon darum revisionsbedürftig, weil sich die USA, seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation Garantiemacht dieser Ordnung, immer mehr aus der Rolle eines „Hüters der Ordnung“ zurückziehen. Die Antworten auf die Krise der noch bestehenden Weltordnung fallen sehr unterschiedlich aus: Die konservative läuft darauf hinaus, dass China über kurz oder lang die Position der USA einnehmen, sonst aber alles beim Alten bleiben werde, während die revolutionären eine grundlegend neue Ordnung ins Auge fassen, in der alles anders sein wird, als es bisher der Fall war. Die Idee einer neuen Weltordnung wird hierbei zum Sammelbecken aller denkbaren Wünsche und Hoffnungen. Dem stehen wiederum die Realisten gegenüber, die von einer längeren Periode der Unordnung ausgehen und erwarten, dass sich schließlich ein schon früher dagewesenes Ordnungsmodell durchsetzen wird. Die allmählich beginnende Debatte dürfte in nächster Zeit erheblich an Intensität gewinnen.
Der chinesische Philosoph Zhao Tingyang hat vor einiger Zeit – die chinesische Ausgabe seines jetzt auf Deutsch erschienenen Buchs stammt aus dem Jahr 2016 – das Kunststück fertiggebracht, alle genannten Perspektiven, die konservative und die revolutionäre, die idealistische und die realistische, miteinander zu verbinden und dieses Amalgam mit dem Prädikat auszuzeichnen, es handele sich dabei um die einzige Ordnung, auf deren Grundlage es möglich sei, der Menschheit eine gesicherte Zukunft zu verschaffen. Während nämlich alle bisherigen Ordnungen nur internationale Ordnungen gewesen seien, weil in ihnen partikulare Staaten oder Imperien als gestaltende Akteure aufgetreten seien, werde in der neuen Ordnung erstmals die Welt als Ganzes Akteur und Bezugsrahmen des Geschehens sein. Erst diese Ordnung verdiene darum die Bezeichnung „Weltordnung“. Ordnung sei hier nicht als unterscheidende Abgrenzung von Innen und Außen oder Eigen und Fremd gedacht, sondern es stehe „alles unter einem Himmel“. Es gehe um einen politischen Sprung, wie er in der Menschheitsgeschichte bislang nur zwei- oder dreimal stattgefunden habe.
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